# taz.de -- Politologe über Kommunalpolitik: „Im Moment eine Abwärtsspirale… | |
> Im Kommunalen gibt es keine Brandmauer zwischen CDU und AfD, sagt | |
> Politikwissenschaftler Wolfgang Muno. Dadurch vertieft sich die Krise des | |
> Systems. | |
Bild: Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern sind eher ein Härtetest als ein… | |
taz: Professor Muno, muss man Angst haben vor den Kommunalwahlen [1][in | |
Mecklenburg-Vorpommern]? | |
Wolfgang Muno: Ehrlich gesagt: Ja. Die AfD lag in den Umfragen zuletzt bei | |
35 Prozent, das dürfte sich über den Jahreswechsel nicht wesentlich | |
geändert haben. Durch den Anstieg werden dann auch wieder die | |
[2][Diskussionen um die Brandmauer geführt werden], gerade weil es die auf | |
lokaler Ebene ja schon lange nicht mehr gibt. | |
Stralsund ist ein Beispiel, wo sie 2023 eindrucksvoll gerissen wurde … | |
Sie meinen im März, [3][durch die Zustimmung von CDU- und FDP-Fraktion zum | |
AfD-Antrag gegen das Gendern]. Da ist die Union der AfD auf den Leim | |
gegangen. Sie betreibt da als Verbotspartei im Verbund mit ihr den | |
Kulturkampf gegen das Gendern. | |
Dabei hieß es immer, Kommunalparlamente seien kein Ort der Parteipolitik. | |
Gilt das nicht mehr? | |
Ja und Nein. Sie sind auf der einen Seite ein Ort, in dem man einander | |
persönlich kennt. Man ist oft schon lange dabei, wir haben AfD-Abgeordnete, | |
die vielleicht in der freiwilligen Feuerwehr engagiert sind oder im | |
Sportverein. Genau das macht es ja so gefährlich. | |
Warum? | |
Durch dieses entpolitisierte Moment der Kommunalpolitik ist die | |
Hemmschwelle zusammenzuarbeiten geringer. Zudem kommt immer das Argument, | |
es gehe ja nur um vermeintlich unpolitische Sachfragen, Schule oder Straßen | |
etwa. Dabei findet gleichzeitig die typische Polarisierung durch die AfD | |
auf der lokalen Ebene sehr wohl statt. | |
Ähnelt das [4][der Kulturkampf-Strategie der rechtsradikalen Vox-Partei] in | |
Spanien? | |
Eher nutzt die AfD Frankreich als Vorbild: Sie scheint sich daran zu | |
orientieren, wie sich Marine Le Pens Rassemblement National einen | |
staatstragenden Anstrich verleiht. Und dafür spielt eine entscheidende | |
Rolle, wie auf lokaler Ebene Verantwortung übernommen wird, [5][in | |
Bürgermeisterämtern] und durch eine feste Verankerung in Stadt- oder | |
Gemeinderäten. Das ist die Strategie, um dann als regierungsfähig zu | |
gelten. | |
Welche Folgen hat das für die Makro-Ebene? | |
Es hatte ja schon unter Nicolas Sarkozy vor allem [6][eine weitgehende | |
Übernahme der extremen Anti-Migrations-Positionen gegeben]. Das hat dazu | |
geführt, dass die Menschen dann doch das Original wählen und nicht die | |
Kopie, die sich ihm inhaltlich angenähert hat. Dasselbe sehen wir auch, | |
wenn die CDU Positionen der AfD übernimmt: Die Zustimmungswerte der AfD | |
steigen. Das wird sich dieses Jahr bei den Landtagswahlen in Thüringen, | |
Brandenburg und Sachsen beobachten lassen – und eben auch hier in | |
Mecklenburg-Vorpommern bei den Kommunalwahlen. Man wählt das Original. | |
Offenbar ist nicht nur die CDU dafür empfänglich: Stefan Kerth, immerhin | |
Landrat von Vorpommern-Rügen, ist im Herbst öffentlichkeitswirksam aus der | |
SPD ausgetreten, weil die ihm zu migrationsfreundlich schien. Dabei ist der | |
Mann Verwaltungs-Chef [7][in einem Landkreis, dessen Ausländeranteil bei | |
4,5 Prozent] liegt. Gibt es diesen Trend gerade bei allen politischen | |
Kräften? | |
Hier in Mecklenburg-Vorpommern sehen wir bei allen, außer bei Bündnis | |
90/Die Grünen, eine deutliche Bewegung in diese Richtung: Weder Klima noch | |
Umwelt spielen eine Rolle in der Bevölkerung, kaum einmal soziale Fragen, | |
außer vielleicht Energiesicherheit, Löhne und Renten. Stattdessen wird | |
Migration bei Umfragen als wichtigstes Thema im Land präsentiert und mit | |
Bürgerbegehren gegen die Unterbringung von Geflüchteten am Köcheln | |
gehalten. Das macht auch vor der SPD nicht halt. Einige glauben deshalb, | |
damit punkten zu können. | |
Durch Parteiaustritt? | |
Die SPD steht bei Umfragen momentan sehr schlecht da. Ich glaube, dem Herrn | |
Kerth ging es mit seiner Absetzbewegung darum, die eigene Position als | |
Landrat zu festigen und auch bei geänderten Mehrheitsverhältnissen im | |
Kreistag die Zügel in der Hand zu behalten. Es geht ja auch bei | |
Kommunalwahlen um Macht. | |
Systemisch relevant war ja in seiner Austrittserklärung der Vorwurf an die | |
eigene Partei, im Bund eine [8][„abgehobene und wirklichkeitsfremde | |
Politik“ zu betreiben]. Hat sich dieser Eindruck, von der übergeordneten | |
Ebene im Stich gelassen zu werden, in der Kommunalpolitik verstärkt? | |
Der hat sich deutlich verstärkt. Das passt in diese populistische | |
Anti-Establishment-Rhetorik, die auch auf kommunaler Ebene übernommen wird: | |
Die in Berlin sind ganz weit weg, die leben in ihrer Bubble, das ist die | |
Erzählung. | |
Da ist nichts dran? | |
Empirisch kann man sehen, dass diese Eliten-Kritik zunimmt, ohne dass es | |
eine Veränderung im Verhalten der Abgeordneten gegeben hätte. Es ist nicht | |
so, dass die nur noch in Berlin leben und nie nach Hause fahren würden. Die | |
haben ihre Wahlkreisbüros und ihre Auftritte. Eher müsste sich die Basis | |
fragen, warum sie keinen Kontakt zu den Abgeordneten aufnimmt. | |
Das scheint zugleich Ausdruck und Motor einer Erosion des Vertrauens, die | |
sogar kommunale Gremien erfasst hat. Das lag selbst bei Bürgermeistern, | |
Stadt- und Gemeinderäten und der Verwaltung laut Forsa 2023 überall unter | |
50 Prozent… | |
Das generelle Misstrauen in politische Institutionen auf allen Ebenen ist | |
erschreckend. Nach Erhebungen der [9][Landeszentrale für politische Bildung | |
in Mecklenburg-Vorpommern] sagen bis zu 80 Prozent der Befragten: Unsere | |
Position zählt sowieso nicht. Der Glaube an die Selbstwirksamkeit, der | |
fehlt. | |
Wie entmutigend. | |
Das ist sehr schlecht. Auch angesichts der Tatsache, dass die Personaldecke | |
hier so dünn ist. Die Parteien werden Schwierigkeiten haben, genügend | |
Menschen zu motivieren, um alle politischen Ämter auszufüllen. Bei den | |
Bürgermeisterwahlen vor fünf Jahren hatten wir hier eine ganze Reihe von | |
Gemeinden, in denen niemand kandidieren wollte. Es scheint nicht attraktiv | |
zu sein, sich dafür zu bewerben. Der Personalmangel wird meiner Meinung | |
nach durch die um sich greifende Polarisierung infolge des Vormarschs der | |
AfD noch dramatischer werden. | |
Warum? | |
Diese Polarisierung geht einher mit aggressiven Vorwürfen und auch | |
physischen Angriffen auf Lokalpolitiker. Das ist natürlich demotivierend: | |
Als Europa- oder Bundestagsabgeordneter bekommen sie ja wenigstens ein | |
erhebliches Gehalt. Aber das hier sind ehrenamtlich engagierte Menschen, | |
die in ihrer Freizeit etwas für das Gemeinwohl tun. Da bekommen Sie nur ein | |
kleines Sitzungsgeld und werden dann noch auf irgendwelchen | |
Social-Media-Plattformen gehatet. Da fragt man sich schon, warum soll ich | |
mir das antun? Das ist im Moment eine Abwärtsspirale, in der wir uns | |
befinden. Die ist sehr bedenklich. | |
Lässt sich das System der kommunalen Selbstverwaltung noch retten? | |
Es ist marode. Wir alle – Parteien, Gesellschaft, Medien, Wissenschaft – | |
müssen überlegen, wie können wir etwas dagegen tun? Wie können wir dafür | |
sorgen, dass Parteien attraktiver werden – denn ohne Parteien geht es | |
einfach nicht – und wie können wir für mehr Bürgerbeteiligung sorgen? | |
Aber sind [10][Bürgerbegehren] nicht Instrumente der Polarisierung? | |
Ja, die sind damit auch nicht gemeint: In denen werden Fragen eng geführt | |
[11][auf ein schlichtes Ja oder Nein], etwa zum Containerdorf, um | |
Geflüchtete unterbringen zu können – wie in Greifswald. Es geht aber darum, | |
Menschen längerfristig in Diskussionen einzubinden, um sie wieder an die | |
Demokratie heranzuführen. Das Modell sind also eher Bürgerräte. | |
Als die „Letzte Generation“ diese im vergangenen Frühjahr gefordert hatte, | |
ist die Idee in deutschen Polit-Talkshows als undemokratisch | |
niedergeschrien und gebrandmarkt worden … | |
Diejenigen, die das brandmarken, haben [12][keine Ahnung], wie das | |
funktioniert. Das muss ich als Politikwissenschaftler einfach mal so hart | |
ausdrücken. Bürgerräte gibt es in Baden-Württemberg fast flächendeckend, | |
auf kommunaler und auf Landesebene, und es gibt viele andere europäische | |
Länder, in denen die ausgezeichnet funktionieren. [13][Das Wissen, was | |
deren Sinn ist], fehlt einfach – und dann argumentieren einige Politiker | |
dagegen, weil sie Angst haben, dass ihre Kompetenzen geschmälert werden. | |
Ich halte aktuell die Lage für so ernst, dass wir schlicht alles versuchen | |
müssen, was Besserung verspricht. | |
6 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Einschuechterung-von-rechts/!5975847 | |
[2] /Ausblick-auf-das-Superwahljahr-2024/!5979464 | |
[3] https://www.lsvd.de/de/ct/8972-CDU-FDP-stimmten-fuer-AfD-Antrag-gegen-gesch… | |
[4] /Vor-den-Wahlen-in-Spanien/!5945201 | |
[5] https://www.humanite.fr/mot-cle/mairies-rn | |
[6] /Konservative-in-Frankreich/!5900076 | |
[7] https://www.laiv-mv.de/Statistik/Zahlen-und-Fakten/Gesellschaft-&-Staat… | |
[8] https://www.nordkurier.de/regional/mecklenburg-vorpommern/so-begruendete-la… | |
[9] https://www.lpb-mv.de/ | |
[10] https://katapult-mv.de/artikel/buergerentscheid-aus-greifswald-wiederholt-… | |
[11] https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/im/Kommunales/B%C3%BCrgerentsc… | |
[12] https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien/C/connemann_gitta-857226 | |
[13] /Buergerbeteiligung-in-der-Klimakrise/!5978976 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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