# taz.de -- Cultural Appreciation: Irritierende Musikuntermalung | |
> Lady Gaga nutzt ihr Mitwirken im Filmsequel „Joker – Folie à Deux“, um | |
> neben dem Soundtrack gleich noch ein neues eigenes Album zu | |
> veröffentlichen. | |
Bild: „Joker – Folie à Deux“: Joaquin Phoenix als Joker und Lady Gaga al… | |
Es ist so eine Sache mit den Antihelden: Eigentlich soll man sie | |
verabscheuen. Dennoch muss man sie spannend genug finden, um sie sich über | |
zwei Stunden (mal länger, mal kürzer) anzuschauen, ihnen zu folgen – obwohl | |
man sie kaum nachvollziehen, geschweige denn verstehen dürfte. | |
Denn was gibt es zu verstehen bei einer Figur wie „The Joker“, Batmans | |
notorischem Antagonisten, einem (im DC-Film-Universum) mittlerweile | |
verurteilten mehrfachen Mörder, dessen grauenhaftes Lachen seine Verstörung | |
und seinen mentalen Zustand nur anzudeuten vermag? | |
Das zweite dem Irren mit der Clownsschminke gewidmeten Batman-Spinoff | |
„Joker – Folie à deux“, das seit dieser Woche in den Kinos läuft, | |
[1][versucht vielleicht darum auch gar nicht erst, eine in sich | |
geschlossene und durchdachte Geschichte zu erzählen. Interessant ist | |
dennoch, was Regisseur Todd Phillips stattdessen anbietet: Als Musical | |
funktioniert „Folie à deux“ nämlich durchaus.] | |
## Konterkarierendes Element | |
Zwar ist es nicht das erste Mal, dass Musik als konterkarierendes Element | |
eingesetzt wird – Quentin Tarantino nannte den leichten, von | |
1970er-Feelgood-Hits geprägten Soundtrack zu seinem 1994 erschienenen | |
Debütfilm „Reservoir Dogs“ einen „Kontrapunkt“ zur grausamen Handlung … | |
erklärte damals im dazugehörigen Presseheft: „Ich nutze und referenziere | |
den Bubblegum-Pop, den man damals hörte.“ | |
Etwas später fand sich diese Art der irritierenden musikalischen | |
Untermalung auch in der TV-Serie „The Sopranos“. Und selbst bei in der Zeit | |
spielenden TV-Serien wie „Mad Men“ haben die Songs, mit denen Matthew | |
Weiner seine Episoden beendet, oft eine bittere, erst durch den Textinhalt | |
und die zeitliche Distanzierung verständliche, gegenteilige Botschaft. | |
## Ein Bösewicht singt selbst | |
Der Joker, der in der Kinoversion seit ein paar Jahren durch Joaquin | |
Phoenix’ schiefe Physis geprägt wird, ermächtigt sich nun der Musik auf | |
einer noch viel tiefergehenden Ebene: Er (und seine Freundin Harley Quinn | |
alias Lady Gaga) singen selbst. Und man muss gut zuhören, um ihre | |
Botschaften nicht nur zu verstehen, sondern auch deren tiefere Geschichte | |
für die Deutung mit in Betracht ziehen. | |
„Get Happy“ etwa, der 1929 von dem späteren „Somewhere over the | |
Rainbow“-Komponisten Harold Arlen und dem Texter Ted Koehler als eine Art | |
weißer Gospel geschrieben war und in dem glücklich und ekstatisch der | |
„Judgement Day“ erwartet wird, an dem das irdische Leiden endlich ein Ende | |
hat – eigentlich ein suizidaler Song. | |
Oder das unter anderem von Stevie Wonder interpretierte „For Once in My | |
Life“, die wohl dringlichsten, anrührendsten Zeilen, die je von jemandem | |
gesungen wurden, der das überwältigende Gefühl von Liebe zuvor noch nie | |
erlebte – so wie der traumatisierte, verletzte Joker. | |
Natürlich ist auch „The Joker“ dabei, im Original von 1964 das bittere | |
Lament eines Menschen, der sich trotz innerer Schmerzen nach außen hin gut | |
gelaunt gibt – zum Film-„Joker“ passt es symbolisch fast schon zu gut. Der | |
thematisch ähnliche Song „Smile“, den Charly Chaplin 1936, inspiriert durch | |
eine Tosca-Arie, für einen Film komponierte, bringt es ebenfalls auf den | |
Punkt. | |
## Aus einem deprimierendem Guss | |
Subtil ist Todd Phillips’ Songauswahl also wahrlich nicht – komplex aber | |
schon. [2][Zudem wurden die von verschiedenen Orchestratoren neu | |
arrangierten Lieder überwältigend flüssig in den Soundtrack der | |
isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir eingepasst.] Alles klingt wie | |
aus einem einzigen, deprimierenden Guss. | |
Dass das zeitweilige Joker-Liebchen Lady Gaga jedoch nun den Hype um den | |
kaputten Helden nutzt, [3][um im Trubel auch noch ein eigenes neues Album | |
mit ebendiesen Jazz- und Musical-Standards] zu promoten, kommt einem | |
angesichts der Brutalität ihres Filmcharakters fast schon makaber vor. | |
Denn die gruselige Harley Quinn, die rund um sich lügt, tötet und ausnutzt, | |
ist ebenfalls eine echte Antiheldin. Und so eine singende, grotesk | |
weißgeschminkte Mörderin möchte man doch wohl nicht zu Hause im | |
Plattenschrank wissen. | |
5 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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