| # taz.de -- Pläne der Ampelkoalition: Aktienrente für Profite | |
| > Der Plan von Finanzminister Christian Lindner für ein | |
| > „Generationenkapital“ löst das Rentenproblem nicht – sondern verschär… | |
| > Einkommensungleichheit. | |
| Bild: Die Aktienrente ist für Rentner:innen ein Minusgeschäft – andere prof… | |
| Österreicher:innen bekommen durchschnittlich 800 Euro mehr Rente pro | |
| Monat als Deutsche. Mit [1][Christian Lindners Plänen einer Aktienrente] | |
| werden sich die finanziellen Möglichkeiten deutscher Rentner:innen noch | |
| weiter von denen unserer Nachbarn entfernen. Denn das Problem der | |
| Aktienrente ist nicht, dass mit Steuergeld „gezockt“ wird, wie viele Linke | |
| bemängeln, sondern, dass Lindner versucht, die deutsche Wirtschaftspolitik | |
| auf die Sicherung von Profiten auszurichten. Da nur ein kleiner Teil der | |
| abgesicherten Profite in die Rente fließt, verstärkt Lindners Modell die | |
| enorme Einkommensungleichheit, welche die Rente jetzt schon unter Druck | |
| setzt. | |
| Viele beschwichtigen, dass der aktuelle Vorschlag zum „Generationenkapital“ | |
| das deutsche Rentensystem kaum verändern wird. Und das stimmt. Es sollte | |
| jedoch nicht vergessen werden, welche ursprüngliche Form der Aktienrente | |
| Lindner im Wahlkampf 2021 forderte und welche er in einer CDU-geführten | |
| Koalition umsetzen würde, beispielsweise durch verpflichtende Beiträge zu | |
| Rentenfonds, die dann in Aktien angelegt werden. Die CDU unter Friedrich | |
| Merz, selbst ehemaliger Manager des weltweit größten Vermögensverwalters | |
| und Aktieninvestors Blackrock, plant aktuell ein ähnliches Konzept. | |
| Lindner begründet seine Reform mit dem demografischen Wandel. Gegenwärtig | |
| zahlen Menschen, die einer Lohnarbeit nachgehen, in die Rentenkasse ein und | |
| finanzieren damit den Lebensabend einer stetig wachsenden Zahl von | |
| Rentner:innen. Wie hinlänglich bekannt, reichen die Beiträge nur für drei | |
| Viertel der Rentenzahlungen aus. Den Rest trägt der Bund. Und die | |
| Projektionen sind erschreckend: Während nach der Wiedervereinigung 2,7 | |
| Beschäftigte für einen Rentner zahlten, sind es heute nur noch 2,1. | |
| Wer diese Zahlen jedoch aus dem Kontext des gleichzeitigen | |
| Produktivitätswachstums reißt, versucht mit bewusster Verunsicherung für | |
| eine profitorientierte Reform der volkswirtschaftlichen Ausrichtung zu | |
| werben, welche die meisten Beschäftigten schlechterstellen wird. | |
| Sicher gibt es immer mehr Rentner:innen. Die arbeitende Bevölkerung ist | |
| aber jedes Jahr in der Lage, mehr Güter und Dienstleistungen zu | |
| produzieren. Seit der Wiedervereinigung ist die Produktivität doppelt so | |
| stark gewachsen wie das Verhältnis von Rentner:innen zu Beschäftigten. | |
| Wer die wachsende Produktivität ignoriert, tut so, als hätte es keine | |
| digitale Revolution gegeben und als würden wir heute mit den Möglichkeiten | |
| von 1990 produzieren. | |
| Christian Lindner ist ein Mann, der nach eigener Auskunft in verzwickten | |
| Lagen „dornige Chancen“ wittert. Mit dem Generationenkapital soll der Bund | |
| jährlich zehn Milliarden Euro in Aktien investieren, deren Erträge ab 2035 | |
| das Umlagesystem stützen. Nehmen wir eine optimistische Rendite von 10 | |
| Prozent an, dann müsste der Fonds auf 800 Milliarden Euro wachsen, um | |
| allein die jetzige Lücke zu schließen. Für Lindner ist das | |
| Generationenkapital daher nur der Beginn eines größeren Werbens für die | |
| Aktiengesellschaft. Doch warum sollte sie besser mit dem demografischen | |
| Wandel umgehen können als das aktuelle Umlagesystem? | |
| Zunächst müssen wir uns vergegenwärtigen, dass beide Systeme eigentlich | |
| ziemlich ähnlich sind. Ob Umlagesystem oder Kapitaldeckung – ein | |
| Rentensystem ist immer eine Institution, die Einkommen vom arbeitenden zum | |
| verrenteten Teil der Gesellschaft verteilt. Eine Aktienrente soll die | |
| arbeitende Bevölkerung entlasten, tut es aber nicht. Die Profite, die für | |
| eine kapitalgedeckte Altersvorsorge gebraucht werden, wirken sich genauso | |
| auf die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung aus wie eine Steuer oder ein | |
| Sozialbeitrag. In einer Gesellschaft, dessen Wohlstandsgewinne | |
| hauptsächlich an die Reichen fließen, ist das demografische Problem in | |
| Wirklichkeit ein Verteilungsproblem. | |
| Das wird besonders deutlich, wenn in Immobilien angelegt wird, wie es die | |
| [2][künftige Managerin des Generationenkapitals, Anja Mikus], ankündigte. | |
| Hier führt ein höheres Investitionsvolumen zu höheren Immobilienpreisen und | |
| damit zu höheren Mieten, welche die Renditen von allen Immobilienfonds | |
| erhöhen, nicht nur von denen, in die das Generationenkapital investiert. | |
| ## Rentenfinanzierung durch höhere Mieten | |
| Eine Krankenschwester finanziert somit durch steigende Mieten die Rendite | |
| von Immobilienfonds, von denen dann nur ein winziger Teil in das | |
| Rentensystem zurückfließen würde. Das heißt, die Krankenschwester muss ein | |
| Leben lang teuer wohnen und damit den Konsumrausch der Großaktionäre | |
| finanzieren, um dann im Alter einen kleinen Teil ihrer eigenen hohen Mieten | |
| zurückzubekommen. Unterm Strich ein mieser Deal, der die Rente insgesamt | |
| belastet, da mit höheren Mieten auch der Spielraum für die private Vorsorge | |
| sinkt. Ebenfalls schwebt Linder vor, Staatsbeteiligungen wie die an der | |
| Deutschen Bahn in den Fonds zu übergeben und damit Renditezielen zu | |
| unterwerfen, welche durch höhere Ticketpreise erzielt werden müssen, die, | |
| nebenbei, der ökologischen Transformation im Weg stehen. Wie wir es auch | |
| drehen, es gibt keine andere Möglichkeit, als die Rente aus dem aktuellen | |
| Einkommen zu finanzieren. | |
| Dies verdeutlicht, dass die demografischen Probleme in einem | |
| kapitalgedeckten System genauso existieren wie in einem Umlagesystem. Wer | |
| nun sagt, der demografische Wandel mache das aktuelle Umlagesystem nicht | |
| nachhaltig, weil immer weniger Beschäftige immer mehr Rentner:innen | |
| versorgen sollen, muss erklären, warum das in einem kapitalgedeckten System | |
| plötzlich funktionieren soll. | |
| Da man Geld bekanntlich nicht essen kann, meinte der ehemalige Chef der | |
| US-Notenbank, Alan Greenspan, sollten wir uns vielmehr die Frage stellen: | |
| „Wie bauen wir ein System auf, welches sicherstellt, dass die realen Güter | |
| und Dienstleistungen hergestellt werden, wenn die Renten ausgezahlt | |
| werden?“ Geld sei lediglich „nice to have“. Ist es nun die Kapitaldeckung | |
| oder die Umlage, die mehr Güter und Dienstleistungen produziert, die auf | |
| Beschäftigte und Rentner:innen aufgeteilt werden können? | |
| Vieles spricht dafür, dass die kapitalgedeckte Altersvorsorge in Wahrheit | |
| das schlechtere Umlagesystem ist. Die Aktienrente produziert Finanzkrisen | |
| statt Wachstum und damit eine stagnierende Wirtschaft, die keine Antworten | |
| auf die globalen Krisen unserer Zeit findet. Warum? | |
| ## Risiko niedrige Zinsen | |
| Zum einen, weil die kapitalgedeckte Rente eine Wirtschaftspolitik der hohen | |
| Vermögenspreise erfordert. [3][Doch da Vermögenspreise fallen, wenn die | |
| Zinsen steigen], braucht eine erfolgreiche Kapitaldeckung niedrige Zinsen, | |
| was wiederum für Instabilität auf den Finanzmärkten sorgt. Einen | |
| Vorgeschmack boten die Turbulenzen [4][im britischen Pensionssystem während | |
| der kurzen Amtszeit der Premierministerin Liz Truss]. Als höhere Zinsen die | |
| Pensionsfonds in Bedrängnis brachten, musste die Bank of England | |
| einspringen und die Altersvorsorge von Millionen Bürger:innen stützen. | |
| Hat die FDP in der Vergangenheit vor der Enteignung der deutschen Sparer | |
| durch die EZB gewarnt, wird sie in der Aktiengesellschaft die lockere | |
| Geldpolitik lieben lernen. | |
| Und zum anderen ist die Aktienrente die schlechtere Option, weil eine auf | |
| Dividenden ausgerichtete Wirtschaft den Anteil der Löhne am | |
| Bruttoinlandsprodukt zugunsten von Profiten weiterhin drücken muss. Das | |
| verstärkt die lang anhaltende Stagnation, in der sich der westliche | |
| Kapitalismus seit vielen Jahrzehnten befindet und welche nur durch die | |
| Kreditbooms der späten 90er und die Jahre vor 2008 unterbrochen wurde. | |
| Da von Profiten ein größerer Teil gespart wird als von Löhnen, wirken sich | |
| Profitpolitiken, wie zum Beispiel geringere Arbeitnehmerrechte, negativ auf | |
| die Nachfrage aus. Eine geringere Nachfrage dürfte dann zu weniger | |
| Beschäftigung und höherer Arbeitslosigkeit führen. Je wichtiger | |
| Aktienerträge werden, desto schlechter werden die Bedingungen, einen Job zu | |
| finden, und desto größer wird die Lücke zwischen Einzahlungen und | |
| Auszahlungen im Umlagesystem. Mit der Aktienrente strampelt Christian | |
| Linder im Treibsand der deutschen Niedriglohnpolitik. | |
| Dem demografischen Wandel kann nur mit einer progressiveren | |
| Arbeitsmarktpolitik begegnet werden. Das heißt vor allem: mit Löhnen, die | |
| sich endlich wieder an der gesellschaftlichen Produktivität orientieren. | |
| Deutschland ist hier ein globaler Außenseiter. Denn das Auseinanderfallen | |
| von Produktivität und Löhnen ist nicht naturgegeben, sondern maßgeblich der | |
| Effekt politischer Entscheidungen, etwa der Agenda 2010. Es ist möglich, | |
| diese Entwicklung rückgängig zu machen. | |
| ## Auf Kosten des Pflegesektors | |
| Ebenso nötig sind massive Investitionen in Bildung. Laut dem | |
| Berufsbildungsbericht der Bundesregierung haben 2,32 Millionen der 20- bis | |
| 34-Jährigen in Deutschland keinen beruflichen Abschluss. Egal wie viel Geld | |
| gespart wird – schlecht ausgebildete Arbeitskräfte werden kein Rentensystem | |
| der Welt stützen können, auch nicht die Aktienrente. Vorsorgen für das | |
| Alter kann nur die Gesellschaft, nicht das Individuum. Worin sich die | |
| individuelle Ersparnis materialisiert, hängt von den Möglichkeiten der | |
| Arbeitskräfte in der Zukunft ab. Für eine hohe Rente muss also nicht | |
| gespart, sondern investiert werden. | |
| Ein weiteres Beispiel ist die Privatisierung des Krankenhaus- und | |
| Pflegesektors, wo große Vermögensverwalter mit desolaten Arbeitsbedingungen | |
| Profite aus dem Pflegepersonal herauspressen – und das, ironischerweise, | |
| häufig für Pensionsfonds. Ein niedriges Einkommen und das Risiko | |
| berufsbedingter Erkrankungen, nur um später eine Rente auf dem Niveau der | |
| Grundsicherung zu erhalten, sind die Gründe, warum immer weniger junge | |
| Menschen eine Ausbildung in diesem Bereich anstreben. Dass Rentner:innen | |
| ihr Einkommen aus Aktienerträgen in dem Maße steigern, wie die | |
| Pflegeinfrastruktur verkommt, zeigt die Widersprüchlichkeit der Aktienrente | |
| auf. | |
| Wie so oft versucht die FDP spezifische Interessen – hier diejenigen der | |
| Versicherungsbranche, der Vermögensverwalter und der Aktionäre – als | |
| kollektives Interesse der deutschen Bevölkerung zu verkaufen, indem sie | |
| Angst vor einem sonst nicht zu bewältigenden demografischen Wandel schürt. | |
| Ein Blick nach Österreich zeigt, dass ein besserer Weg möglich ist: | |
| stärkeres Lohnwachstum, höhere Produktivitätsraten und eine | |
| durchschnittliche Rente, die viel höher ausfällt als in Deutschland – und | |
| das ganz ohne Aktienrente. | |
| 30 Apr 2023 | |
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| [1] /Altersarmut-durch-Aktienrente/!5907592 | |
| [2] https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2023/01/Inhalte/Kapit… | |
| [3] /Angst-vor-Inflation/!5922435 | |
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