Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Streit in der Linkspartei: Vorsitzende befürchten Spaltung
> Wissler und Schirdewan beschwören die Einheit der Linkspartei. Es ist
> wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann das Wagenknecht-Lager geht.
Bild: Janine Wissler und Martin Schirdewan nach der Vorstandstagung in Rathenow
Berlin taz | Als Janine Wissler und Martin Schirdewan am Sonntagmittag im
brandenburgischen Rathenow vor die Presse treten, haben die beiden
Linken-Vorsitzenden ein strahlendes Lächeln aufgesetzt. Positive
Botschaften wollen sie von der ersten Klausurtagung des Ende Juni
neugewählten Bundesvorstandes vermitteln.
Sprechen möchte das Linken-Führungsduo über das beschlossene Konzept zur
Verstaatlichung von Energiekonzernen. Oder über die Planungen für einen
„heißen Herbst gegen die soziale Kälte“. Über die wieder heftig
aufgeflammten innerparteilichen Konflikte wollen Schirdewan und Wissler
hingegen nicht so gerne reden.
Doch angesichts der bohrenden Nachfragen bleibt ihnen nichts anderes übrig.
Wortreich beschwören sie die Einheit der Partei. Die Linkspartei sei eine
„historische Errungenschaft“, sagt Wissler mit deutlich verfinsterter
Miene. Deswegen appelliere sie „an alle, wirklich dieses historische
Projekt nicht zu gefährden“. Er werde die Existenz dieser Partei
verteidigen und an ihrer Zukunft arbeiten, sagt Schirdewan mit nicht minder
ernstem Blick. Das klingt nach Durchhalteparolen.
Seit dem [1][umstrittenen Bundestagsauftritt Sahra Wagenknechts vergangene
Woche], bei dem die Ex-Fraktionsvorsitzende der Bundesregierung vorgeworfen
hatte, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland „vom Zaun“ gebrochen zu haben,
brodelt es heftigst in der Partei. Für etliche ist nun endgültig die
Schmerzgrenze überschritten.
Ein Beispiel dafür ist der langjährige nordrhein-westfälische
Landesvorsitzende Knud Vöcking. 28 Jahre war er Mitglied erst der PDS, dann
der Linkspartei. Unmittelbar nach der Wagenknecht-Rede hat er seinen
Austritt erklärt. „Meine Geduld ist zu Ende“, schreibt Vöcking in seiner
Austrittserklärung.
## „Grenze des Erträglichen schon lange erreicht“
„Wir sind es leid“, heißt es auch [2][in einem Offener Brief, den Katharina
König-Preuss, Jule Nagel und Henriette Quade] am Freitagabend
veröffentlicht haben. Mit ihrer Rede habe Wagenknecht „die
Verteilungsungerechtigkeit in Deutschland gegen die angegriffene
Bevölkerung in der Ukraine ausgespielt, damit Putin in die Hände gespielt
und die Redezeit für rechtsoffene populistische Plattitüden verschwendet“,
schreiben die drei Linken-Landespolitikerinnen aus Thüringen, Sachsen und
Sachsen-Anhalt.
König-Preuss, Nagel und Quade konstatieren: „Die Grenze des Erträglichen
ist mit Blick auf das Gebaren von Sahra Wagenknecht und ihrer Getreuen
schon lange erreicht.“ Konkret zählen sie Äußerungen gegen die Aufnahme von
Geflüchteten, gegen die europäische Integration, gegen
Coronaschutzmaßnahmen oder gegen Bündnispartner:innen aus den
antirassistischen, Klima- oder Queerbewegungen auf.
Auch beklagen sie Wagenknechts Glorifizierung einer
[3][Querfrontdemonstration in der tschechischen Hauptstadt Prag] Anfang
September. Dort hatte die – seit 2021 nicht mehr im Parlament vertretene –
Kommunistische Partei gemeinsam mit rechtsextremen Parteien- und
Organisationen sowohl gegen hohe Energiepreise und Sanktionen gegen
Russland als auch gegen Corona-Impfungen, die Aufnahme von Flüchtlingen und
die EU demonstriert. Wagenknecht sieht diese Demo als Vorbild für
Deutschland an, wie sie in einem am Donnerstag auf ihrem Youtube-Kanal
veröffentlichten Video bekundet hat.
Nun seien Konsequenzen erforderlich, so König-Preuss, Nagel und Quade: „Wir
fordern den Ausschluss von Sahra Wagenknecht aus der Bundestagsfraktion.“
Und sie verlangen auch den Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden Dietmar
Bartsch und Amira Mohamed Ali, die die Rede Wagenknechts „trotz massiver
Kritiken und wohlwissend um die von ihr vertretenen Inhalte“ ermöglicht
hätten. [4][Der Brief wird von zahlreichen Kommunal- und
Landespolitiker:innen der Linkspartei unterstützt.]
„Solche Reaktionen waren erwartbar, der Unmut ist verständlich“, sagt dazu
Parteichefin Wissler der taz. „Das zeigt noch einmal, wie dringend es ist,
dass die Abgeordneten der Linken öffentlich die Positionen der Linken
vertreten.“ Zu den geforderten Konsequenzen sagt sie allerdings nichts.
## Wann geht das Wagenknecht-Lager?
Der Grund für diese Zurückhaltung: Die Parteiführung sieht sich in einem
Dilemma. Knapp einen Monat vor der Landtagswahl in Niedersachsen will sie
kein weiteres Öl ins Feuer kippen. Vor allem versuchen Wissler, Schirdewan
& Co aber, dem Wagenknecht-Lager keinen Vorwand für seine wohl ohnehin
bevorstehende Abspaltung von der Linkspartei zu liefern.
Die Frage, so heißt es aus Parteivorstandskreisen, sei nicht mehr, ob die
Wagenknechtianer:innen gehen, sondern nur noch wann – und mit wie
vielen. So sollen bereits in Landes- und Kreisverbänden Leute angesprochen
werden, ob sie mitgehen. „Mit Befremden hat der Parteivorstand zur Kenntnis
genommen, dass bekannte Mitglieder der Linken in verschiedenen Kontexten
öffentlich über die Bildung eines konkurrierenden politischen Projekts
gesprochen haben und damit die Einheit der Partei Die Linke in Frage
gestellt haben“, heißt es dazu in einem Beschluss der
Vorstandsklausurtagung.
Bereits [5][Ende August hatte die taz darüber berichtet], dass der frühere
Bundestagsabgeordnete Diether Dehm, einer der prominentesten Vertreter des
linkskonservativen Flügels, beim UZ-Pressefest der DKP eine
Konkurrenzkandidatur bei der Europawahl 2024 ins Gespräch brachte. „Es muss
eine Kraft antreten, die diesem Abbruchunternehmen da drüben im
Karl-Liebknecht-Haus eine Alternative entgegensetzt“, sagte er dort im
Beisein der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, die – wie auch
andere anwesende Linkspartei-Mitglieder – nicht widersprach.
Gerade angesichts der dramatischen sozialen Verwerfungen in Deutschland
finde sie es „verantwortungslos, wenn Mitglieder dieser Partei davon
sprechen, irgendwie etwas Neues machen zu wollen, die Partei verlassen zu
wollen“, sagte Wissler am Sonntag. „Wir haben eine Verantwortung, nicht für
uns nur als Partei, sondern für Millionen von Menschen, die uns gewählt
haben.“
Aber ist es da wirklich eine gute Idee, auf Durchhalteparolen zu setzen und
den mutmaßlichen Spalter:innen weiter das Gesetz des Handelns zu
überlassen? Tobias Schulze, stellvertretender Vorsitzender der
Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hat daran Zweifel: „Wagenknecht
und ihr Apparat arbeiten nach ‚Aufstehen‘ zum zweiten Mal an einem
konkurrierenden Parteienprojekt“, twitterte er am Samstag. „U.a. damit sie
dafür nicht wiederholt die Infrastruktur und Reichweite unserer Fraktion
missbrauchen, müssen sie die Fraktion verlassen.“
11 Sep 2022
## LINKS
[1] /Verstoerende-Rede-im-Bundestag/!5880882
[2] /Nach-verstoerender-Wagenknecht-Rede/!5881082
[3] /Grossdemonstration-in-Tschechien/!5876265
[4] https://www.es-reicht.org/
[5] /Abspaltungstendenzen-von-der-Linkspartei/!5877416
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Janine Wissler
Martin Schirdewan
Die Linke
Sahra Wagenknecht
Die Linke
Janine Wissler
Bundestag
Janine Wissler
Die Linke
Energiekrise
Bundestag
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Linke in Schleswig-Holstein: Chefin bleibt trotz Wahldebakel
Die Linke in Schleswig-Holstein erlebt einen Niedergang. Trotzdem wählten
die Delegierten Susanne Spethmann erneut zur Landesvorsitzenden.
Die Linke in Niedersachsen: Wider den zerzausten Zustand
Jessica Kaußen und Lars Leopold, die Spitzenkandidat:innen der Linken
in Niedersachsen, geben sich zuversichtlich. Trotz Fünfprozenthürde.
Turbulenzen in der Linksfraktion: Kein Bock auf Wagenknecht-Reden
Wer für die Linke im Bundestag spricht, hat sich an die Beschlüsse der
Partei zu halten. Das fordern acht Abgeordnete per Antrag an ihre Fraktion.
Nach Wagenknecht-Rede im Bundestag: Der Letzte macht das Licht aus
Ulrich Schneider, der prominenteste Soziallobbyist der Republik, ist aus
der Linken ausgetreten. Anlass ist die Bundestagsrede Sahra Wagenknechts.
Nach verstörender Wagenknecht-Rede: „Wir sind es leid“
Linke-Landespolitikerinnen fordern, Wagenknecht aus der Bundestagsfraktion
auszuschließen. Fraktionschefs Bartsch und Mohamed Ali sollen zurücktreten.
Wagenknecht-Auftritt im Bundestag: Schlimmer geht immer
Sahra Wagenknecht betreibt in ihrer Rede im Bundestag AfD-Rhetorik. Dass
Teile der Linksfraktion applaudieren, zeigt deren Orientierungsverlust.
Verstörende Rede im Bundestag: Rechte entzückt über Wagenknecht
Sahra Wagenknecht wirft Deutschland einen Wirtschaftskrieg gegen Russland
vor. Die Linksfraktion klatscht gemeinsam mit der AfD.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.