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# taz.de -- Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag: Aufbruch in Anführungszeichen
> Die SPD kürt Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten. Der verspricht, aus
> Träumen Politik zu machen. Das wird kompliziert.
Bild: Kanzlerkandidat Olaf Scholz auf dem Parteitag: Schattige Aussichten für …
Vieles ist wie immer. DGB-Chef Reiner Hoffmann lobt als Gast routiniert die
SPD-Politik in der Groko. Das gehört zum [1][SPD-Parteitag] wie das Amen
zur Kirche. Generalsekretär Lars Klingbeil versucht Optimismus zu
verströmen und ruft: „Heute ist der Tag, an dem die Aufholjagd beginnt.“ Es
ist viel von Aufbruch die Rede. Es sind die üblichen Beschwörungsformeln
und Selbstermunterungen. [2][Die SPD hat sie nötig].
Manches ist auch anders, nicht nur die erschütternden Umfragen. Die SPD
machte es eher kurz. Es gibt nur gut 600 Anträge – nur ein Drittel des
Üblichen. Das Wahlprogramm hat auch nur 49 Seiten, weniger als halb so
viele wie 2017. Es ist ja unschön, dass die Programme immer länger und die
Wahlergebnisse immer kläglicher werden. Nach knapp vier Stunden soll alles
vorbei sein. Ohne viel Debatte. Es kommt etwas anders. Beim Klima gibt es
so etwas wie Streit.
Knapp 600 GenossInnen sind digital dabei. Die Bühne in einem leeren
Berliner Kongresszentrum ohne Publikum ist wie ein Triptychon dreigeteilt.
Links speist das Tagungspräsidium die Anträge störungsfrei in die
Abstimmungsmaschine ein. Rechts sind Lars Klingbeil, Rolf Mützenich, Saskia
Esken und Norbert Walter-Borjans in roten Sesseln platziert. Sie sitzen vor
einer Holzwand und drei großen roten Lettern: SPD. Rot und Holz sollen warm
wirken und eine Art gemütliche Seriosität verbreiten. Programm im
Plauderton. Die Grünpflanzen wirken indes etwas pflichtschuldig ins Bild
drapiert.
Die SPD wickelt in dem Programm weiter die Agenda 2010 ab. Zentimeterweise.
Hartz IV soll amtlich durch ein Bürgergeld ersetzt werden. Das klingt
freundlicher. Bezieher haben aber weiterhin „Mitwirkungspflichten“ – von
einem bedingungslosen Grundeinkommen hält die SPD als Partei der Arbeit
nicht viel. Wie hoch das Bürgergeld sein soll, bleibt offen. Anders beim
Mindestlohn: Der soll auf 12 Euro steigen.
## Vermögenssteuer soll her
Die Agenda-Aufräumarbeiten sind noch immer nicht ganz fertig. Die
Riester-Rente, eine besonders teure Ruine der Agenda-Ära, von der
Versicherungskonzerne profitierten, soll abgeschafft werden.
Etwas schwammig ist die Haltung zur Schuldenbremse. Die SPD hat sich zwar
von der Schwarze-Null-Ideologie gelöst. Die Schuldenbremse aber bleibt
unangetastet. Dafür soll die Vermögenssteuer, ein Evergreen auf
SPD-Parteitagen, her. Sehr Reiche sollen 1 Prozent pro Jahr abgeben. Wer
als sehr reich gilt, verrät das Wahlprogramm aber nicht. Es verbindet Ideen
der SPD-Linken mit Beinfreiheit für einen möglichen Kanzler Scholz.
Eilig nachgebessert hat die SPD nach dem [3][Karlsruher Urteil noch beim
Klima]. Die Republik soll schon 2045, nicht erst 2050, klimaneutral sein.
Deutschland soll 2030 65 Prozent weniger CO2 ausstoßen, nicht nur 55
Prozent. Dabei setzt man auf „verbindliche Ausbauziele“ für erneuerbare
Energien – ein Stich Richtung Unionsländer Bayern und Baden-Württemberg, wo
der Ausbau zu wünschen übrig lässt. Den CO2-Preis, einen Hebel der
Ökowende, will die SPD nicht anfassen. Fraktionsvize Matthias Miersch warnt
vehement vor einem Wettlauf um Jahreszahlen und einen höheren CO2-Preis.
Mehr als die 25 Euro derzeit würden „alle überfordern“, die wenig haben.
Aber reicht es anzustreben, was auch CDU-Mann Armin Laschet will? Die
Umweltexpertin Nina Scheer und der bayerische SPD-Chef Florian von Brunn
wollen schneller umsteigen. Die Wirtschaft solle schon 2040 komplett
klimaneutral sein. Es ist, neben einem Versuch, regionale Mietendeckel zu
erlauben, der einzige Streitpunkt. Ein Drittel der GenossInnen sehen es wie
Scheer, 70 Prozent folgen der Parteitagsregie.
## Wenig wärmende Passagen
Dann kommt, 90 Minuten später als geplant, Olaf Scholz. Es ist seine
Krönungsmesse. Weißes Hemd, Anzug, er hält das Mikro fest umklammert und
versucht, werbend zu wirken. Er redet mit den Händen und lässt Kunstpausen.
Er soll der Partei endlich nutzen. Der Vizekanzler ist trocken, nüchtern.
Er ist niemand, dem Sympathien zufliegen. Ein Mann der Akten, kein
Rhetoriker. Kann er auch anders? Gefühle mobilisieren?
Scholz inszeniert sich wie immer als Macher. Allerdings sprachlich weniger
technokratisch und verholzt als sonst. Um „gute Ideen zu verwirklichen,
braucht es die Erfahrung, einen Regierungsapparat zu steuern“, sagt er. Nur
so könne man „aus Träumen Politik machen“. Das ist eine der wenigen
wärmenden Passagen der Rede.
Und er wirbt für eine Art sozialdemokratischer Moral. Respekt heiße, nie
„verächtlich auf andere herabzusehen, weil man reicher, gebildeter oder
problembewusster“ sei.
Der SPD-Kandidat will, dass Mieten bundesweit nur so viel wie die Inflation
steigen dürfen. Beim Klimawandel gibt er sich volksnah. „Ein hoher
CO2-Preis heißt, dass Heizöl und Mieten teurer werden“, sagt er. „Die
MieterInnen und Mieter können dann entweder mehr zahlen – oder weniger
frieren.“ Das wolle die Union. Die SPD ist hingegen, so die Botschaft, im
Zweifel für die Durchschnittsbürger da, für das Allgemeine, nicht für das
Besondere.
Scholz’ Klage über den „Fortschritts-Stau“ klingt indes etwas hohl. Die …
regiert seit zwanzig Jahren fast immer mit. Scholz’ in der SPD viel gelobte
Erfahrung, die ein Königsargument der Kampagne werden soll, hat einen
Malus. Ist er, der seit Jahren mitregiert, nicht auch Teil dieses
Fortschritts-Staus? Die Aufbruchsrhetorik, mit der die SPD in den Wahlkampf
zieht, sie hat Anführungszeichen.
9 May 2021
## LINKS
[1] /Vor-dem-SPD-Parteitag/!5765505
[2] /Die-Zukunft-der-SPD/!5770554
[3] /Wirtschaftsminister-zum-Klimaschutz/!5765429
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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