| # taz.de -- Auf der Suche nach Führungskräften: Glücklich ohne Chefs | |
| > Wer braucht schon Vorsitzende? Parteien anscheinend. Doch ohne läuft es | |
| > nicht viel schlechter – und es könnte noch viel besser werden. | |
| Bild: Freiberuflich zu arbeiten ist besser – oft aber auch anstrengend | |
| Berlin taz | Führungskräfte (FK) haben ein schweres Leben, in der Politik | |
| zumal. Ständig umgeben von neidvoller Konkurrenz, müssen sie diese auf dem | |
| Weg nach oben kraftvoll wegboxen, am besten mit nachhaltigen | |
| K.-o.-Schlägen, denn sonst treten die Unterlegen bei erster Gelegenheit | |
| nach. Für Führungsaufgaben qualifiziert man sich also vor allem mit einer | |
| gewissen Rücksichtslosigkeit, gepaart mit einem eher funktionalen | |
| Verhältnis zu anderen Menschen: Wer ist für und wer gegen mich, wer nützt | |
| mir, wer schadet. | |
| Das Personal aller Parteien entwickelt so eine brutale Kultur des Umgangs, | |
| über dessen unmenschliche und verschleißende Praxis schon [1][die eine oder | |
| andere Analyse geschrieben worden ist], zumeist beim Abgang einst | |
| bejubelter FK. Wer oben angekommen ist, kann schließlich nur noch nach | |
| unten – alles eine Frage der Zeit. Wer gestern noch per Akklamation an die | |
| Spitze gehievt wurde, hält heute nur den Platz für die Nachfolge warm. Die | |
| Hamburger SPD umging in ihrem Wahlkampf das Problem der hohen | |
| Wechselfrequenz an der Parteispitze damit, dass sie die frisch gewählten | |
| Vorsitzenden [2][Esken und Walter-Borjans bat, der Stadt gleich ganz | |
| fernzubleiben]. | |
| Das erscheint auf den ersten Blick vernünftig, wenn auch inkonsequent – | |
| zumindest solange man sich einen Spitzenkandidaten leistet oder überhaupt | |
| Parteivorsitzende. Bei der CDU läuft es schließlich auch ganz gut, so ganz | |
| ohne funktionierende Chefetage. Da können sich [3][die Jungs aus NRW mal so | |
| richtig aussprechen]. Blöd für alle, dass wohl einer von denen am Ende doch | |
| den Chef geben muss. Das kann nur schiefgehen. So wie alles immer mal | |
| wieder schiefgeht. Ob nun ohne Chefs oder mit. | |
| Denn die sind lediglich die Ikonen des Scheiterns oder gegebenenfalls | |
| Gelingens. Gemacht wird die Arbeit von namenlosen Unterlingen, für deren | |
| Erfolge (sehr gerne) und Fehler (nicht so gerne) jemand Verantwortung | |
| übernehmen muss. So war es immer. Muss schließlich alles seine Ordnung | |
| haben, denn Ordnung ist das halbe Leben. Für manche auch das ganze. | |
| ## Ein Gefühl der Unzulänglichkeit | |
| Wäre die Bestellung oder Wahl von FK nur eine symbolische Formalität, hätte | |
| ja auch alles seine Ordnung. Läuft es aber besonders schlecht, wie gerade | |
| bei SPD und CDU, sorgen die ständigen Führungsdebatten nur für mehr Chaos | |
| und kaum zu politischer Klärung ([4][siehe Thüringen]). Denn | |
| Führungslosigkeit ist Orientierungslosigkeit. Eine Leere wird da | |
| gefürchtet, die schleunigst zu füllen ist. | |
| Diese Angst, für sich selber zu sprechen, dieses Gefühl der | |
| Unzulänglichkeit, die unbedingt durch Vertretung in höheren Sphären | |
| ausgeglichen werden muss, ist dabei eine unnötige Selbsterniedrigung. Denn: | |
| Niemand braucht Chefs. Gewiss, manchmal ist es ganz bequem, jemanden zu | |
| haben, der oder die an allem schuld ist, was schiefläuft: blöde | |
| Dienstpläne, miese Politik oder einfach nur so schlechte Stimmung. Aber | |
| spielentscheidend ist doch immer das eigene Tun, die Bereitschaft, selber | |
| Verantwortung zu übernehmen. Keine Appelle an irgendwen „da oben“, sondern | |
| Organisation und Eigeninitiative, für die solche Chefs eher ein Hindernis | |
| sind. | |
| Gewiss, von „regierungsfähigen“ Parteien müssen da keine Impulse erwartet | |
| werden. Dafür richtet es sich das Wahlvolk noch immer viel zu kommod in der | |
| gewohnten Hierarchie ein. Und auch sonst sind die Versuche selbst | |
| organisierten Lebens und Arbeitens wie auch basisorientierter Politik eher | |
| mühsam. Nicht wenige dieser Experimente fallen irgendwann zurück in | |
| tradierte Muster und Hierarchien. | |
| Weil die Widerstände zu groß sind oder einfach, weil es so anstrengend ist, | |
| tatsächlich miteinander zu reden, so langwierig und nervtötend. Nicht | |
| nervtötender als das Karussell der Kandidaturen um Parteivorsitzende, | |
| jedoch dafür mit deutlich mehr Potenzial, tatsächliche Probleme anzugehen | |
| und zur Abwechslung mal irgendetwas zum Besseren zu verändern. | |
| 25 Feb 2020 | |
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| [1] /Kommentar-Nahles-Ruecktritt/!5599778 | |
| [2] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/hamburg-kein-wahlkampf-mit-neuem… | |
| [3] /CDU-Parteivorsitz/!5664606 | |
| [4] /!t5008288/ | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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