# taz.de -- Politologe über Russland und den Westen: „Es stehen harte Jahre … | |
> Der russische Experte Andrei Kortunow geht davon aus, dass sich die | |
> beiderseitigen Beziehungen noch weiter verschlechtern werden. | |
Bild: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland waren immer besonderer … | |
taz: Herr Kortunow, die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland waren | |
immer besonderer Natur. Wo haben sich die Partner verloren? | |
Andrei Kortunow: Die einen sagen, es habe 2014 angefangen, mit der Krise in | |
der Ukraine. Die anderen meinen, der Kaukasuskrieg 2008 sei der | |
ausschlaggebende Punkt gewesen. Wieder andere sehen die Wahlniederlage | |
Gerhard Schröders als Zeitpunkt, an dem die Verschlechterung anfing. Putin | |
und Merkel hatten ja nie ein solches besonderes Vertrauensverhältnis. Mit | |
Frauen an der Macht konnte Putin ohnehin nie viel anfangen. Wann auch immer | |
diese Entwicklung begonnen hat, klar ist: Es findet eine permanente | |
Verschlechterung der Beziehungen statt. Leider. | |
Woran liegt das? | |
Zunächst einmal an den politischen Positionen, die sich fundamental | |
unterscheiden. Hinzu kommen auch die wirtschaftlichen Beziehungen. Da | |
dominieren immer mehr andere Partner. Russland wird immer unwichtiger. | |
Zudem findet in der deutschen Politik ein Generationswechsel statt. Frühere | |
Generationen verspürten noch ein Gefühl der Dankbarkeit, ja auch der Schuld | |
gegenüber Russland. Die neue Generation pflegt eine pragmatische Basis für | |
die Pflege der Beziehungen, weniger eine emotionale. | |
Welche Rolle spielen die Vergiftung und die Verhaftung von Alexei Nawalny? | |
Nawalny ist ein weiterer Wendepunkt auf diesem langen, immer schlechter | |
werdenden Weg. Er ist ein klares Symbol für die Kluft in den | |
Wertevorstellungen zwischen der Regierung in Deutschland und der Regierung | |
in Russland. Deutschland hat eine bestimmte Haltung zum menschlichen Leben, | |
zur Wichtigkeit politischer Opposition im Land. In Russland – ich spreche | |
hier über die Ebene der Regierung – ist das Verhältnis dazu ein etwas | |
anderes. Putin will sich nicht mit Nawalny befassen. Mit Merkel will Putin | |
solche Fragen schon gar nicht besprechen. Für Merkel aber sind solche | |
Fragen prinzipieller Natur. Sie hat vollkommen andere Prioritäten. Die | |
Kluft, die schon immer da war, sich aber durch die Causa Nawalny viel | |
klarer offenbart, wird weiter zwischen beiden Ländern stehen. Als störendes | |
Element. | |
Die [1][Ausweisung dreier europäischer Diplomaten aus Russland], zeitgleich | |
zum Besuch vom obersten EU-Diplomaten in Moskau, ist ein Affront. Welches | |
Kalkül steckt hinter dieser Demütigung? | |
Die Europäer waren unvorbereitet auf den Besuch. Das wollte man ihnen | |
zeigen. Man gab Josep Borrell sehr klar zu verstehen, dass innenpolitische | |
Fragen kein Thema für ein Gespräch mit den Partnern der EU ist. Die Haltung | |
der russischen Gastgeber ist: Wie wir mit unserer Opposition umgehen, ist | |
nicht eure Sache! Lehrerhaftes Auftreten der EU wollte man sich verbitten. | |
Von seinen Position abweichen will der Kreml nicht. Auch hier sehen wir | |
einen Wertekonflikt. Die Europäer werden weiter über Nawalny reden, die | |
Russen nichts von ihm hören wollen. | |
Ist dem Kreml [2][das Image des bösen Buben] völlig egal? | |
Die russischen Führung hat keine besondere Hoffnung auf eine fruchtbare | |
Entwicklung zwischen Russland und Europa. Erdoğan erlaubt sich mit Moskau | |
um einiges mehr als Europa. Dennoch stellt ihn Putin als Beispiel für einen | |
zuverlässigen Partner dar. Die EU ist in den Augen Putins kein | |
zuverlässiger Partner, weil sie seiner Meinung nach schwach ist. | |
Diskussionen, Pluralismus, Meinungsvielfalt, wie die EU sie pflegt, sind | |
für die Realität, in der die russische Führung lebt, ein Zeichen der | |
Schwäche. | |
Welche Perspektiven gibt es in dieser verfahrenen Situation? | |
Das ist ein Dilemma. Doch dabei geht es weniger um Russland und Europa, es | |
geht um die Frage: Wohin bewegt sich die Welt? Putin hat ein recht düsteres | |
Bild von der Welt: Für ihn besteht diese aus Krisen, Konflikten, Kriegen. | |
Priorität haben Sicherheitsfragen. Es geht nicht um Prosperität, es geht | |
ums Überleben. Europa aber geht es um das Miteinander. Um das einzigartige | |
europäische Projekt. Wenn es Europa gelingt, die Anziehungskraft dieser | |
europäischen Idee zu erhalten, muss auch Russland umdenken. Das aber wird | |
noch lange dauern. Moskau wendet sich sicher nicht von Europa ab, aber die | |
Beziehungen dürften sich erst einmal weiter verschlechtern. Moskau und | |
Europa stehen harte Jahre bevor. | |
11 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Moskau-und-der-Westen/!5746652 | |
[2] /Verhaeltnis-EU-Berlin/!5746723 | |
## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
## TAGS | |
Russland | |
EU | |
Wladimir Putin | |
Russland | |
Alexej Nawalny | |
Russland | |
Nord Stream 2 | |
Moskau | |
Russland | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Russland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Merkels Abschiedsbesuch in Moskau: Paroli bieten, aber freundlich | |
Bei ihrem wohl letzten Treffen mit Russlands Präsidenten Putin verteidigt | |
Kanzlerin Merkel die Werte der Freiheit. Und hinterlässt in Moskau eine | |
Lücke. | |
Politische Gefangene in Russland: Im Haftlager für „Politische“ | |
Moskaus Polizeiwachen sind nach den Nawalny-Protesten überfüllt. | |
Festgenommene werden in ein zum Gefängnis umfunktioniertes Gebäude auf dem | |
Land gebracht. | |
Proteste in Russland: Herzen gegen die Repression | |
Am Valentinstag bilden Frauen in Moskau bei minus 20 Grad eine | |
Menschenkette. Für den Kreml ist das ein „hybrider Krieg“ des Westens. | |
Programm „Navigator für die Kindheit“: Einiges Russland, einige Jugend | |
Die russische Regierung will mit einem neuen Programm ihren Einfluss auf | |
Kinder ausweiten. Doch das könnte nach hinten losgehen. | |
Moskau und der Westen: Sputnik gegen Corona und dicke Luft | |
Mit der Ausweisung dreier Topdiplomaten setzt Moskau weiter auf | |
Provokation. Gemeinsame Lösungen für die Pandemie könnten die Eiszeit | |
beenden. | |
Verhältnis EU-Berlin: Das russische Enfant terrible | |
Auf die Ausweisung europäischer Diplomaten durch Moskau reagiert Berlin | |
umgehend und weist einen russischen Diplomaten aus. Ein Tiefschlag. | |
Nach Moskau-Besuch von Borrell: EU-Chefdiplomat unter Druck | |
Außenbeauftragter Borrell hat in Moskau keine gute Figur gemacht. Nun | |
fordern EU-Abgeordnete seinen Rücktritt und einen harten Kurs. | |
Proteste in der russischen Provinz: Es herrscht Ruhe in Rjasan | |
Roman Bugakow wollte in Russland Protest organisieren. Doch die Polizei | |
hinderte ihn daran. Alexander Bechtold hat demonstriert – mit bösem Ende. | |
Verhältnis von EU und Russland: Nicht jeder ist willkommen | |
Moskau weist drei westliche Diplomaten wegen Teilnahme an einer | |
Demonstration aus. Parallel dazu führt Brüssels Außenbeauftragter Gespräche | |
im Kreml. |