# taz.de -- Nach Ausschreitungen in Landeshauptstadt: Stuttgarter Ermittlungsme… | |
> Nach den Stuttgarter Krawallen will die Polizei die Herkunft der | |
> Tatverdächtigen klären. Trotz Kritik verteidigt das Innenministerium das | |
> Vorgehen. | |
Bild: In der Stadt Präsenz zeigen: Die Polizei mit großem Aufgebot auf dem St… | |
BERLIN taz | Die Kritik war deutlich – und parteiübergreifend. „Das | |
verstört mich nachhaltig“, twitterte SPD-Chefin Saskia Esken. Linke-Chef | |
Bernd Riexinger fragte: „Eine Straftat ist nur dann eine Straftat, wenn der | |
Täter Migrant ist, oder warum braucht es eine Stammbaumforschung?“ Und | |
FDP-Innenexperte Johannes Vogel erklärte: „Transparenz über Nationalitäten | |
gerne, aber Deutsche erster und zweiter Klasse gibt es nicht. Und mit | |
Aufklärung von Straftaten hat es nichts zu tun.“ | |
Anlass der Kritik waren Ausführungen des Stuttgarter Polizeipräsidenten | |
Franz Lutz im städtischen Gemeinderat vom Donnerstag. Diskutiert wurde dort | |
über die [1][Stuttgarter Krawallnacht] vom 21. Juni, bei der rund 500 | |
vorrangig Jugendliche in der Innenstadt Schaufensterscheiben eingeschlagen, | |
Geschäfte geplündert und PolizistInnen angegriffen hatten. Die CDU fragte | |
daraufhin in einem Antrag nach den Biografien der Festgenommenen. Wie viele | |
davon lebten in Stuttgart? Wie viele haben Migrationshintergrund? Wie viele | |
sind Geflüchtete? | |
Lutz kündigte in der Folge dessen laut Stuttgarter Zeitung eine bundesweite | |
Stammbaumrecherche über die Tatverdächtigen mithilfe von Landratsämtern an, | |
auch über Tatverdächtige mit deutschem Pass. Ein Polizeisprecher begründete | |
der Zeitung das Vorgehen mit der Schwere der Ausschreitungen. Hinzu komme, | |
„dass ganz Deutschland auf den Fall blickt“. Dabei würden auch Fragen nach | |
den Hintergründen der Täter gestellt. | |
Am Sonntagnachmittag relativierte die Polizei den Bericht. Eine | |
Stammbaumforschung sei „nicht korrekt“, teilte ein Sprecher mit. Wohl aber | |
würden die Lebens- und Familienverhältnisse der Tatverdächtigen | |
festgestellt. Dazu gehöre in Einzelfällen auch die Nationalität der Eltern, | |
„und nur die der Eltern“. | |
Innenminister Strobl verteidigt Polizei | |
Sie würde durch Anfragen bei den Standesämtern erhoben, um einen | |
Migrationshintergrund zu klären. Dieser liege vor, wenn ein Elternteil oder | |
der Verdächtigte selbst nicht deutsch sei. Für eine strafrechtliche | |
Aufarbeitung bedürfe es „aller persönlichen Umstände der Tatverdächtigen�… | |
so die Polizei. Zudem gehe es auch um „maßgeschneiderte“ | |
Präventionsmaßnahmen. | |
Die von dem grünen Oberbürgermeister [2][Fritz Kuhn] geführte Stadt | |
positionierte sich am Sonntag vorerst nicht zu dem Polizeivorgehen. | |
Hingegen verteidigte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl | |
(CDU) die Verfahrensweise: Die Feststellung von Familienverhältnissen sei | |
„eine Selbstverständlichkeit in einem Strafverfahren“. | |
Der Begriff der Stammbaumforschung sei „fehl am Platze“, die Arbeit der | |
Stuttgarter Polizei aber völlig „professionell und korrekt“, so Strobl. Es | |
gehe um eine umfassende Aufklärung nach den einmaligen Ausschreitungen. | |
„Insofern stehe ich auch in diesem Punkt zur Arbeit und hinter unserer | |
Polizei.“ | |
Doch schon nach der Gemeinderatssitzung kritisierten SPD, FDP, Grüne und | |
Linken das Polizeivorgehen. Am Sonntag erfolgte die Kritik auch bundesweit | |
– und auch aus Kuhns Partei. Deren Innenexperte Konstantin von Notz nannte | |
die Pläne der Stuttgarter Polizei „die unsägliche Konsequenz aus der | |
rechtsextremen Debattenverschiebung“. „Sicherheitspolitisch bringt einen | |
das null Prozent weiter, gesellschaftspolitisch spaltet es und wirft uns | |
weit zurück.“ | |
Boris Pistorius: „Was soll das?“ | |
Ex-Grünenchef Cem Özdemir forderte Polizeipräsident Lutz auf, den Vorschlag | |
zurückzuziehen. „Zu den Aufgaben der Polizei gehört die Stammbaumforschung | |
in Deutschland aus guten Gründen nicht mehr. Wie weit zurück soll es | |
gehen?“ Selbst der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) | |
twitterte: „Was soll das?“ | |
Bereits unmittelbar nach der Krawallnacht hatte die Stuttgarter Polizei die | |
[3][Nationalitäten der damals Festgenommenen bekannt gegeben]. Demnach | |
wurden 12 Personen mit deutschem Pass gefasst, 12 weitere mit anderer | |
Nationalität. Sie waren laut Polizei zwischen 14 und 33 Jahre alt. | |
Inzwischen wurden 39 Tatverdächtige festgenommen, 14 von ihnen sitzen in | |
U-Haft. | |
In der Nacht zum Samstag war es in Stuttgart erneut zu einem größeren | |
Einsatz gekommen. Laut Polizei mussten Beamte Auseinandersetzungen zwischen | |
Alkoholisierten beenden, ein Mann wurde bei einer Schlägerei schwer | |
verletzt. Es kam zu mehreren vorläufigen Festnahmen. Die Nacht zum Sonntag | |
blieb ruhig. | |
Die Stadt Stuttgart und das Land hatten erst Anfang Juli eine | |
Sicherheitspartnerschaft geschlossen. Vereinbart ist nun eine stärkere | |
Polizeipräsenz an Wochenenden, eine eigene Ermittlungseinheit, verstärktes | |
Vorgehen gegen Intensivtäter und „Fahndungstage“. Die Videoüberwachung von | |
Brennpunkten sowie Alkohol- und Aufenthaltsverbote werden geprüft. | |
Eingerichtet werden soll auch ein „Haus der Prävention“ in der Innenstadt. | |
„So eine Krawallnacht darf es nicht mehr geben“, sagte Innenminister | |
Strobl. Auch Kuhn erklärte, durch die Ausschreitungen hätte „das | |
Sicherheitsgefühl gelitten“. Die Stadt stehe für „Freiheit, Liberalität … | |
Weltoffenheit“. Aber: „Nur wo es Sicherheit gibt, kann es auch Freiheit | |
geben.“ | |
12 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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