# taz.de -- Nach Wagenknecht-Rede im Bundestag: Der Letzte macht das Licht aus | |
> Ulrich Schneider, der prominenteste Soziallobbyist der Republik, ist aus | |
> der Linken ausgetreten. Anlass ist die Bundestagsrede Sahra Wagenknechts. | |
Bild: Hat seinen Austritt aus der Linkspartei erklärt: Soziallobbyist Ulrich S… | |
Nun also auch noch Ulrich Schneider. Während sie lautstark einen „heißen | |
Herbst gegen die soziale Kälte der Regierung“ propagiert, hat ausgerechnet | |
der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die | |
Linkspartei verlassen. Gegangen ist der wohl prominenteste Soziallobbyist | |
der Republik wegen einer nicht minder prominenten | |
Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzenden, die seit Jahren behauptet, die Linke | |
würde sich nicht mehr um die soziale Frage kümmern. Klingt verrückt, oder? | |
Es ist aber nachvollziehbar. | |
Anlass für Schneiders Austritt ist der unsägliche [1][Auftritt von Sahra | |
Wagenknecht am vergangenen Donnerstag im Bundestag], bei dem sie in einer | |
vor Nationalismus triefenden Rede behauptet hatte, die Bundesregierung habe | |
einen Wirtschaftskrieg gegen Russland „vom Zaun“ gebrochen. Was sie dort | |
vom Stapel gelassen habe, sei zu viel für ihn gewesen, [2][twitterte | |
Schneider am Montagabend.] | |
Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Denn zu der gehört auch, dass | |
er seiner bisherigen Partei noch eine Chance gegeben hatte. Sie hat sie | |
nicht genutzt. Am Samstag nahm Schneider als Gast an der [3][Klausurtagung | |
des Parteivorstandes im brandenburgischen Rathenow] teil. Dort hörte er | |
sich auch die Diskussion mit dem unbelehrbaren Fraktionsvorsitzenden | |
Dietmar Bartsch an. Erst danach ist Schneider gegangen. Es war mehr als ein | |
räumlicher Abschied. | |
Die erst [4][im Juni neugewählte Parteiführung] um Martin Schirdewan und | |
Janine Wissler hätte am Wochenende ein klares Zeichen setzen können, dass | |
sie nicht bereit ist, eine Fraktionsspitze zu tolerieren, die Wagenknecht | |
und ihrem Fanclub weiter ein Forum für ihr zerstörerisches Handeln bietet. | |
Wenn Schirdewan und Wissler mutig gewesen wären, dann hätten sie sich die | |
Forderungen des [5][Offenen Briefes der ostdeutschen Landespolitikerinnen | |
Katharina König-Preuss, Jule Nagel und Henriette Quade], zu eigen gemacht: | |
Ausschluss von Wagenknecht aus der Fraktion und Rücktritt von Bartsch und | |
Amira Mohamed Ali. Sie waren nicht mutig. | |
## Spaltung nur noch nicht offiziell vollzogen | |
Die Parteiführung hätte begreifen müssen, dass es nicht mehr reicht, | |
konsequenzenlos herumzulamentieren. Sie hat es nicht begriffen. Stattdessen | |
wurde ein zahnloser Beschluss gefasst, in dem vor einer Spaltung der Partei | |
gewarnt wurde. Ohne Ross und Reiter:in zu nennen. Und als wäre diese | |
nicht ohnehin schon da. Tatsächlich ist die Spaltung nur noch nicht | |
offiziell vollzogen. | |
Das Wagenknecht-Lager hat mit der Linken gebrochen. Es schaut nur noch mit | |
Verachtung auf all jene, die in der Partei seinen deutsch-nationalen und | |
gesellschaftspolitisch konservativen Kurs nicht mitgehen wollen. Mit ihm | |
ist eine demokratisch-sozialistische Alternative links von SPD und Grünen | |
nicht mehr möglich. Da hilft auch nicht, wenn die Parteiführung die Einheit | |
der Partei beschwört. Da geht nichts mehr zusammen. | |
Hinter den Kulissen arbeiten die Wagenknechtianer:innen längst an der | |
Trennung. Wobei einer ihrer Fanatischsten, der Ex-Bundestagsabgeordnete | |
[6][Diether Dehm, auf dem Berliner UZ-Pressefest der DKP] bereits das Ziel | |
verraten hat: eine Konkurrenzkandidatur zur Europawahl 2024. Das weiß auch | |
die Linken-Führung, zieht aber die falschen Schlüsse daraus. Sie will auf | |
Biegen und Brechen keinen Vorwand für die ohnehin bevorstehende Abspaltung | |
liefern. Damit möglichst wenige mitgehen, will sie es Wagenknecht & Co. | |
möglichst schwer machen, sich als Ausgrenzungsopfer zu inszenieren. | |
## Weckruf oder Kipppunkt? | |
Dieser Taktizismus hat einen gravierenden Fehler: Er führt dazu, dass sich | |
immer mehr derjenigen frustriert von der Linkspartei abwenden, die sie | |
dringend bräuchte, um noch eine Zukunft zu haben. So wie Ulrich Schneider. | |
Denn er und zahlreiche andere integere demokratische Linke halten es mit | |
dem rechtsoffenen Populismus von Wagenknecht & Co. schlicht nicht mehr in | |
einer Partei aus. | |
Ihr Abschied ist ein schleichender. Schneider ist nicht der Erste und wird | |
ganz sicher nicht der Letzte sein. In dieser Woche geht der eine, in der | |
nächsten die andere. Die Partei zerbröselt. Zur Freude der | |
Wagenknechtianer:innen. Die werden irgendwann mit einem Knall gehen – | |
wenn nur noch ein Scherbenhaufen übrig geblieben ist. Und der | |
Linkenvorstand schaut immer noch treudoof zu. | |
Es ist tragisch: In den Umfragen schien sich die Linkspartei gerade wieder | |
etwas zu berappeln. Die erfolgreiche [7][Demonstration in Leipzig] gegen | |
die unsoziale Krisenpolitik der Ampelkoalition gab vielen Mitgliedern neuen | |
Mut. Dann kam die Rede Wagenknechts, die dokumentierte, dass keines der | |
innerparteilichen Probleme gelöst ist. Die aufkeimende Hoffnung ist | |
Frustration gewichen. | |
Der Austritt Schneiders müsse ein „Weckruf“ sein, [8][hat ein | |
Bundesvorstandsmitglied gewittert]. Weckrufe gab es schon viele, ohne dass | |
sie erhört wurden. Schneiders Entscheidung könnte mehr sein: ein Kipppunkt. | |
Angesichts der sozialen Verheerungen, die die Ampelkoalition | |
augenscheinlich in Kauf nehmen will, wäre eine starke linke Opposition auf | |
der Straße und im Bundestag dringender denn je erforderlich. Aber es wird | |
immer düsterer für die Linkspartei. Selbstverschuldet. Der Bruch mit | |
Wagenknecht & Co. hätte längst erfolgen müssen. Dafür fehlt jedoch auch der | |
derzeitigen Parteiführung offenkundig der Mut und die Kraft. Und Dietmar | |
Bartsch macht zum Schluss das Licht aus. | |
13 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Verstoerende-Rede-im-Bundestag/!5880882 | |
[2] https://twitter.com/UlrichSchneider/status/1569375731825639425?s=20&t=R… | |
[3] /Streit-in-der-Linkspartei/!5881129 | |
[4] /Bundesparteitag-der-Linken/!5860858 | |
[5] /Nach-verstoerender-Wagenknecht-Rede/!5881082 | |
[6] /Abspaltungstendenzen-von-der-Linkspartei/!5877416 | |
[7] /Montagsprotest-in-Leipzig/!5879137 | |
[8] https://twitter.com/LuigiPantisano/status/1569382113635434498?s=20&t=Re… | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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