| # taz.de -- Kurt Beck über Andrea Nahles: „Die SPD darf kein Wolfsrudel sein… | |
| > Kurt Beck hat Erfahrung mit Machtkämpfen innerhalb der SPD. 2008 wurde er | |
| > gestürzt – und sieht Parallelen zum Rücktritt von Andrea Nahles. | |
| Bild: Wurde Opfer unfairer Kommunikation: Kurt Beck, hier 2011 | |
| taz: Herr Beck, verstehen Sie, warum Andrea Nahles [1][das Handtuch | |
| geworfen hat]? | |
| Kurt Beck: Ich kann das nachvollziehen. Sie hatte den Eindruck, dass sie | |
| nicht mehr genug Unterstützung hatte, um ihre Führungsaufgabe wahrzunehmen. | |
| Sie hat die Konsequenz gezogen. Das verdient Respekt. | |
| Sie sind 2008 am Schwielowsee [2][als SPD-Chef zurückgetreten]. Wurden Sie | |
| damals weggemobbt? | |
| Ich spreche nicht von Mobbing – aber es gab unfaire Methoden. Es wurden | |
| gegen alle Absprachen Informationen an Medien durchgestochen. Die | |
| Verabredung war, dass ich als Parteivorsitzender Frank-Walter Steinmeier | |
| als Kanzlerkandidaten vorschlage. Ich selbst wollte nicht als Kanzler | |
| kandidieren, die Lage war damals zu schwierig. Doch dieses abgesprochene | |
| Verfahren wurde mit gezielten Indiskretionen unterlaufen. In | |
| Vorab-Berichten wurde in Medien der Eindruck geschürt, ich sei zu der | |
| Entscheidung getrieben worden, Steinmeier die Kandidatur anzutragen. | |
| War Ihnen sofort klar, dass Sie zurücktreten? | |
| In der Nacht vor dem Sonntag am Schwielowsee habe ich eine | |
| Pro-und-Contra-Liste gemacht: Was spricht für einen Rücktritt, was dagegen? | |
| Welche Fehler sind reparabel, welche nicht? Der Rücktritt schien mir dann | |
| zwingend. | |
| Waren Sie wütend auf die Illoyalen, oder hatten Sie das Gefühl, versagt zu | |
| haben? | |
| Das ist immer eine Mischung. Es gab Selbstzweifel. Aber ich war nicht | |
| wütend, sondern bitter enttäuscht. Ich hatte gedacht: Wir haben alles gut | |
| vorbereitet, alle sind eingebunden. Wir hatten Absprachen getroffen. Aber | |
| es wurde anders gespielt. Deshalb reifte die Erkenntnis: Es geht nicht | |
| mehr. Genau so wie jetzt offensichtlich bei Andrea Nahles. | |
| Sie sprachen damals von „Halbverrückten in den Büschen“ in der SPD, die | |
| Intrigen gegen Sie gesponnen hätten. Die Nahles-Verteidiger sagen heute, | |
| dass es aus der Fraktion feige, anonyme Angriffe gab … | |
| Die Vorgehensweisen damals gegen mich und heute gegen Andrea Nahles sind | |
| vergleichbar. Anstatt das direkte Gespräch zu suchen, wurden immer wieder | |
| Botschaften in Medien platziert. Gegen solche Angriffe kann man sich schwer | |
| wehren und wappnen. Diese Verhaltensweisen sind illoyal. Kritik sollte man | |
| direkt äußern, nicht hinterrücks über die Presse. Die sozialen Medien haben | |
| die Möglichkeiten, sich illoyal zu verhalten, enorm vergrößert. | |
| 2008 hat die Hauptstadtpresse gegen Sie Stimmung gemacht. Die Munition kam | |
| auch aus der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus ... | |
| Wirklich nicht aus dem ganzen Willy-Brandt-Haus. Dort gab und gibt es viele | |
| fähige, loyale Mitarbeiter. Aber einige wenige reichen ja für eine | |
| Negativkampagne. | |
| Sie waren der letzte SPD-Vorsitzende ohne Abitur. Hat bei den Angriffen | |
| gegen Sie Klassen- oder Bildungsdünkel eine Rolle gespielt? | |
| Das weniger. Es war vielmehr die idiotische Haltung, dass guter Geist | |
| ausschließlich in Berlin-Mitte rund um die Regierungszentralen existiert. | |
| Vielleicht auch noch in Hamburg oder München. Der Rest der Republik ist nur | |
| üble Provinz. Mit dieser Haltung hatte Helmut Kohl zu kämpfen. Diese | |
| arrogante Dummheit hat bei den Angriffen gegen mich eine große Rolle | |
| gespielt. | |
| Medien haben sich über Ihren Dialekt und Ihre Frisur mokiert … | |
| Journalisten, die mich noch nie getroffen hatten, haben geschrieben, ich | |
| sei klein, dick und gedrungen. Ich bin 1,83 groß. Es ging nicht mehr darum, | |
| meine Stärken und Schwächen zu beschreiben, sondern nur darum, Vorurteile | |
| zu bekräftigen. | |
| Nahles ist eine gewiefte Machtpolitikerin. Sie hat 1995 an Scharpings Stuhl | |
| gesägt, war später an Münteferings Rücktritt beteiligt und hat geholfen, | |
| Sigmar Gabriels Politkarriere zu beenden. Ist ihr Rücktritt jetzt ein | |
| Berufsrisiko? | |
| 1995 beim Rücktritt von Scharping hat Andrea Nahles böse Fouls gespielt. | |
| Das hat uns lange voneinander entfernt. Aber das rechtfertigt nicht die Art | |
| und Weise, wie jetzt mit ihr umgegangen wurde. Die Kritik an ihr war nicht | |
| unterstützend und loyal. Das war auch ein böses Foul. Am Ende konnte sie | |
| nur noch alles falsch machen. Das kenne ich. | |
| Ist die SPD besonders anfällig für Intrigen? | |
| Ich glaube, nicht. Harte Machtkämpfe gibt auch bei der Union. Denken Sie an | |
| Erwin Teufel oder Lothar Späth, die auf üble Weise aus den eigenen Reihen | |
| gestürzt wurden. Es wird bei der SPD nur mehr öffentlich. Und es ist für | |
| uns besonders peinlich, weil wir für Solidarität eintreten. Die muss man in | |
| der Partei auch leben. | |
| Juso-Chef Kevin Kühnert hat gesagt, dass man in einer Partei, die | |
| Solidarität reklamiere, niemals so miteinander umgehen dürfe. Sie haben | |
| 2008 nach Ihrem Rücktritt das Gleiche gesagt. Es hilft offenbar wenig. | |
| Phasenweise schon. Der Lerneffekt von Schwielowsee war eine Weile zu | |
| spüren. Aber es gibt immer wieder welche, die in alte Muster zurückfallen. | |
| Ist das politische Geschäft härter geworden? | |
| Es ging schon immer ruppig zu. Denken Sie an Herbert Wehner, der über Willy | |
| Brandt sagte: „Der Herr badet gerne lau.“ | |
| Sind Intrigen und Machtkämpfe also einfach Teil des Geschäfts? So wie es | |
| Ex-Kanzler Schröder gesagt hat: Wem es in der Küche zu heiß ist, der soll | |
| halt nicht Koch werden? | |
| Man muss als Spitzenpolitiker Kritik aushalten und auch Fehler eingestehen | |
| können. Und robust sein. Aber es darf nicht mit unlauteren Mitteln gekämpft | |
| werden. Die SPD darf kein Wolfsrudel sein, in dem ausgebissen wird, wer die | |
| Führungsrolle hat. Das werde ich nie akzeptieren. | |
| 5 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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