# taz.de -- Neuer Kinofilm „Joker, Folie à deux“: Die Songs seiner Fantasie | |
> Todd Phillips setzt seinen Erfolgsfilm „Joker“ fort. „Joker: Folie à | |
> deux“ mit Joaquin Phoenix und Lady Gaga empfiehlt sich als | |
> Superschurken-Musical. | |
Bild: Liebe auf den ersten Blick zwischen Lee Quinzel (Lady Gaga) und Arthur Fl… | |
Am spannendsten ist Kino dann, wenn es einen Dialog gibt zwischen der Welt | |
auf der Leinwand, in die man sich hineinversetzt, und der Welt da draußen, | |
in der man zurechtkommen muss, egal wie sehr man sich mit ihr | |
identifiziert. Dabei sind es oft gerade nicht die realistischen Filme, die | |
diesen Dialog besonders fesselnd gestalten, sondern jene mit mehr Fantasie. | |
Filme, die ihre eigene Welt bauen, wie eben auch die | |
Superhelden-Adaptionen. Die Fallhöhe zwischen Realität und Metapher, das | |
produktive Nichtverstehen zwischen Alltag und Fantasy stachelt die Neugier | |
an, setzt die Gedanken in Fluss. Manchmal muss der Film selbst gar nicht | |
besonders herausragend sein. | |
[1][Todd Phillips’ „Joker“ von 2019 gibt dafür ein gutes Beis]piel ab: Er | |
war nicht nur ein Erfolgsfilm mit einem weltweiten Kassenergebnis von über | |
einer Milliarde Dollar; er stieß auch auf viel Ablehnung, löste unangenehme | |
Gefühle aus und verletzte bestimmte politische Empfindsamkeiten. | |
## Inspiriert von „Taxi Driver“ | |
Die Welt des Films, das Gotham City des DC-Comic-Universums, war sichtlich | |
inspiriert vom New York der Martin-Scorsese-Filme „Taxi Driver“ und „The | |
King of Comedy“ und repräsentierte damit eine 80er-Jahre-Vorstellung der | |
US-amerikanischen Gesellschaft als von Umbrüchen, Vernachlässigung und | |
Gewalt geprägt. Der Joker selbst, verkörpert von Joaquin Phoenix, war hier | |
nicht der anarchisch-unheimliche Trickster-Clown, der als letzter lacht, | |
sondern ein traumatisiertes Häufchen Elend namens Arthur Fleck, das | |
beginnt, Leute zu erschießen, die seinen Humor nicht verstehen. | |
Im Film wird er dank seiner Verbrechen zum Idol einer Menge, die in ihm den | |
Rebellen gegen das Establishment sieht, einen Rächer der Erniedrigten und | |
Beleidigten. Erst die unvermutete Zustimmung, die Arthur Fleck erfährt, | |
lässt ihn sein Alter Ego als manischer Joker so richtig annehmen. | |
Es perfektioniert sich ein Teufelskreis der Fehldiagnosen: Arthurs Taten | |
sind eigentlich Ausbund von Trauma und Hilflosigkeit; Gothams Einwohner | |
haben Gründe für ihren Elitenhass, jubeln mit dem Joker aber einem | |
missverstandenen Idol zu; der Joker selbst wiederum sieht sich in seinen | |
schlimmsten Impulsen bestärkt. | |
Man könne ihn ohne weiteres als Schutzpatron der Incels verstehen, schrieb | |
Time-Kritikerin Stephanie Zacharek über den Joker in ihrer Rezension – und | |
verlieh damit einem verbreiteten Gefühl des Unwohlseins Ausdruck. Denn auch | |
wenn offensichtlich war, dass Joaquin Phoenix’ Joker keinen positiven | |
Helden darstellen sollte, ging vielen doch zu weit, wie Regisseur Phillips | |
seinen Antihelden im Zentrum feierte beziehungsweise feiern ließ. | |
## Das Monster tanzte | |
Wie er da zum Takt von Gary Glitters „Rock and Roll Part 2“ die eine Treppe | |
hinuntertanzt – wirkte das nicht nachgerade wie die filmästhetische | |
Affirmation dieses doch eigentlichen Monsters? Und befanden sich unter den | |
Millionen von Ticketkäufern nicht auch solche, die „Joker“ aus den | |
„falschen“ Gründen für einen guten Film hielten? | |
Man muss sich gar nicht auf eine Seite schlagen, um anzuerkennen, dass | |
„Joker“ als Film die Trump-Ära einleuchtender auf den Punkt brachte als | |
viele andere Filme, die sich vor allem satirisch am damaligen | |
US-Präsidenten abarbeiteten. Das Erfolgsrezept lag im Abseitigen: Was | |
zunächst nichts mit Trump und der Gegenwart zu tun haben schien – die „Taxi | |
Driver“-Filmästhetik, der DC-Superheldenstoff – erwies sich als treffender | |
Genre-Mix, um etwas über Verblendung, Traumata und die Fallstricke des | |
Populismus zu erzählen. | |
Als Phillips für die Fortsetzung seines Films einen fast noch abseitigeren | |
Genremix ankündigte – Musical und Superhelden! –, machte das sowohl | |
neugierig als auch besorgt. Einerseits leuchtete es als logischer Anschluss | |
an die erwähnte Treppenszene ein, denn der arme Arthur entdeckte in seiner | |
zweiten Identität als Joker ja erst sein Talent zum geborenen Entertainer. | |
Andererseits: Singen und tanzen im düsteren Gotham-Universum, ist das nicht | |
die ultimative Glorifizierung einer dystopischen Weltsicht? | |
## Bugs Bunny als Joker im Intro | |
Beginnen lässt Phillips seinen „Joker: Folie à deux“ dann noch einmal mit | |
etwas ganz anderem: Vom Animations-Regisseur Sylvain Chomet („Das große | |
Rennen von Belleville“) hat er sich im Stil der „Looney Tunes“ ein Intro | |
zeichnen lassen. Darin sieht man Bugs Bunny als Joker, wie er langbeinig | |
über einen roten Teppich schreitet, während sich sein Schatten | |
widerspenstig von ihm absentiert, woraus ein Gerangel wird. Das Stück | |
besitzt als Hommage an den Stil der 1940er-Animation großen Charme, kündigt | |
mit dem im Rampenlicht stehenden Helden, der mit seiner geheimen Identität | |
kämpft, das Thema des folgenden Films geradezu überdeutlich an. | |
Die Handlung schließt unmittelbar an die Ereignisse von „Joker“ an. Wieder | |
von Joaquin Phoenix gespielt – noch ein bisschen ausgemergelter und | |
traumatisierter wirkend als 2019 –, sieht man Arthur Fleck, wie er von | |
bulligen Wächtern durch die siffigen Flure des „Arkham Asylum“, der | |
fiktiven psychiatrischen Haftanstalt von Gotham City, geschleift wird. Hier | |
erwartet er seinen Prozess, bei dem Staatsanwalt Harvey Dent (Harry Lawtey) | |
die Todesstrafe fordert. | |
[2][Witze erzählt der Möchtegern-Comedian keine mehr], obwohl ihn | |
Gefängniswärter und Mithäftlinge täglich dazu auffordern. Besucht wird er | |
von seiner Anwältin (Catherine Keener), die ihn mit der Strategie | |
verteidigen will, nicht er, der schon als Kind misshandelte Arthur, sondern | |
eine abgespaltene Persönlichkeit in ihm habe die Verbrechen begangen. Beim | |
Vorbeigehen entdeckt er in einer Anstalts-Chorgruppe Lee (Lady Gaga), die | |
ihn provozierend anlächelt. Es ist Liebe auf den ersten Blick. | |
## Tanzen zu „To love somebody“ | |
Was im Weiteren passiert, ist gar nicht so leicht zu beschreiben: Während | |
der Prozess seinen Verlauf nimmt, mit allerhand Zeugen, denen man im ersten | |
Film bereits begegnete, stürzen sich Arthur und Lee in eine Affäre, die zum | |
großen Teil aus Imaginationen alter Filme zu bestehen scheint. Statt in | |
misslingenden Stand-up-Jokes drückt sich Arthur nun in Songs aus dem | |
Repertoire des amerikanischen Entertainments aus. Aus ihm und Lee wird mal | |
das tanzende Paar Ginger und Fred – „That’s Entertainment!“ – und mal | |
singen sie als Sonny und Cher den Bee-Gees-Song „To Love Somebody“. | |
Die Musical-Nummern, die sich in der Tonlage von trauervollem Abgesang auf | |
die Welt alle sehr gleichen, übernehmen die Funktion innerer Monologe, und | |
wer den Songtexten lauscht, wird eine gewisse Überdetermination entdecken, | |
die schon dem ersten Joker bei aller Anarchie zu einem etwas beschwerlichen | |
Film machte. Es hat alles immer ein bisschen zu viel Bedeutung. „(They Long | |
to Be) Close to You“ singt Lee bei einem Besuch bei Arthur. Oder für sich | |
irgendwann „If My Friends Could See Me Now“. | |
Trotz der vielsagenden Songtexte gelingt es Lady Gaga nicht wirklich, ihrer | |
Figur und deren Entwicklung von Lee Quinzel zu Harley Quinn Profil | |
verleihen. Was weniger an der Schauspielerin liegt, als an einem Drehbuch, | |
das vermeintlich tiefer, aber nicht zu weit gehen will. Auch Joaquin | |
Phoenix vermag seinem Identitätskonflikt als Arthur/Joker kaum neue | |
Facetten abgewinnen, da kann die Introspektion noch so ausgesucht Musical- | |
und filmhistorisch inspiriert sein. Denn in einem sieht man diesem Film den | |
Dialog mit der Wirklichkeit vor allem an: im Bemühen, diesmal auf keinen | |
Fall Beifall von der falschen Seite bekommen zu wollen. | |
27 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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