# taz.de -- Wahlprogramm der SPD: Kein Plan, nirgends | |
> Olaf Scholz ist Finanzminister – hat aber im Wahlkampf kein | |
> Steuerkonzept. Und: Es bleibt unklar, wie die SPD den Klimaschutz | |
> finanzieren will. | |
Bild: Olaf Scholz möchte gerne Kanzler werden, aber inhaltlich bietet seine Pa… | |
Olaf Scholz ist Finanzminister. Das weiß zwar jeder, es muss aber trotzdem | |
betont werden. Denn von einem Kanzlerkandidaten, der zugleich | |
Finanzminister ist, ließe sich erwarten, dass er ein sauber gerechnetes | |
Wahlprogramm vorlegt. Falsch gedacht. Das SPD-Programm umfasst zwar 65 | |
Seiten, besteht aber fast nur aus vagen Absichtserklärungen. | |
Auch die SPD scheint zu wissen, dass sie inhaltlich wenig bietet. Sie | |
verkauft kein Programm, sondern eine Person. Der Wahlkampf ist auf Scholz | |
zugeschnitten, der stolz von sich sagt: „Ich kann es.“ Eine Vision wird gar | |
nicht erst formuliert, jedenfalls nicht für die Gesellschaft. Den Wählern | |
muss genügen, dass Scholz ein Ziel für das eigene Leben hat: „Ich will | |
Kanzler werden.“ | |
Die SPD sekundiert brav. Die Losung heißt: „Scholz ist erfahrungs- und | |
entscheidungsstark.“ Allerdings weiß auch die SPD, dass es nicht völlig | |
ohne Programm geht. Also wird nachgeschoben: „Wir haben einen Plan, | |
inhaltlich gute Antworten.“ | |
Doch dieses Programm wirkt in seinen konkreten Passagen, als könnte es auch | |
von den [1][Grünen] stammen. Einige Beispiele: Die SPD will ein Tempolimit | |
von 130 Stundenkilometern – die Grünen auch. Die SPD will einen Mindestlohn | |
von 12 Euro – die Grünen auch. Die SPD strebt eine Bürgerversicherung an – | |
die Grünen auch. | |
## SPD klebt an der schwarzen Null | |
Es existiert nur ein einziger markanter Unterschied: Die SPD will an der | |
Schuldenbremse festhalten. Die Partei klebt an der „schwarzen Null“, als | |
hätte sie diesen Unsinn persönlich erfunden. So war es natürlich auch – die | |
Schuldenbremse fand ihren Weg 2009 ins Grundgesetz, als Scholz | |
Arbeitsminister war. | |
Da die SPD auf der „schwarzen Null“ beharrt, stellt sich zwingend die | |
Frage, wie sie ihre Projekte finanzieren will. Denn, wie gesagt, an | |
Absichtserklärungen fehlt es nicht. Unter anderem will man die Stromnetze | |
ertüchtigen, Ladesäulen für E-Autos errichten, Bahnstrecken ausbauen, | |
Schulen modernisieren, die Verwaltung digitalisieren, Forschung | |
unterstützen und jährlich 100.000 Sozialwohnungen bauen. Gleichzeitig soll | |
die klimaneutrale Speichertechnologie vorankommen und die | |
Wasserstoffproduktion steigen. | |
Das alles sind teure Projekte, aber zur Gegenfinanzierung sagt die SPD | |
nichts. Sie hofft zwar, dass es demnächst zu einer Finanztransaktionsteuer | |
kommt. Doch so sinnvoll dieses Projekt wäre – bisher ist es stets an | |
internationalen Widerständen gescheitert. Ähnlich ist es mit einer | |
Mindeststeuer für globale Unternehmen, die die SPD fordert und die auch | |
US-Präsident Biden voranbringen will: Man kann sich nicht darauf | |
verlassen, dass dieses Vorhaben zeitnah gelingt. Die OECD arbeitet schon | |
seit Jahren daran. | |
Nur eine Zahl ragt aus dem Finanznebel heraus. Die SPD will eine | |
Vermögensteuer von einem Prozent einführen. Allerdings fehlt, wann diese | |
Steuer greifen würde. Kleiner Tipp: Die Grünen schlagen einen individuellen | |
Freibetrag von zwei Millionen Euro vor. Vielleicht sollte die SPD diesen | |
Passus einfach kopieren. | |
## Auch zu Einkommensteuern nur vage Ansagen | |
Wie vage das SPD-Programm beim Thema Finanzen ist, zeigt sich auch bei den | |
Einkommensteuern. Dort heißt es: „Wir wollen die Steuern für die Mehrheit | |
senken. Wir werden eine Einkommensteuerreform vornehmen, die kleine und | |
mittlere Einkommen besserstellt … und dafür im Gegenzug die oberen fünf | |
Prozent stärker für die Finanzierung der wichtigen öffentlichen Aufgaben | |
heranziehen.“ | |
Die meisten WählerInnen wüssten sicher gern, ab welchem Einkommen welche | |
Steuersätze fällig werden. Doch diese interessanten Angaben fehlen. Noch | |
einmal zur Erinnerung: Scholz ist Finanzminister. Den vagen SPD-Sätzen ist | |
nur zu entnehmen, dass die Einkommensteuer nicht dazu dienen soll, die | |
ehrgeizigen Projekte beim Klimaschutz oder beim sozialen Wohnungsbau zu | |
finanzieren. Denn die geplante Reform wäre aufkommensneutral. Reiche werden | |
belastet, Ärmere entlastet. | |
Damit stellt sich wieder die lästige Frage danach, wie die SPD den | |
Klimaschutz oder den Wohnungsbau stemmen will. In Interviews erweckt Scholz | |
gern den Eindruck, dass Geld kein Problem sei, weil er schon in dieser | |
Legislaturperiode höchstpersönlich dafür gesorgt habe, dass jedes | |
Jahr Investitionsmittel von 50 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. | |
50 Milliarden – das klingt ordentlich, ist aber eine Milchmädchenrechnung. | |
Denn große Teile dieses Geldes fließen nicht in neue Projekte, sondern | |
dienen dazu, die bestehende Substanz zu erhalten und Gebäude oder Straßen | |
zu reparieren. Zählt man Bund, Länder und Gemeinden zusammen, dann waren | |
2020 netto nur acht Milliarden Euro übrig, um neue Investitionen | |
anzuschieben. Das ist fast nichts. | |
## Realität wird zur Vision erklärt | |
Selbst diese magere Summe dürfte bald fehlen. Denn die Schuldenbremse | |
verlangt, dass die Coronakredite getilgt werden – was ab 2026 allein den | |
Bund jährlich 18 Milliarden Euro kostet, sodass dann für Investitionen kein | |
Geld bleibt. | |
Wie man es richtig macht, zeigen erneut die Grünen: Sie wollen die | |
Schuldenbremse behalten, aber reformieren. Kredite sollen möglich sein, | |
wenn sie Investitionen finanzieren. Denn das Vermögen des Staates steigt | |
ja, wenn er etwa die Energiewende vorantreibt. Schulden machen also reich, | |
nicht arm. | |
Scholz kennt dieses Argument, will aber an der Verfassung nicht rütteln: Es | |
wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig, um die Schuldenbremse aus dem | |
Grundgesetz zu entfernen. Zumindest Scholz kann sich nicht vorstellen, dass | |
diese Mehrheit zustande kommt. Also muss die [2][Schuldenbremse] bleiben, | |
und die Realität wird zur Vision erklärt. | |
Dieser Fatalismus bringt das SPD-Dilemma auf den Punkt. Machbar ist | |
angeblich nur, was immer gemacht wurde. Dafür steht auch Scholz, wenn er | |
permanent auf seine bisherige Expertise pocht: Die Vergangenheit soll | |
zugleich die Zukunft sein. | |
14 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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