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# taz.de -- Plädoyers im NSU-Prozess: Laut Anwalt heißt das Opfer Zschäpe
> Nach fast fünf Jahren hält die Verteidigung von Beate Zschäpe ihr
> Plädoyer: Diese habe keine zentrale Rolle in der Terrorserie gespielt.
Bild: Verteidiger Hermann Borchert und die Angeklagte Beate Zschäpe
München/Berlin taz | Man hatte kaum noch mit dem Plädoyer der Verteidiger
von Beate Zschäpe gerechnet. Fast fünf Jahre wurde in München über die
zehn Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds verhandelt, über die
zwei Sprengstoffanschläge in Köln, die 15 Raubüberfälle. Das Plädoyer der
Bundesanwaltschaft liegt schon mehr als ein halbes Jahr zurück.
Immer wieder sorgten wiederholte Befangenheitsanträge für Verzögerungen,
dann eine Erkrankung Zschäpes, schließlich ein „Familiennotfall“ ihres
Verteidigers. Selbst am Dienstagvormittag, es ist der 419. Prozesstag,
steigt das Gericht auf Antrag eines Anwalts des Mitangeklagten André
Eminger noch einmal in die Beweisaufnahme ein und hört einen Zeugen.
Doch dann, Richter Manfred Götzl hat gerade mal wieder einen Antrag auf
Unterbrechung abgelehnt, erhält Zschäpes Anwalt Herrmann Borchert doch noch
das Wort. Er steht auf, schneuzt sich, setzt ein paarmal die Lesebrille auf
und ab, blättert ein wenig in dem dicken gelben Ordner, richtet sein
Mikrofon und beginnt. Es ist 13 Uhr. Zschäpes Gesicht ist hinter den
herabfallenden Haaren verborgen. Sie hat ein Manuskript des Plädoyers vor
sich liegen, liest mit.
Was die Anklage in ihrem Plädoyer vorgetragen habe, setzt der Anwalt an,
reiche keineswegs aus, die Mittäterschaft Zschäpes an den NSU-Morden zu
begründen. Das lasse sich weder aus den Tätigkeiten noch aus den
Untätigkeiten seiner Mandantin ableiten. Auch nicht aus ihrem Charakter
oder ihren politischen Aktivitäten vor dem Abtauchen in den Untergrund.
„Sie hatte die beiden Männer im Griff.“ Das habe die Bundesanwaltschaft
Zschäpe vorgehalten. Doch sei dies nichts als die kritiklose Übernahme
eines Zitats eines Zeugen gewesen, liest Borchert. Wie die Macht ausgesehen
haben soll, die Zschäpe angeblich über „die beiden Uwes“ ausgeübt habe,
bleibe die Bundesanwaltschaft zu erklären schuldig. „Anzunehmen, dass die
beiden Uwes vor meiner Mandantin gekuscht hätten, erscheint geradezu
absurd.“
Auch könne man die ihr attestierte Charakterstärke nicht als Indiz dafür
werten, dass sie sich in jeder Hinsicht gegenüber Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt habe durchsetzen können, fährt Borchert fort. Schließlich habe
man keinerlei Hinweise, über welche Charakterstärke die beiden Männer
verfügt hatten. „Was nützt Charakterstärke, wenn diese gegenüber dem
Lebenspartner keine Wirkung erzielt?“
## Bundesanwaltschaft: „Tarnkappe“ und Logistikerin
Die Anklage wirft Zschäpe die volle Mitschuld an allen NSU-Taten vor,
obwohl sie an keinem Tatort gesehen wurde. Der Prozess habe alle Vorwürfe
bestätigt, Zschäpe sei die Logistikerin und „Tarnkappe“ des NSU-Trios
gewesen, legte die Anklage in ihrem Plädoyer dar. Zudem habe sie, als sie
den letzten Unterschlupf in Zwickau in Brand setzte, versuchten Mord
begangen. Die Forderung: lebenslange Haft mit Sicherungsverwahrung. Die
Höchststrafe.
Borchert geht auf die angebliche Aufgabenteilung des Trios ein, hält auch
hier die Darstellung der Anklage für wenig überzeugend. So habe sie „die
Aufgabe als Kassenwart nicht nur schlecht, sondern gar nicht erfüllt“. Zwar
könne man der Bundesanwaltschaft in der Einordnung Zschäpes als „Tarnkappe�…
folgen. Schließlich habe sich Zschäpe damals längst für ein Leben
entschieden, das durch Raubüberfälle finanziert werden sollte.
Der Vorwurf, die Beschaffung von falschen Papieren, einer Wohnung et cetera
diene nur dem Zweck, rassistische Morde zu begehen, lasse sich allerdings
mit nichts begründen. Auch hinreichende Indizien dafür, dass Zschäpe selbst
das Bekennervideo erstellt habe und dass es innerhalb des Trios einen
„uneingeschränkten Wissensaustausch“ gegeben habe, wollte Borchert nicht
sehen. Von einer „essentiellen Rolle“ seiner Mandantin könne keine Rede
sein.
Überhaupt entspreche der Vorwurf, Zschäpe habe jede Beteiligung an den
Taten ihrer beiden Freunde abgestritten, nicht den Tatsachen. „Sie hat sehr
wohl die Übernahme von Verantwortung bekundet.“ Sie habe sich als moralisch
schuldig dafür bekannt, dass sie zehn Morde nicht habe verhindern können,
dass sie auf Böhnhardt und Mundlos nicht entsprechend habe einwirken
können. Und sie habe sich aufrichtig bei allen Opfern entschuldigt. Aber
diese Erklärung sei von der Anklage ignoriert worden.
## Eintreten für den bewaffneten Kampf
Die 43-Jährige hatte ihren Anwalt im Dezember 2015 eine Erklärung verlesen
lassen, in der sie alle Taten auf Mundlos und Böhnhardt schob. Sie habe von
den Morden stets erst im Nachhinein erfahren und diese nicht gewollt, sich
aber nicht aus der Abhängigkeit ihrer Kumpanen befreien können.
Die Bundesanwaltschaft hatte diese Darstellung nicht gelten lassen wollen.
Von einer unterdrückten Stellung Zschäpes habe kein Zeuge berichtet,
betonten ihre Vertreter. Auch Urlaubsfotos der Untergetauchten hätten die
Angeklagte stets fröhlich gezeigt. Zudem sei Zschäpe früher selbst für
einen bewaffneten Kampf eingetreten, lief mit einer Pistole herum. Wann es
einen Bruch mit dieser Haltung gegeben haben soll, sei nicht erkennbar.
Borchert bemüht sich jedoch, seine Mandantin als Opfer darzustellen. Als
Opfer nicht nur ihrer beiden Freunde, sondern auch als Opfer der Anklage,
der Nebenkläger und der Presse. Egal, was Zschäpe sage, sie sei in deren
Auge unglaubwürdig. Deshalb habe sie große Charakterstärke gezeigt, als sie
sich entschieden habe, ihr Schweigen zu brechen. Aus eigener Überzeugung
habe sie sich damals gegen ihre ursprünglichen Verteidiger gestellt und die
bisherige Verteidigungsstrategie „über den Haufen geworfen“ – im Wissen,
dass niemand ihren Ausführungen Glauben schenken würde.
## Plädoyers auch von Zschäpes alten Anwälten
Bereits im Sommer 2014 hatte sich Zschäpe mit den Anwälten Anja Sturm,
Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl überworfen, wollte sie feuern. Das Gericht
lehnte ab, weil sonst der Prozess geplatzt wäre. Ein Jahr später aber
gewährten die Richter Zschäpe einen neuen Anwalt: Mathias Grasel. Und der
lässt sich von Borchert unterstützen.
Die beiden haben jedoch zentrale Teile der Beweisaufnahme verpasst. Grasel
fiel im Prozess vor allem durch sein Schweigen auf – während sich die
Altverteidiger weiter ins Geschehen einmischten. Nur einmal dominierte
Grasel das Prozessgeschehen: Er gewann den Freiburger Psychiater Joachim
Bauer als Gutachter. Der attestierte Zschäpe, dass sie krankhaft abhängig
von Böhnhardt und deshalb schuldunfähig gewesen sei. Doch das Gericht
erklärte Bauer für befangen. Ein Debakel.
Ob Zschäpe das jetzige Plädoyer hilft, ist zweifelhaft. Die Frage bleibt:
Kann es sein, dass das Trio fast 14 Jahre gemeinsam auf engstem Raum lebte
und Zschäpe von den Mordplänen nichts mitbekam? Eine Frage, die auch die
Opferanwälte mehrfach aufwarfen. Mehrere Hinterbliebene hatten Zschäpe
zuletzt vorgeworfen, zu lügen und nichts zur Aufklärung des NSU-Terrors
beizutragen.
Borchert ergriff in seinem Schlussvortrag auch die Chance, den drei
Vorgängern noch eins mitzugeben: 248 Hauptverhandlungstage lange habe sich
Zschäpe nicht geäußert, sich stets mit dem Rücken zur Presse gesetzt,
Blickkontakt zu Zeugen und Hinterbliebenen vermieden. Doch dieses
Prozessverhalten, das die Anklage nun ebenfalls als Indiz für eine
Täterschaft werte, habe sie nach eigener Stellungnahme nur an den Tag
gelegt, weil ihr dies anwaltlich geraten worden sei.
Das Plädoyer soll am Mittwoch fortgesetzt werden. Dann kommt auch Grasel zu
Wort. Die drei Altverteidiger werden dann ein eigenes Plädoyer halten – für
eine Angeklagte, die seit Jahren nicht mit ihnen spricht.
24 Apr 2018
## AUTOREN
Dominik Baur
Konrad Litschko
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