# taz.de -- Norbert Röttgen über die Corona-Folgen: „Wir müssen Empathie a… | |
> Europa dürfe nicht ein Kontinent tiefer Ungleichheiten werden, sagt | |
> Norbert Röttgen. Der CDU-Politiker fordert „Cash“ für die besonders | |
> pandemiegeplagten EU-Länder. | |
Bild: Röttgen im Februar 2020 auf dem Weg zur Bekanntgabe seiner Kandidatur f�… | |
taz: Herr Röttgen, Krisenzeiten sind immer Zeiten der Exekutive. Deshalb | |
sind Armin Laschet und Markus Söder medial gerade omnipräsent. Ärgern Sie | |
sich da nicht, dass Sie kein Regierungsamt mehr haben? | |
Norbert Röttgen: Nein, so ist nun mal die Situation. Wir befinden uns in | |
einer außergewöhnlichen und gefährlichen Lage. Da ist es einfach so, dass | |
diejenigen, die jetzt in den zuständigen Ämtern sind, die Aufgabe haben, | |
schnell, effektiv und überlegt zu handeln – und das auch zu kommunizieren. | |
Damit habe ich überhaupt kein Problem. | |
In puncto CDU-Vorsitz läuft es aber für Sie und Ihren Mitkandidaten | |
Friedrich Merz derzeit nicht so gut, oder? | |
In einer solchen Krise haben manche Dinge, die vorher ganz wichtig und | |
dringlich erschienen sind, erst mal keine Bedeutung mehr. Das gilt zum | |
Beispiel für die Neuwahl eines Parteivorsitzes. Dieser Wettbewerb hat | |
momentan Pause, aber wir werden irgendwann auch wieder Zeiten haben, in | |
denen andere Themen zurück in den Fokus kommen. An der Begründung für meine | |
Kandidatur hat sich durch Corona nichts geändert. Im Gegenteil: Die | |
Pandemie wirkt als enormer Beschleuniger bereits vorhandener Krisen, mit | |
denen ich mich immer sehr beschäftigt habe. In der Frage des CDU-Vorsitzes | |
ist deswegen noch nichts entschieden, sondern weiterhin alles offen. | |
Laschet und Söder erscheinen derzeit als Antipoden im Streit über die Dauer | |
der Corona-Restriktionen. Sind Sie eher beim Lockerungsdrängler Laschet, | |
dem kein Möbelhaus schnell genug geöffnet sein kann, oder beim | |
Lockerungsbremser Söder, der es nur bei der Fußballbundesliga eilig hat? | |
Ich will nicht das persönliche Agieren des einen wie des anderen | |
kommentieren und bewerten. In der Sache sehe ich das so: Entscheidend ist, | |
die Pandemie unter Kontrolle zu kriegen. Manche tun so, als müsse man die | |
Pandemie in ihren Folgen für die Gesundheit und den Lockdown in seinen | |
Folgen für die Wirtschaft gegeneinander abwägen, als wären da zwei | |
Gefahrenquellen. Das halte ich für falsch, denn dieser Auffassung liegt ein | |
Denkfehler zugrunde. Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie die | |
Gefahrenquelle − und zwar für die Gesundheit, für die sozialen Friktionen | |
und für die Wirtschaft. Und der Lockdown ist die Strategie, diese | |
Gefahrenquelle unter Kontrolle zu bekommen, um die Schäden sowohl im Umfang | |
als in der zeitlichen Dauer zu beschränken. | |
Und was folgt daraus? | |
Ich plädiere dafür, dass wir zur Begrenzung aller Schäden – der | |
gesundheitlichen, der sozialen und der wirtschaftlichen – auf Nummer sicher | |
gehen. Das Drängen, es müsse nun Lockerungen geben, macht es schwieriger. | |
Also ich bin ein Mahner für Vorsicht und Sicherheit. Wenn wir zu früh | |
lockern, dann laufen wir große Gefahr, dass das Geschehen außer Kontrolle | |
gerät. | |
Womit Sie ganz auf der Linie der Kanzlerin sind. Angela Merkel hat Sie 2012 | |
aus dem Kabinett geschmissen. Was halten Sie nun von ihrem | |
Krisenmanagement? | |
Ich finde, Angela Merkel macht das wirklich gut. Das zeigt sich sowohl an | |
den Ergebnissen in der Sache als auch in dem Vertrauenszuspruch der | |
Bevölkerung. Ihr Handeln ist transparent, ihre Sprache klar. Sie | |
kommuniziert direkt mit der Bevölkerung, und zwar ohne Dinge zu | |
verschweigen oder zu beschönigen. Wie die deutsche Regierungschefin agiert, | |
ist aus meiner Sicht absolut vertrauensbegründend. Es sollte zu einer der | |
Lehren aus dieser Krise gehören, dass ein solcher Stil, der die Bürger | |
ernst nimmt, stärker Einzug in die Politik erhält. | |
Die Coronakrise stellt auch den Zusammenhalt in der EU auf eine schwere | |
Probe. Sie haben gefordert, dass wir in der Stunde großer Not „ein | |
kategorisches Ja zur Solidarität innerhalb der EU“ bräuchten. Was heißt das | |
konkret? | |
Auch wenn das Virus nicht nach Nationalität unterscheidet, sind die | |
EU-Länder verschieden betroffen, auch weil sie in unterschiedlicher | |
wirtschaftlicher Verfassung sind. Wirtschaftlich schwächere Länder wie | |
Italien brauchen deshalb Unterstützung von stärkeren wie Deutschland. Aus | |
Solidarität, aber auch aus Eigeninteresse müssen wir diesen Staaten helfen. | |
Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Europa tiefer Ungleichheiten entsteht − | |
das wäre weder als Währungsunion noch als politische Union bestandsfähig. | |
Nach wochenlangem Streit über Coronabonds haben sich die Staats- und | |
Regierungschefs nun immerhin auf einen sogenannten Wiederaufbaufonds | |
geeinigt. Allerdings sind viele Details noch offen. Auch, ob das Geld | |
entweder in Form von Krediten fließt − oder als Zuschüsse, die nicht | |
zurückgezahlt werden müssen. Wofür plädieren Sie? | |
Die Einrichtung eines solchen Fonds halte ich für wegweisend. Er sollte so | |
ausgestaltet werden, dass er eine Antwort auf die Probleme der schwächeren | |
Staaten gibt. Ein zentrales Problem von Ländern wie Italien ist ihre enorme | |
Staatsverschuldung. Das macht es für sie schwierig, am Finanzmarkt Kredite | |
zu bekommen. Der Teufelskreis einer immer weiter steigenden Verschuldung | |
muss durchbrochen werden, und das geht nicht mit Krediten. Diese Staaten | |
brauchen Cash in Form von Zuschüssen. | |
Friedrich Merz unterstellt Italien, nur deshalb Coronabonds zu fordern, um | |
von eigenen Defiziten beim Sanieren des Staatshaushalts abzulenken. Der | |
Süden als Schuldenmeister – was halten Sie von solchen Schuldzuweisungen | |
angesichts der gegenwärtigen Not in Italien oder auch Spanien? | |
Für mich ist entscheidend, dass Länder wie Italien und Spanien von der | |
Pandemie hart getroffen sind. Deshalb erleben wir dort eine akute Phase des | |
Verletztseins. Daraus schließe ich: Wir müssen erstens Empathie aufbringen, | |
zweitens diesen Ländern helfen und uns drittens vor Augen führen, wie sehr | |
wir selbst von Europa profitieren. Das ist meine Position − die sich | |
womöglich von der anderer in meiner Partei unterscheidet. | |
Bitter ist auch weiterhin die Situation der Geflüchteten auf den | |
griechischen Inseln. Neben Luxemburg hat nur Deutschland bislang 47 | |
Minderjährige aus Griechenland aufgenommen. Andere EU-Staaten wie | |
Frankreich haben ihr Ja zur Aufnahme wegen Corona zurückgenommen. Ist das | |
nicht ein Armutszeugnis? | |
Auch Frankreich ist härter von der Pandemie getroffen als wir. Deshalb will | |
ich hier niemanden verurteilen. Gleichwohl sind alle EU-Länder in der | |
Verantwortung. Einmal gegenüber den Menschen, die auf den Inseln in | |
unzumutbaren Zuständen leben. Aber auch gegenüber dem EU-Mitglied | |
Griechenland, das unsere innereuropäische Solidarität verdient. Deshalb ist | |
es wichtig, nicht nur zu fordern, sondern auch praktisch voranzugehen. Das | |
haben wir getan, indem wir die ersten Kinder aufgenommen haben. Bei der | |
Zahl kann es aber nicht bleiben. | |
Bislang ist die deutsche Ansage, auch Ihrer Partei: Mehr als die | |
vereinbarten 350 bis 500 Flüchtlingskinder sollen nicht nach Deutschland | |
kommen. Wäre es angesichts der katastrophalen Situation in den griechischen | |
Lagern nicht ein Akt christlicher Nächstenliebe, weitaus mehr Menschen | |
aufnehmen? | |
Ich finde, Politik muss realistisch sein. Sie wird auch daran gemessen, was | |
sie erreicht. Wenn wir von den aktuell 50 Menschen eine Verzehnfachung auf | |
500 schaffen, wäre das für die anderen EU-Staaten ein glaubwürdiges | |
Zeichen, dieser Politik zu folgen. Die Aufnahme muss breiter getragen | |
werden als nur von Deutschland. | |
Der jüngst verstorbene Norbert Blüm hat noch als 80-Jähriger mit | |
Geflüchteten in Griechenland gezeltet, um auf die Not der dort lebenden | |
Menschen aufmerksam zu machen. Wird jemand seinen Platz in Ihrer Partei als | |
Stimme des Gewissens einnehmen? | |
Ich habe für Norbert Blüm die höchste Wertschätzung und Sympathie. Er ist | |
nicht zu ersetzen. Und er war es nie. Das war ja auch einer der Gründe, | |
warum er trotz Meinungsverschiedenheiten sechzehn Jahre lang Minister bei | |
Kohl war. Für mich ist er ein großes Vorbild. | |
Hätte die CDU öfter auf ihn hören sollen? | |
Ganz sicher, ja. Daraus ist nicht zwingend abzuleiten, dass er immer recht | |
gehabt hätte. Aber wir hätten auf Norbert Blüm in unserem eigenen Interesse | |
häufiger und besser hören sollen. | |
28 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Daniel Godeck | |
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