# taz.de -- Nazis nutzen Coronakrise: Solidarität mit Grenzen | |
> Rechte instrumentalisieren die Krise als Moment der | |
> Nachbarschaftssolidarität. Geholfen wird aber nur denen, die vermeintlich | |
> zum „Volk“ gehören. | |
Bild: Geholfen wird nicht jedem: Nazis instrumentalisieren die Coronakrise | |
LEIPZIG taz | Ein junger Mann in grünem Pulli und mit freundlichem Lächeln, | |
der einer älteren, gebückt laufenden Dame im langen Rock und mit Krückstock | |
über die Straße hilft. Daneben ein Bus, der an der roten Ampel wartet, in | |
Großbuchstaben steht darauf: “Jugend packt an. Du – Ich – Wir.“ Gezeic… | |
ist das Ganze wie ein freundlicher Comic für Kinder in hellen Farben. Doch | |
wer genau hinschaut, sieht: Jene Hilfe, für die hier geworben wird, gibt es | |
nicht für jeden. | |
Das Werbebild, das in vielen Städten auch als Flugblatt verteilt wird, | |
entspringt einer PR-Aktion der [1][Jungen Nationalisten] (JN), der | |
Jugendorganisation der NPD. Das Konzept: Agitation in der Coronakrise durch | |
Hilfsangebote. Einkaufen gehen für Senior:innen, Obdachlosenhilfe, | |
Tierheimspenden. | |
Doch die Solidarität hat Grenzen: Geholfen wird nur Deutschen oder | |
ebenjenen, die nach Meinung der Initiatoren deutsch sind. Dafür hat die JN | |
eine Kampagne von 2017 wiederbelebt, die schon damals nationalistische | |
Hilfsaktionen mit dem Versprechen propagierte, zu helfen, wo der Staat | |
versage. | |
Die JN ist nur eine der zahlreichen Organisationen, die die | |
[2][Corona-Krise] für nationalistische Propaganda im Gewand von | |
Hilfsaktionen nutzt. Auch rechtsextreme Parteien wie der III. Weg oder Die | |
Rechte, die Kampagne Ein Prozent oder die AfD reagieren auf die derzeitige | |
Situation mit ähnlichen Aktionen. | |
## Der III. Weg macht es vor | |
Ein Beispiel ist der AfD-Politiker und Freiburger Stadtrat Dubravno Mandic, | |
der schon häufiger durch rassistische Aussagen auffiel und aufgrund seiner | |
extrem rechten Ansichten sogar schon aus der Partei ausgeschlossen werden | |
sollte. Auf Facebook wirbt der streng gescheitelte 39-Jährige unter dem | |
Hashtag „#buildVolksgeist' damit, dass er „junge, gesunde und kräftige | |
Patrioten“ der Jungen Alternative zu Bedürftigen schicke. Die AfD brachte | |
mit ihren Aktionen auch Krankenhauspersonal in Sachsen in Aufruhr, als die | |
Rechten während der Ausgangssperre in Hoyerswerda versuchten, Blumen in | |
einer Klinik zu verteilen. | |
Mit einer sogenannten Solidaritätsaktion für Risikogruppen und „gegen die | |
soziale Kälte“ wirbt auch der Verein Ein Prozent. Seit 2015 gilt dieser als | |
ein Sammelbecken für neurechte Vordenker rund um das Institut für | |
Staatspolitik von Götz Kubitschek, das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer | |
oder AfD-Politiker wie Hans-Thomas-Tillschneider. | |
Sich selbst bewirbt der Verein als „Deutschlands größtes patriotisches | |
Bürgernetzwerk“. In dieser Rolle wollen die Aktivist:innen sich | |
profilieren: Jetzt habe man die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, dass | |
man als Patrioten immer wieder Verantwortung für die Gesellschaft trage, | |
heißt es auf der Website. Explizit rassistische Tendenzen hat der Aufruf | |
zwar nicht, doch die Undurchschaubarkeit macht die rechte Agenda | |
gefährlich. | |
Im sächsischen Plauen zeigt sich schon seit Jahren, wie die rechtsextreme | |
Strategie der Nachbarschaftshilfe für Deutsche aufgeht. Die Partei der III. | |
Weg organisiert in einem ihrer „Stützpunkte“ hier seit Jahren eine | |
Hausaufgabenhilfe sowie Selbstverteidigungs- und Kampfsportkurse und | |
betreibt eine Kleiderkammer – „nur für Deutsche“. Mit Erfolg: Im Mai 2019 | |
wurde der III. Weg-Politiker Tony Gentsch in den Plauener Stadtrat und den | |
Kreistag des Vogtlandkreises gewählt – mit 3,8 Prozent der Stimmen in | |
Plauen und 12 Prozent im Stadtteil Haselbrunn, wo das Parteibüro | |
wöchentlich seine Türen öffnet. | |
## Die Zahlen steigen | |
In der Coronakrise hat die rechtsextreme Partei bisher schon in vierzehn | |
Regionen Nachbarschaftshilfen und Tierfutterspenden organisiert. Die | |
Aktivist:innen verteilen auch Pralinen an Feuerwehrleute und | |
Krankenschwestern – und verbreitet gleichzeitig rechte | |
Verschwörungstheorien und rassistische Hetze. | |
Warum das gefährlich werden kann, zeigt das Beispiel Stefan Trautmann. Der | |
ehemalige NPD-Stadtrat aus Sachsen war bereits 2018 Teil einer | |
„Schutzzonen“-Kampagne der NPD, bei der sich Bürgerwehren bildeten, die | |
durch die Städte patrouillierten. Auch damals war das Narrativ: Der Staat | |
ist nicht fähig, seine Bürger zu schützen, also müssen sie es selbst tun. | |
Ein Konzept, das an die neunziger Jahre erinnert, in denen Neonazis sich | |
organisierten, um [3][national befreite Zonen] zu errichten – oftmals mit | |
Gewalt. Der Tenor auch damals: „Sozial geht nur national.“ | |
Eine Sprecherin des Bundesamt für Verfassungsschutz sagte gegenüber der | |
taz, dass solche Aktionen ähnlich der damaligen Schutzzonenkampagne in den | |
vergangenen Wochen wieder vermehrt auftreten. So habe eine Gruppe von | |
NPD-Parteimitgliedern erst Mitte März vor dem Bundestag patrouilliert, auch | |
an anderen Orten soll es diese Aktivitäten gegeben haben. Ziel der rechten | |
Gruppen sei es, eine vermeintliche Schutzzone für Deutsche zu errichten. | |
Es sei deutlich zu beobachten, dass die Rechtsextremen sich als | |
„Kümmerparteien und Helfer in der Krise profilieren“, so die Sprecherin. | |
Die Sehnsucht nach Solidarität wird so zum Anknüpfungspunkt für die | |
Verbreitung verschwörungstheoretischer, nationalistischer und rassistischer | |
Thesen. Zahlen zu den Aktivitäten gibt es zwar laut Verfassungsschutz | |
keine, aber deutlich zu beobachten ist: Die Anzahl steigt. | |
15 Apr 2020 | |
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[3] https://www.belltower.news/corona-nazi-helfer-wo-solidaritaet-nur-fuer-deut… | |
## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
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