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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Bei Osteuropäern hört die Liebe auf
> An Weihnachten sind wir mitfühlend, sogar mit Obdachlosen – aber nur mit
> „unseren“. Kommen sie aus Osteuropa und haben einen Hund, wittern wir
> Betrug.
Bild: Obdachlos, mit Hund – aber ost- oder westeuropäisch? Das ist hier die …
Man kennt es aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens, wo der
geizige Ebenezer Scrooge keinen Cent für die Armen und Bedürftigen spendet.
Aber dann geht er durch die harte Schule der drei Geister und wird vor
Schreck großzügig. Die notwendige Wohltätigkeit vor Weihnachten kommt in
den meisten Weihnachtsgeschichten vor. Die Botschaft lautet ungefähr so:
Wenn du selber dich vollfrisst, dann gib auch den Armen ein bisschen was
ab.
An Weihnachten sollen wir unsere Herzen öffnen. Deshalb geben wir dem
Paketlieferanten was in die Hand, kaufen dem Mann mit der
Obdachlosenzeitung ein paar mehr Zeitungen ab oder spenden an Unicef, wie
jedes Jahr. Erst wenn wir das getan haben, fühlen wir unser Gewissen soweit
beruhigt, dass wir selber uns dem Überfluss hingeben können. Wir wollen
kein Scrooge sein, sondern der freundliche und großzügige Neffe Fred.
Wir sind mitfühlend an Weihnachten, es sei denn es geht um Osteuropäer. Ich
selbst habe mich lange als Ostdeutsche fühlen müssen, und als Ostdeutsche
war ich ja, in gewisser Weise, auch eine Osteuropäerin. Osteuropäer,
erfährt man aus der Presse, treten in Banden auf. Sie brechen in
Einfamilienhäuser ein und räumen sie leer. Sie sind organisiert, beim
Betteln zum Beispiel. Sie kommen in Bussen angefahren, wo ihnen kleine
Krücken verteilt werden, dann humpeln sie organisiert durch die Straßen und
graben das mächtige Bettelgeld ab.
## Der Osteuropäer ist verlogen und ergaunert sich Geld
Wer ist der „Osteuropäer“, wie sieht er aus und was sind seine
Eigenschaften? Er ist verlogen und er ergaunert sich von den Westeuropäern
Geld mithilfe von kleinen Krücken oder zum Beispiel Hunden. Die Hunde, das
erfährt man aus der Presse, die werden in Hamburg derzeit an die
Osteuropäer verteilt, damit sie besser betteln können. Die armen Hunde
müssen stundenlang in der Kälte in den Fußgängerpassagen sitzen und
gezwungenermaßen mitbetteln. Sie sollen die Menschen mitleidiger machen,
denn die Menschen sind Hunden gegenüber anscheinend mitleidiger als
gegenüber Osteuropäern.
Der Grund ist folgender: „Die Hunde können ja nichts dafür.“ Die meisten
Menschen halten Hunde für die besseren Menschen. Das liegt vielleicht auch
daran, dass ein Hund sie noch nie verraten, gemobbt oder entlassen hat. Ein
Hund hat ihnen immer nur die Hand geleckt und ihnen niemals ihre Fehler vor
die Nase gerieben. Ein Hund hat sie noch niemals verlassen und ihnen Dinge
gesagt wie: „Es liegt nicht an dir.“
## Die Leute würden lieber Hunde von der Straße holen
Nicht wenige Menschen würden einen solchen unschuldig bettelnden Hund daher
gerne von der Straße holen, um für ihn zu sorgen. Einen bettelnden
Osteuropäer würden sie weniger gerne von der Straße holen. Denn dieser
gewitzte Menschenschlag bettelt eigentlich nicht aus Armut, sondern weil er
ein Geschäftsmodell im Betteln sieht. Das Betteln hat dieser Osteuropäer
gar nicht nötig. Er hat gewiss ein schöneres Zuhause als wir, Geld auf der
Bank und ein dickes Auto. Nach Westeuropa kommt der Osteuropäer nur, um
sein Konto mit dem Betteln aufzufüllen, für ein zweites Haus und eine
Urlaubsreise zum Beispiel.
Unbedingt zu unterscheiden ist von ihm der einheimische Obdachlose, der
seinen Hund liebt. Es ist nur nicht einfach, diese, „unsere eigenen“
(hundeliebenden) Obdachlosen von den osteuropäischen reichen Obdachlosen
mit den geborgten Hunden zu unterscheiden. Es ist darum wichtig, die
Obdachlosen und Bettelnden mit den Hunden sich genau anzusehen.
Insbesondere in der Vorweihnachtszeit wäre es schade, wenn man seinen Euro
einem Osteuropäer mit geborgtem Hund gäbe, wo es doch bei uns so viele
„eigene Obdachlose“ mit echter Tierliebe im Herzen gibt, die auch echt arm
sind und bleiben.
Einen Hinweis zur Unterscheidung konnte ich schon in Erfahrung bringen. Der
ausgefuchste Osteuropäer soll seinem geborgten Hund eine Schüssel mit
Hundefutter hinstellen, damit der Spendende sieht, dass der Hund versorgt
ist und nicht etwa Hundefutter statt Geld spendet.
Das gibt es ja auch, Leute, die Obdachlosen Hundefutter spenden, damit die
die Spende nicht für sich selber ausgeben.
Frohe Weihnachten!
21 Dec 2017
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Obdachlosigkeit
Hund
Osteuropa
Bettler
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Obdachlosigkeit
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