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# taz.de -- Obdachlose in Hamburg: Angezählte Osteuropäer
> Eine Befragung soll nichtdeutsche Obdachlose in den Blick nehmen.
> Befeuert das die Debatte über die Konkurrenz zwischen einheimischen und
> zugereisten Obdachlosen?
Bild: Konkurrenz auch um Schlafplätze: Obdachloser auf St. Pauli
HAMBURG taz | Ab heute werden Hamburgs Obdachlose gezählt: Vom 19. bis 25.
März werden Sozialarbeiter und Streetworker im Auftrag der Sozialbehörde
die Runde bei Hamburgs Obdachlosen machen, um sie zur freiwilligen
Teilnahme an einer „Untersuchung zu obdach- und wohnungslosen Menschen“ zu
bewegen.
Nach Geschlecht, Alter und Nationalität soll dabei gefragt werden, wobei
der Fokus diesmal laut Behörde auf nicht-deutschen Obdachlosen liegen soll.
„Wir brauchen eine neue Erhebung, weil sich die Zusammensetzung der
Obdachlosenszene verändert hat“, sagt Behördensprecher Marcel Schweitzer.
„Die letzte Erhebung stammt aus dem Jahr 2009, der Anteil osteuropäischer
Obdachloser ist seit der EU-weiten Freizügigkeit 2011 aber stark
gestiegen.“
Und während die Behörde keine aktuellen Zahlen nennt, sagt Sozialarbeiter
Stephan Karrenbauer vom Obdachlosenmagazin „Hinz und Kunzt“, der Anteil der
Obdachlosen etwa aus Polen, Bulgarien und Rumänien liege derzeit bei rund
75 Prozent.
Warum man das Augenmerk diesmal auf Nichtdeutsche richtet, sagt der
Behördensprecher nicht so klar. Man wolle „das bestehende Hilfesystem
überprüfen“, erklärt er. Tatsache ist aber, dass derzeit eine Debatte über
die Konkurrenz einheimischer und osteuwropäischer Obdachloser tobt und
Hamburg eine recht harte Linie verfolgt: Rund 100 Osteuropäern wurde
diesmal der Zugang zum Winternotprogramm verwehrt.
Das ist kein Einzelfall; bundesweit diskutiert wurde jüngst das Vorgehen
der Essener Tafel, deren Veranstalter zeitweilig einen Aufnahmestopp für
Ausländer verhängt hatten. Dass die Hamburger Erhebung – die ob ihrer
Freiwilligkeit sowieso keine belastbaren Zahlen liefern wird – jenen in die
Hände spielt, die gegen osteuropäische Obdachlose agitieren, ist für die
Sozialbehörde kein Thema.
## Es geht ums Geld
De facto geht es aber durchaus ums Geld, denn viele Obdachlose sind nicht
krankenversichert, sodass für Notfälle die Sozialbehörde aufkommt. Deshalb
sei es ein Ziel der Studie, mehr über die Krankenversicherungen von
EU-Bürgern zu erfahren, sagt Schweitzer: „Die Einzelabrechnung der
Notfallversorgung ist bislang zu bürokratisch.“ Konkret heißt das, dass die
Behörde bei jedem im Ausland Versicherten das Geld aufwendig von dort
zurückfordern muss.
Viele deutsche Obdachlose wiederum hätten, da einst werktätig, durchaus das
Recht auf Krankenversicherung, scheuten sich aber, dort vorzusprechen.
„Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten, damit sie sich anmelden und
eine Versicherungskarte beantragen“, sagt Schweitzer. „Viele scheuen diesen
Behördengang – teils aus Scham, teils aufgrund anderer persönlicher
Probleme.“
Bleiben jene Osteuropäer, die nirgends krankenversichert sind und für deren
Behandlung gleichfalls die Sozialbehörde zahlt. „Hier beginnt das Dilemma“,
sagt Schweitzer. „Das Gesetz sagt: Diese Menschen haben keinen Anspruch auf
staatliche Hilfe, allenfalls auf eine Rückfahrkarte. De facto können wir
sie aber nicht im Stich lassen und tun das auch nicht.“ Daran werde die
neue Erhebung nichts ändern.
## Verbesserte Akutversorgung
So sieht es auch Sozialarbeiter Karrenbauer, der froh ist, dass die vier
inzwischen eröffneten Schwerpunktpraxen für Wohnungslose zumindest die
Akutversorgung verbessert haben.
Ungelöst bleibe aber – und das bestätigt Dirk Hauer, Leiter des
Fachbereichs Migration und Existenzsicherung im Diakonischen Werk – die
Wohnungssituation. Sie habe sich nach keiner der bisherigen Erhebungen von
1996, 2002 und 2009 verbessert. „Das darf nicht wieder passieren“, fordert
Stephan Karrenbauer.
Eigenartig ist zudem, dass erstmals auch Menschen in Wohnunterkünften
befragt werden. Ob sie die Fachstellen kennen, die von Kündigung bedrohten
Mietern helfen, will die Untersuchung erheben. Auf den Einwand, diese
Information komme für Obdachlose reichlich spät, sagt Schweitzer:
„Letztlich geht es darum, dass die Behörde erfährt, wie sie ihre Angebote
verbessern und effektiver kommunizieren kann.“
19 Mar 2018
## AUTOREN
Petra Schellen
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