| # taz.de -- Vor dem SPD-Parteitag: Die stille Hoffnung der SPD | |
| > Auf ihrem Onlineparteitag wollen die Sozialdemokraten die Aufholjagd zu | |
| > Grünen und Union ausrufen. Dazu müssen sie ihren Reformwillen | |
| > herausstellen. | |
| Bild: Olaf Scholz | |
| Parteitage, auf denen es nicht viel kontrovers zu besprechen gibt, sollen | |
| im Wahljahr meist Folgendes: schöne Bilder liefern, die eigenen Leute | |
| motivieren, einen PR- und Stimmungsturbo zünden. Schon damit wird es | |
| happig, wenn die SPD am Sonntag ihren Konvent abhält: Er ist digital, die | |
| Teilnehmer sitzen alleine daheim vor dem Rechner. | |
| [1][Die Sozialdemokratie hat einen Kanzlerkandidaten], zwei Vorsitzende, in | |
| den vergangenen eineinhalb Jahren nichts wirklich falsch gemacht und ist | |
| geschlossen wie lange nicht – und hängt in Umfragen doch bei knapp 15 | |
| Prozent fest. Bleibt es dabei, wirkt der Wahlkampf für das Publikum als | |
| Duell zwischen Union und Grünen, was sich zwangsläufig auf die Frage | |
| zuspitzt: Wer soll Kanzler*in werden – Laschet oder Baerbock? | |
| Das hat dann zur Folge, dass unentschlossene Wählerinnen und Wähler für den | |
| Favoriten/die Favoritin stimmen werden, der oder die ihnen noch am ehesten | |
| zusagt. Um also ein Debakel zu vermeiden, muss die SPD unbedingt aus dem | |
| Zweikampf einen Dreikampf machen. Denn wenn du in der von Umfragen | |
| getriebenen Demokratie lang genug wie der Verlierer aussiehst, wirst du es | |
| auch. | |
| Wenn die SPD noch ins Spiel kommen will, muss sie irgendwann mit ihren | |
| Konkurrenten in einem einigermaßen vergleichbaren Prozentbereich rangieren. | |
| Das ist nicht unmöglich. Aber alle strategischen Überlegungen dazu haben | |
| auch ihren Pferdefuß. | |
| ## Scholz hat sich neu erfunden | |
| Erstens: Die Sozialdemokratie ist in den vergangenen Jahren maßvoll, aber | |
| markant nach links gerückt. Sie propagiert umfangreiche öffentliche | |
| Investitionen, rückt von der schwarzen Null ab, streitet erkennbar für mehr | |
| Ordnung am Arbeitsmarkt, für Mindestlöhne und tariflich geregelte | |
| Arbeitsverhältnisse und gegen Prekarität und Hungerlöhne in Problembranchen | |
| wie der Fleischproduktion. | |
| „Der geheime Scholz“, titelte erstaunt etwa die Frankfurter Allgemeine | |
| Sonntagszeitung über den Kanzlerkandidaten, der sich neu erfunden hat. Olaf | |
| Scholz selbst hat sein Finanzministerium zum [2][Thinktank eines | |
| europäischen Keynesianismus] umgebaut und mit der neuen | |
| US-Administration und „Bidenomics“ jetzt auch globalen Rückenwind für ein… | |
| Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik. | |
| An die Stelle von Trickle-down-Märchen tritt eine Wirtschafts- und | |
| Sozialpolitik, die die Gesellschaft wieder von unten aufbaut. Das – | |
| ordentliche Jobs, ordentliche Löhne und dazu auch die Anerkennung und die | |
| Würde, die den arbeitenden Klassen in den vergangenen Jahrzehnten versagt | |
| war – soll auch die Botschaft an jene Teile der Bevölkerung sein, die die | |
| Sozialdemokratie am meisten brauchen. Deswegen hat Scholz „Respekt“ auch | |
| zur zentralen Botschaft seines Wahlkampfs gemacht. | |
| Das Problem dabei ist aber zweierlei: Die Agendapolitik hängt der SPD | |
| bleischwer nach. Und Olaf Scholz hat das Problem, dass fast niemand mit ihm | |
| eine gesellschaftspolitische Semi-Revolution verbinden will. Das tat zwar | |
| vor fünf Monaten mit „Sleepy Joe“ auch niemand. Aber der hatte es aufgrund | |
| des amerikanischen Wahlsystems und seines Gegners leichter. | |
| ## Vorsicht vor Hypes! | |
| Zweitens: Armin Laschet ist ein schwacher Unions-Kandidat, dem nicht einmal | |
| seine Parteifreunde sonderlich viel zutrauen, und [3][Annalena Baerbock hat | |
| gerade einen Hype], wird ab nun aber im Kreuzfeuer der Konkurrenz stehen. | |
| Dass Hypes ziemlich traurig enden können, weiß man noch vom entgleisten | |
| Schulz-Zug. Das ist die stille Hoffnung der SPD. | |
| Drittens: Nach der Pandemie wird das Sicherheitsbedürfnis auch in der Mitte | |
| der Gesellschaft groß sein. Mit Scholz, der seit Menschengedenken | |
| mitregiert und Finanzminister sowie Vizekanzler ist, setzt die SPD darauf, | |
| dass die „Merkel-Wähler“ diesmal auf ihre Seite gezogen werden können. Man | |
| betont, dass die Vorsichtigen bei Scholz wüssten, dass er „Kanzler kann“. | |
| Doch noch nie hat ein progressiver Kandidat das höchste Regierungsamt neu | |
| erobert, der nur Erfahrung verkörperte und nicht auch Wandel versprach. | |
| Man soll Umfragen nicht überbewerten, aber dass 27 Prozent der Wählerinnen | |
| und Wähler im Augenblick bekunden, die Grünen wählen zu wollen, ist | |
| immerhin ein Indiz dafür, dass viele Menschen gar keine so große Aversion | |
| gegen Experimente und Neues haben. Erwartet wird beides im Moment aber vor | |
| allem von den Grünen. | |
| Die SPD wird ihnen diese Botschaft nicht überlassen dürfen, wenn sie | |
| erfolgreich sein will. Olaf Scholz wird sie jedoch nicht gut verkörpern | |
| können. Die Sozialdemokratie wird neue Gesichter um den Kanzlerkandidaten | |
| gruppieren müssen, die Jugend, Frische und einen neuen Stil repräsentieren. | |
| Das wird aus der Groko heraus nicht leicht zu vermitteln sein. | |
| ## 35 Prozent – oder nur 11? | |
| Dahinter liegt das Grundproblem der Sozialdemokratie: Ihre Stärke war | |
| immer, dass sie eine große, aber spannungsgeladene Allianz verschiedener | |
| Milieus war: der arbeitenden Klassen, die höhere Löhne, mehr Sicherheit im | |
| Leben, Aufstieg und Respekt wollen; und der urbanen Mittelschichten, die | |
| dazu auch noch demokratische Erneuerung, gesellschaftliche Liberalität und | |
| Modernisierung wünschen. | |
| In den ersten Segmenten steht die Sozialdemokratie nicht mehr mit der | |
| nötigen Glaubwürdigkeit da. Für die – wachsenden – urbanen Segmente gibt… | |
| mehr politische Konkurrenz. Das macht Siege nicht unmöglich, aber alles | |
| sehr volatil: Zwischen den 35 Prozent, die die SPD letzthin in | |
| Rheinland-Pfalz holte, und den 11 Prozent von Baden-Württemberg klaffen | |
| Galaxien. | |
| Sonnenklar ist, was die SPD tun sollte: Sie muss Olaf Scholz als den | |
| [4][Joe Biden Deutschlands] positionieren, mit mehrheitsfähiger Ansprache | |
| für all jene, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Und um ihn | |
| herum ein paar tolle junge Leute, die das Morgen verkörpern. Ein Dreikampf | |
| um die Nummer eins wäre jedenfalls das Spannendste, was die deutsche | |
| Politik seit langer Zeit erlebt hat. | |
| 6 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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