# taz.de -- Neue Partei von Corona-Skeptikern: Der Großverschwörung auf der S… | |
> In mehreren Städten gehen „Coronaskeptiker“ auf die Straße. Nun könnten | |
> sie ein Sammelbecken finden: die Neupartei „Widerstand 2020“. | |
Bild: Ein Anhänger von „Widerstand 2020“ wird bei den Berliner Protesten a… | |
BERLIN taz | Es sind euphorische Meldungen, die der „Widerstand 2020“ | |
derzeit verbreitet. Mehr als 100.000 Mitglieder zähle man bereits. Mehr als | |
die AfD, Linke oder FDP. „Wir sind eine Bewegung, die nicht mehr | |
aufzuhalten ist“, postuliert die Neupartei. Die Frage ist nur: Was für eine | |
Bewegung? | |
Erst am Wochenende waren die Logos vom „Widerstand 2020“ wieder zu sehen. | |
[1][Auf Kundgebungen von CoronaskeptikerInnen in Berlin, Stuttgart, München | |
oder Frankfurt]. In der Hauptstadt treffen diese sich bereits seit Wochen, | |
in Stuttgart kamen am Samstag nun gar bis zu 5.000 DemonstrantInnen | |
zusammen. Infektionsschutz wie Abstandhalten oder Mundschutz wurden da | |
nicht immer eingehalten. Das überrascht nicht: Es ist der Konsens der | |
ProtestlerInnen, die derzeitigen Coronamaßnahmen für völlig überzogen zu | |
halten. | |
Und nun haben sie sogar eine Partei: den „Widerstand 2020“. Man sei eine | |
„Mitmachpartei“, „jeder hat eine Stimme“, wirbt diese. Man befinde sich… | |
Widerstand „gegen den politischen Umgang, den wir gerade erleben, gegen das | |
Außerkraftsetzen unserer Grundgesetze und gegen die Machtausnutzung unserer | |
Regierung“. Verfolgt werde „ein Ziel der Menschlichkeit“, heißt es blumi… | |
Eine „wahrhaftige Demokratie“, eine „echte Veränderung im System“, bei… | |
es nicht um Macht und Geld gehe. Das Grundgesetz brauche „eine dringende | |
Reform“. | |
## Mit einem Klick zum Mitglied | |
Was und wie groß der „Widerstand 2020“ tatsächlich ist, bleibt derweil | |
unklar. Denn die gut 100.000 Mitglieder sind bisher nur Behauptung. Auf der | |
Webseite der Neupartei reicht eine Anmeldung per Webformular, | |
Mitgliedsbeiträge werden noch nicht erhoben. Die Partei erklärte | |
inzwischen, Mitglieder würden durch eine E-Mail-Bestätigung verifiziert, | |
fehlerhafte Datensätze gelöscht. Wie viele reale Personen sich hinter den | |
Anmeldungen befinden und wer sich am Ende wirklich engagiert, bleibt damit | |
offen. | |
Gegründet wurde die Partei nach eigenen Angaben am 21. April von einem | |
Trio, via Zoom-Videokonferenz: Es sind Bodo Schiffmann, ein HNO-Arzt aus | |
Baden-Württemberg, der in Sinsheim eine Ambulanz für Schwindelerkrankungen | |
betreibt. Ralf Ludwig, ein Leipziger Anwalt. Und Victoria Hamm, eine | |
angehende Psychologin aus Lehrte. In der niedersächsischen Stadt hat die | |
Partei laut Satzung auch ihren Sitz. Adresse war anfangs die einer | |
Hannoveraner Briefkastenfirma, bei der auch die AfD Niedersachsen ihre | |
Anschrift hat. Ein Zufall, so die Partei. Beim Bundeswahlleiter heißt es | |
indes, von der Partei seien bisher noch keine Unterlagen eingegangen. | |
Mitgründer Ludwig beteuert, diese seien auf dem Weg. | |
## Mitgründer Schiffmann hält Corona für „medialen Hype“ | |
Das Gesicht von „Widerstand 2020“ ist ohne Frage Bodo Schiffmann. In Videos | |
meldet sich der Arzt fast täglich zum Thema Corona zu Wort – und | |
Zehntausende rufen die Beiträge auf. Das Coronavirus wird von Schiffmann | |
dabei der Grippe gleichgestellt, es sei ein „medialer Hype“. Die Politik | |
reagiere überzogen, öffentlich-rechtliche Medien würden „Massenpanik“ | |
verbreiten, immer wieder raunt Schiffmann von Zensur. Den Virologen | |
Christian Drosten nennt Schiffmann „unsäglich“. Einen Impfstoff gegen das | |
Coronavirus brauche es nicht, auch kein Maskentragen. Auch Bill Gates | |
bezeichnet Schiffmann als „Gegner“. Dem wirft die Skeptikerszene vor, er | |
profitiere an der Impfstoffentwicklung gegen Corona. Mit einem dieser | |
Anheizer, dem Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen, traf Schiffmann sich | |
jüngst zum Interview. Dabei trug er ein Alu-Kügelchen am Revers – als | |
Erkenntniszeichen der selbst ernannten „Querdenker“. | |
Schiffmanns Ausführungen sind auch Programm für „Widerstand 2020“. Bei der | |
Kundgebung in Stuttgart stand auch Parteimitgründer Ralf Ludwig auf der | |
Bühne. „Es geht darum, unsere Freiheit zu nehmen“, klagte auch er über die | |
Coronamaßnahmen. So könne er seit Wochen seine Tochter in Mallorca nicht | |
mehr besuchen. Und: „Wir sollen nicht mehr über unseren Körper frei | |
entscheiden dürfen.“ Die Politik plane eine „absolute | |
Gesundheitskontrolle“, jeder solle geimpft werden, warnte Ludwig. Die | |
ZuhörerInnen quittierten das mit Buhrufen. | |
Tatsächlich scheinen sich etliche ImpfgegnerInnen auf den Kundgebungen | |
gegen die Coronamaßnahmen oder in den neu gebildeten Telegram-Chatgruppen | |
zu bewegen. Die Angst vor einem Impfzwang ist dort allgegenwärtig. Daneben | |
tummelt sich eine wilde Melange Besorgter oder selbst ernannter | |
„Corona-Rebellen“, links wie rechts, einige Verschwörungstheoretiker, | |
andere Esoteriker. Sie alle pochen auf ein Ende der Corona-Einschränkungen | |
mit Verweis auf ihre Grundrechte – der Schutz anderer vor Ansteckung ist | |
nicht ihr Thema. Das Coronavirus halten sie für harmlos, einige gar für | |
nicht existent. Und sie rufen nun zum Widerstand gegen die | |
Regierungspolitik auf. | |
## Das Ziel: ein „liebevoller Umgang“ | |
Das greift nun auch der „Widerstand 2020“ auf – und findet in der Szene | |
Anklang. Die konkreten politischen Ziele bleiben jedoch vage. „Oberstes | |
Ziel sind unsere Freiheitsrechte“, erklärt Parteigründer Ralf Ludwig der | |
taz, der zu Uni-Zeiten für den CDU-nahen Ring Christlich-Demokratischer | |
Studenten (RCDS) aktiv war. Man wolle „Machtstrukturen begrenzen“, die in | |
der Coronakrise nicht funktioniert hätten. Politik solle im „liebevollen | |
Umgang“ miteinander gemacht werden. Über den Weg dorthin soll „der Schwarm… | |
entscheiden, mittels einer App, die sich in Entwicklung befinde. | |
Eine politische Einordnung seiner Partei lässt Ludwig offen. Aber er | |
verweist auf die Satzung, in der sich von „totalitären, diktatorischen und | |
faschistischen Bestrebungen“ distanziert wird. Mit der derzeitigen | |
Demokratie kann der „Widerstand 2020“ aber offenbar auch nicht viel | |
anfangen. „Verfassungsgerichte handeln entgegen unseren Rechten, Politiker | |
entscheiden willkürlich“, schreibt die Partei – ungeachtet von | |
Entscheidungen des [2][Bundesverfassungsgerichts, das zuletzt etwa | |
Untersagungen von Demonstrationen aufhoben]. Der Gegenvorschlag von Ludwig: | |
ein „Notstandsparlament“. Dabei würden 700 „mündige Bürger“, die in … | |
vergangenen fünf Jahren politisch nicht aktiv waren, die | |
Bundestagsabgeordneten ablösen. Das Ziel: „Wir können verhindern, dass | |
nicht die uns retten, die uns den Brand erst zugeführt haben.“ | |
Mit dem Infragestellen der bestehenden Demokratie ist Ludwig nicht allein. | |
Noch schärfer formulieren es die Organisatoren der Berliner Proteste. Alle | |
Parteien seien derzeit dem Regierungskurs „unterworfen“, die Medien | |
„gleichgeschaltet“, heißt es in deren Flugschrift. Die staatlichen | |
Institutionen würden „gegen die Menschen instrumentalisiert“. Ein | |
„dystopisches Digital- und Pharmakonzernkartell drängt zur Macht“. Dagegen | |
habe man „das Recht zum Widerstand“. Auf die Berliner Proteste verweist | |
immer wieder auch „Widerstand 2020“-Gründer Bodo Schiffmann. | |
Auch seine Mitstreiterin Victoria Hamm schreibt, man müsse dafür sorgen, | |
dass von den Abgeordneten „der Großteil im Bundestag eingetauscht wird“. An | |
anderer Stelle lässt sie Nationalismus anklingen, wenn sie fragt, „warum | |
wir nicht mehr für die wirklich wichtigen und inländischen Probleme tun, | |
anstatt anderen Ländern, die selbst unglaublich schlecht gewirtschaftet | |
haben, zu helfen“. | |
## Rechtsextreme Einflussnahmen | |
Es ist eine heikle Rhetorik. [3][Denn zuletzt mischten sich auch | |
organisierte Rechtsextreme unter die CoronaskeptikerInnen]. In Berlin etwa | |
der frühere NPD-Chef Udo Voigt, in Sachsen „Pro Chemnitz“ oder ein Auer | |
NPD-Funktionär, in Halle der Rechtsextremist Sven Liebich. In anderen | |
Städten reihten sich AfD-PolitikerInnen ein. | |
Und auch „Widerstand 2020“ haben die Rechtsextremen im Visier: Der | |
Identitäre Martin Sellner bekundet, die Partei sei „in unserem | |
patriotischen Lager in aller Munde“. Er habe mit Schiffmann bereits „ein | |
gutes Gespräch“ geführt. Gleichzeitig kritisiert Sellner den Arzt dafür, in | |
einem Video für die Aufnahme von Geflüchteten plädiert zu haben. Die Partei | |
sei daher in der Migrationsfrage kein Partner und werde ein „Strohfeuer“ | |
bleiben. Aber: Temporär könne man „Widerstand 2020“ durchaus unterstütze… | |
um den „Politikern einzuheizen“. | |
Der Thüringer Soziologe Matthias Quent warnt vor einer „rechtsextremen | |
Vereinnahmung der Coronakrise“. Verunsicherungen und Protest seien in | |
Zeiten der Pandemie verständlich. Antidemokratische Akteure versuchten | |
aber, diese Proteste für sich zu nutzen. Sie stellten die Krise als | |
Komplott der Politik oder Reichen dar, einige propagierten eine jüdische | |
Verschwörung. Zudem verstärkten die Rechtsextremen Verunsicherungen durch | |
Übertreibungen und Falschmeldungen, so Quent. „Widerstand 2020“ hält der | |
Forscher bisher vor allem für populistisch. Gerade wegen des Zuspruchs auch | |
von Rechtsextremen müsse die Partei hier nun aber „unmissverständliche | |
Distanzierungen“ vorlegen. | |
## „Extremisten nutzen die Krise“ | |
Auch die Sicherheitsbehörden sind hellhörig. „Extremistische Gruppen nutzen | |
die Krise zur weiteren Verbreitung und Verstärkung ihrer jeweiligen | |
ideologischen Narrative“, heißt es in einem internen Lagebild zur | |
Coronapandemie. Minderheiten werde eine Schuld an der Ausbreitung | |
vorgeworfen, der Bundesregierung eine „gezielte Desinformationskampagne“. | |
Die CoronaskeptikerInnen rufen derweil bereits am Samstag erneut zu | |
Kundgebungen in mehreren Städten auf. Und „Widerstand 2020“ will noch diese | |
Woche die Gründung von Landesverbänden anschieben. Anführer Schiffmann ruft | |
Abgeordnete anderer Parteien derweil zum Übertritt auf – dann sitze man | |
womöglich schon bald im Bundestag. „Wir müssen schnell aktiv werden“, | |
appelliert Schiffmann. „Wir haben nicht so viel Zeit.“ | |
5 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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