# taz.de -- Nach der Bundestagswahl: Die Zeit der Linken kommt erst noch | |
> Warum die vergangene Woche eine gute für die Linke war – und was aus der | |
> Niederlage bei der Bundestagswahl nun folgen sollte. | |
Bild: Der Sozialismus in seinem Schneckenlauf | |
Das war, manchen mag das überraschen, eine gute Woche für die Linke. Für | |
wen? Vielleicht war der anmaßende Name schon immer ein Teil des Problems, | |
dass man also eine kleine Verrenkung vollführen musste, um deutlich zu | |
machen, wen man eigentlich meint: Die Partei? Oder das Größere, die | |
gesellschaftliche Bewegung, die Idee? | |
Es war, für die Linke insgesamt, eine gute Woche. Und das ist | |
erklärungsbedürftig. Denn die Partei hat gerade eine [1][Niederlage] | |
erfahren, hat bei der Bundestagswahl fast die Hälfte der Stimmen verloren. | |
Zwei Millionen Menschen haben sie nicht mehr gewählt, gingen zur SPD, zu | |
den Grünen oder gar nicht mehr hin. Die Partei wäre fast aus dem Bundestag | |
geflogen, wenn ein paar vermeintliche Lifestyle-Linke aus dem Leipziger | |
Süden sie nicht gerettet hätten. | |
Wie kann man also davon sprechen, dass dies eine gute Woche war? | |
Nun, die Partei hat eine Punktlandung hingelegt: Sie hat genau [2][4,9 | |
Prozent der Stimmen] bekommen, zieht aber trotzdem wieder in den Bundestag | |
ein, weil sie gleichzeitig drei Direktmandate gewinnen konnte. 4,9 Prozent, | |
das ist einerseits der Schuss vor den Bug, der nun hoffentlich dafür sorgt, | |
dass sich die Partei grundsätzlich verändert, programmatisch und personell. | |
Bei einem Wahlergebnis von 6 oder 7 Prozent würde alles so trist bleiben, | |
wie es ist. Verbunden mit den drei [3][Direktmandaten] sind diese 4,9 | |
Prozent aber auch die Versicherung, dass exzellente Leute weiterhin gute | |
Oppositionsarbeit machen können. | |
4,9 Prozent, dieses Ergebnis führt auch dazu, dass ein paar Abgeordnete den | |
Bundestag verlassen müssen, die niemand vermissen wird: Alexander Neu, der | |
Pressesprecher des Kreml, oder Dieter Dehm, der Schwurbelbarde. | |
## Zwei große, linke Bewegungen | |
Das war auch eine gute Woche für die Linke, weil sie gleich zweimal gezeigt | |
hat, welches Potenzial eine gut aufgestellte Partei hätte. | |
Vor einer Woche ging die Klimabewegung auf die Straße, mit mehreren | |
hunderttausend Menschen in vielen deutschen Städten. Eine | |
basisdemokratische Bewegung, organisiert in Ortsgruppen, mit radikalen und | |
nur deshalb realistischen Forderungen. Auch wenn sie sich selbst nicht so | |
bezeichnen würde, ist die Klimabewegung natürlich links, in ihrer | |
Organisationsform, in ihren Forderungen nach Umverteilung und | |
internationaler Solidarität. Man muss lange zurückgehen, um eine Bewegung | |
zu finden, die über Jahre hinweg so viele Menschen zum Mitmachen animieren | |
konnte. | |
Das war eine gute Woche, weil in Berlin über eine Million Menschen | |
entschieden haben, dass große Immobilienunternehmen enteignet werden | |
sollen. Der Volksentscheid erhielt mehr Stimmen als Linke, Grüne und SPD | |
zusammen. Die Aktiven des Volksentscheids haben gezeigt, was für die Linke | |
möglich ist: Sie haben sich in Dutzenden lokalen Initiativen organisiert, | |
an Tausende Türen geklopft. Sie haben über Arme nicht nur in Talkshows | |
geredet oder ihnen Flyer in die Hand gedrückt, sondern sie zum Mitmachen | |
gewonnen. Und sie haben eine radikale, aber umsetzbare Forderung | |
aufgestellt und bewiesen, dass linke Politik nicht nur Opposition bedeutet. | |
Zwei linke Bewegungen haben also gezeigt, wie stark sie sind. Warum hat nun | |
die Partei, die denselben Namen trägt, nicht davon profitiert? | |
## Mehr oder weniger Wagenknecht? Das ist zu schlicht | |
Aktuell dominieren zwei Erklärungsmuster: Zu viel oder zu wenig | |
Wagenknecht. Und das ist für eine Weltanschauung, die sich etwas auf ihre | |
materialistische Analyse und ihr Verständnis von Dialektik einbildet, ein | |
bisschen dünn. | |
Die Partei hat im Wahlkampf versucht, ihre Widersprüche unter den roten | |
Teppich zu kehren. Dass das nicht funktioniert hat, zeigt etwa das | |
Wahlergebnis von Wagenknecht in NRW: Weniger als 4 Prozent holte die | |
vermeintlich so populäre Politikerin als Spitzenkandidatin. Wenn man seine | |
eigene Partei schlechtmacht, gewinnt man vielleicht einen guten Platz auf | |
der Bestsellerliste, aber nicht bei Wahlen. Man kann aber auch andersherum | |
keine Wahl gewinnen, wenn man seine bekannteste Vertreterin aus der Partei | |
schmeißen will, aber nicht auf sie im Wahlkampf verzichten möchte. | |
WählerInnen durchschauen das. | |
Die zweite schematische Erklärung für die Wahlniederlage lautet: Zu viel | |
oder zu wenig Regierungswillen. Und auch hier gilt: Das schließt sich nicht | |
aus. | |
Es stimmt, dass es für die Linke keine Existenzberechtigung als zweite | |
Sozialdemokratie gibt. Wir fordern das Gleiche wie die SPD, aber ein | |
bisschen mehr, das reicht nicht. Offenbar haben viele WählerInnen der SPD | |
ihr die Agenda-Reformen schneller verziehen (überhaupt sind ja wenig | |
Menschen so nachtragend wie Linke). Gleichzeitig ist die Linke dort | |
zweistellig geblieben, wo sie gezeigt hat, dass sie konkret etwas | |
verbessern kann: in Thüringen und Berlin. | |
## Die Ampel, das ist Kiffen im Elektroauto | |
Wer sich das Ergebnis auf lokaler Ebene genauer anschaut, sieht, dass die | |
Partei nicht überall an Zustimmung verloren hat: Dort, wo sie sich so | |
organisiert hat, dass sie zum Mitmachen einlädt, wo sie nicht nur | |
wahlkämpft, sondern Politik im Stadtteil macht, ähnlich also wie die | |
Initiative für den Volksentscheid, hat sie sogar gewonnen. | |
Was bedeutet das nun für die Partei? Sie muss sich von denen trennen, mit | |
denen so eine zeitgemäße Politik nicht zu machen ist. Dietmar Bartsch und | |
Sahra Wagenknecht eignen sich nicht als Gesichter einer modernen linken | |
Partei, die in Bewegungen und Stadtteilen verankert ist. Sahra Wagenknecht | |
ist keine deutsche Bernie Sanders, dafür hat sie ein falsches Verständnis | |
von Politik, sie ist gesellschaftspolitisch zu konservativ und macht | |
Politik von oben, nicht von unten. Eine Grassroots-Kampagne lässt sich | |
nicht aus dem Fernsehstudio heraus organisieren. Der gescheiterte Versuch | |
von Aufstehen zeigt das. Wenn Wagenknecht ihren GenossInnen und den | |
verbleibenden WählerInnen lieber Vorwürfe in der Welt macht, als die Partei | |
zu retten, sollte man zukünftig getrennte Wege gehen. Dann bliebe auch mehr | |
Zeit, um Bücher zu schreiben. | |
Es könnte sich jedoch herausstellen, dass die Partei so wenig reformierbar | |
ist wie das wachstumsbasierte Wirtschaftssystem, das sie überwinden möchte. | |
Dann müsste die Linke sterben, damit die Linke leben kann. Auch dann wäre | |
die Niederlage in der vergangenen Woche eine gute Nachricht gewesen. | |
Es gibt aber gute Gründe, auf ein Comeback der Linken zu hoffen. Wenn es, | |
wonach es aussieht, tatsächlich zu einer Ampelkoalition kommt, wird die | |
Linke die Opposition im Bundestag stellen. Man muss sich nur ansehen, wie | |
Grüne und FDP schon vor der Kameralinse zusammenrücken, wie sich die | |
sprichwörtlichen Märkte schon über die mögliche Koalition freuen, um zu | |
ahnen: Sozialpolitisch wird das eine Katastrophe. Die Ampel, das wird die | |
Klimakrise als Wachstumsprojekt, garniert mit ein wenig gesellschaftlicher | |
Modernisierung: Kiffen im Elektroauto, grüne Aktien als Altersvorsorge. | |
## Linker Zeitgeist, soziale Konflikte: Die Stunde der Linken | |
Die sozialen Konflikte werden sich jedoch verschärfen. Die Teilhabe an der | |
postfossilen Gesellschaft wird teurer, und es gibt in einer Ampelkoalition | |
kein Interesse daran, Reichtum umzuverteilen und das Renten- und | |
Gesundheitssystem so zu verändern, dass sich auch Wohlhabende angemessen an | |
der Finanzierung beteiligen müssen. Wenn die Boomer-Jahrgänge krank werden | |
und in Rente gehen, wird dieses System zusammenbrechen. Und die Krise auf | |
dem Wohnungsmarkt wird sich verschärfen. | |
Diese Krisen treffen auf einen linken Zeitgeist. Viele Menschen teilen | |
unabhängig von ihrer Wahlentscheidung fortschrittliche Überzeugungen: Nach | |
der Pandemie ist die schwarze Null gefallen, Forderungen nach einem | |
besseren Gesundheitssystem, nach besserer Bildung und Infrastruktur, | |
kurz: nach Solidarität in allen Lebensbereichen sind wieder mehrheitsfähig. | |
Wenn sich die Klimabewegung bald von den regierenden Grünen abwendet, weil | |
die ökologische Transformation zu langsam oder nur als Wachstumsmarkt | |
vorangeht, wenn die SPD bis auf einen höheren Mindestlohn alle Forderungen | |
über Bord wirft, dann schlägt die Stunde der Linken. Ganz bestimmt. | |
2 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Wahldebakel-fuer-Linke/!5805043 | |
[2] /Linken-Absturz-bei-der-Bundestagswahl/!5800259 | |
[3] /Linke-verliert-bei-der-Bundestagswahl/!5800436 | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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