# taz.de -- Polizei-Erhebungen in Stuttgart: „Ein rassistisches Narrativ“ | |
> Nach der Stuttgarter Krawallnacht will die Polizei die Herkunft der | |
> Tatverdächtigten klären. Kriminologe Tobias Singelnstein findet das | |
> bedenklich. | |
Bild: Polizeipräsenz auf dem Schlossplatz in Stuttgart am 26. Juni | |
BERLIN taz | In der Debatte um die Erhebung des Migrationshintergrunds von | |
Tatverdächtigten der Stuttgarter „Krawallnacht“ erklärt der Bochumer | |
Kriminologe Tobias Singelnstein, die dortige Polizei mache „keine gute | |
Figur“. Zwar sei unklar, was die Behörde mit den erhobenen Informationen zu | |
tun beabsichtige. Die Äußerungen legten aber nahe, „dass sie dem | |
Migrationshintergrund eine Bedeutung beimisst, die er schlicht nicht hat“, | |
sagte der [1][Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum] | |
der taz. | |
Zuvor hatte die Meldung für Empörung gesorgt, die [2][Stuttgarter Polizei | |
wolle unter den meist jugendlichen deutschen Tatverdächtigen | |
„Stammbaumforschung“ betreiben]. Die Behörde weist diese Wortwahl zurück. | |
Ein Sprecher der Stadt Stuttgart soll sich den Tonmittschnitt der | |
Gemeinderatssitzung angehört und bestätigt haben, dass Polizeipräsident | |
Frank Lutz den Begriff nicht gebrauchte. | |
„Ich habe mir erlaubt, den Ausführungen von Lutz einen Namen zu geben und | |
das zugegebenermaßen etwas zugespitzt“, erklärte am Montagnachmittag der | |
Stuttgarter Stadtrat Marcel Roth (Grüne), über dessen Facebookeintrag das | |
Wort „Stammbaumforschung“ in Umlauf geraten war. Ihm gehe es aber „um die | |
Sache und nicht um den Begriff“. Polizeipräsident Frank Lutz habe in seiner | |
Rede „einen eindeutigen Fokus auf Nationalität und Herkunft gelegt“, so | |
Roth. Das in der Ermittlung zu tun sei eine „Form von Rassismus“. | |
In einer [3][Pressemitteilung der Polizei] heißt es, Lutz habe von | |
„bundesweiten Recherchen bei Standesämtern“ gesprochen, „da bei elf | |
deutschen Tatverdächtigen ein Migrationshintergrund noch nicht gesichert | |
ist“. Die Bundesregierung verteidigte das Vorgehen am Montag: Man forsche | |
das „Phänomen“ unter allen möglichen Perspektiven aus, erklärte ein | |
Sprecher des Bundesinnenministeriums. | |
## „Nur als ein Detail von vielen“ | |
Gerade bei Jugendlichen sei die Prävention besonders wichtig und das | |
soziologische Umfeld deswegen Teil der Ermittlungen. Es mache einen | |
Unterschied, ob jemand erst seit Kurzem im Land sei oder hier geboren und | |
eine „starke Bindung an die Gesellschaft“ habe. | |
Wenn die Zuwanderungsgeschichte sich auf die Lebensumstände auswirke, könne | |
ihre Erhebung im Jugendstrafverfahren in der Tat „zur Vervollständigung des | |
Bildes“ sinnvoll sein, sagte Singelnstein – „als ein Detail von vielen“. | |
Wenn aber dem Migrationshintergrund selbst eine Bedeutung zugeschrieben und | |
dieser systematisch erhoben werde, „dann wäre das äußerst problematisch“. | |
In Singelnsteins Augen ist letztlich nicht der Begriff „Stammbaumforschung“ | |
entscheidend – sondern das Handeln der Polizei. Ihm sei nicht klar, welche | |
Schlussfolgerungen aus der Erhebung des Migrationshintergrunds gezogen | |
werden sollen, so der Kriminologe. | |
## Sensibler Umgang angebracht | |
Öffentlich entstehe durch die Äußerungen der Stuttgarter Polizei der | |
Eindruck, [4][Staatsangehörigkeit oder Migrationshintergrund hätten einen | |
Einfluss auf die Straffälligkeit]. „Wir wissen aus der kriminologischen | |
Forschung, dass das nicht stimmt.“ Vielmehr komme es auf die Lebensumstände | |
und soziale Aspekte an, vielleicht noch auf psychische Faktoren. | |
Akteure wie die AfD seien „sehr bemüht“, Migration und Kriminalität in | |
Zusammenhang zu bringen. Das sei ein „klassisches rechtes und rassistisches | |
Narrativ“. Gerade deshalb sei die Polizei „aufgefordert, in der | |
öffentlichen Debatte sehr sensibel mit diesen Themen umzugehen – statt den | |
Eindruck zu erwecken, es gebe solche Zusammenhänge tatsächlich“, so | |
Singelnstein. | |
Welche Daten bei wem und zu welchem Zweck erhoben werden sollen, konnte die | |
Pressestelle der Stuttgarter Polizei bis Redaktionsschluss nicht | |
beantworten. | |
13 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kriminologie.rub.de/index.php/de/prof-dr-singelnstein | |
[2] /Nach-Ausschreitungen-in-Landeshauptstadt/!5694642 | |
[3] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110977/4649865 | |
[4] /Herkunftsnennung-bei-Straftaten/!5645189 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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