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# taz.de -- Psychiater über Frankfurter Krawallnacht: „Überschüssige Energ…
> Warum kommt es zu Ausschreitungen, wie in Stuttgart oder aktuell in
> Frankfurt am Main? Ein Gespräch mit Jugendpsychiater Gerd Schulte-Körne.
Bild: Was war da los? Zerstörte Bushaltestelle am Frankfurter Opernplatz
taz: Herr Schulte-Körne, zuerst [1][Stuttgart] und jetzt [2][Frankfurt]: In
der Coronapandemie scheinen Krawalle durch Jugendliche zuzunehmen. Woran
liegt das?
Gerd Schulte-Körne: Jugendliche haben einen enormen Freiheitsdrang, sind
auf den Austausch mit ihren Freundinnen und Freunden angewiesen. Durch die
Einschränkungen im Zuge der Pandemie konnte dieser in den letzten Monaten
kaum stattfinden. Gleichzeitig sind Clubs und Bars geschlossen. Hier
schlagen Jugendliche normalerweise kontrolliert über die Stränge. Ist das
Feiern an diesen Orten nicht möglich, verlagern sich die Partys auf
öffentliche Plätze, wie zuletzt in Frankfurt. Hier entlädt sich dann die
überschüssige Energie der Jugendlichen.
In Frankfurt wurde die Polizei mit Glasflaschen beworfen, der
Polizeipräsident spricht von Schürfwunden und Prellungen. Ist das allein
mit einem nicht ausgelebten Freiheitsdrang zu erklären?
Nein. Bei solchen Ausschreitungen spielen auch Alkohol und Gruppendynamik
eine zentrale Rolle. Beide führen zu Enthemmung. Rationale Bedenken bleiben
auf der Strecke. Gemeinsam mit einer Gruppe zu agieren, kann ein extrem
erhebendes Gefühl sein. Es gibt Anführer, Mitläufer und Skeptiker. Aber in
dem Moment fühlen sich alle als Einheit, exklusiv und stark. Mit diesem
Allmachtsgefühl verschwindet auch die Vorsicht der Jugendlichen.
In Stuttgart sorgte das Wort „Stammbaumforschung“ in der Folge der
Ermittlungen für eine Kontroverse, in Frankfurt spricht der
Polizeipräsident von 39 Festgenommenen, „vorwiegend mit
Migrationshintergrund“. Welche Rolle spielt der soziale Hintergrund bei
solchen Krawallen?
Wie es in Frankfurt oder auch in [3][Stuttgart] war, kann ich nicht
beurteilen. Trotzdem würde ich zwischen zwei verschiedenen Motivlagen
unterscheiden.
Die erste würde ich Wohlstandsverwahrlosung nennen. Das sind Jugendliche,
die aus einem finanziell abgesicherten Milieu kommen und ihren
Freiheitsdrang ausleben. Sie akzeptieren zwar grundsätzlich die Normen der
Gesellschaft, leben jetzt aber in der Öffentlichkeit ihre Bedürfnisse aus.
Mit der Sicherheit im Rücken, dass die Eltern im Zweifel hinter ihnen
stehen und sie raushauen.
Auf der anderen Seite gibt es Jugendliche, die sich derzeit noch mehr als
sonst von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen. Deren Familien eventuell
nicht ausreichend integriert sind und die gesellschaftliche Normen weniger
akzeptieren. Um das genauer zu beurteilen, bräuchte es Interviews mit den
Beteiligten.
Psycholog*innen warnen schon länger vor einem erhöhten Stressniveau bei
Kindern und Jugendlichen aufgrund der coronabedingten Einschränkungen,
besonders nach dem Lockdown. Spielt das bei den Ausschreitungen eine Rolle?
Das wäre möglich. Die Coronapandemie setzt Jugendliche enormen Belastungen
aus. Zu Beginn der Einschränkungen sind in Bayern Autos mit Lautsprechern
durch die Straßen gefahren und haben „harte Strafen“ bei Nichteinhaltung
der Regeln angedroht. Für Kinder und Jugendliche war das weit außerhalb des
Normalen. Bei vielen hat es Angst und Unsicherheit ausgelöst.
Jüngst hat [4][eine Studie aus Hamburg] unsere Befürchtungen bestätigt:
Zukunftsängste, Streit mit der Familie und psychisches Unwohlsein haben
massiv zugenommen. Insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial
schwächeren Familien sind betroffen.
21 Jul 2020
## LINKS
[1] /Jugendgewalt-in-Stuttgart/!5691509
[2] /Folgen-von-Krawall-in-Frankfurt-am-Main/!5701468
[3] /Ermittlungen-zu-Krawallen-in-Stuttgart/!5700776
[4] /Studie-zu-mentaler-Gesundheit/!5698902
## AUTOREN
Mitsuo Iwamoto
## TAGS
Polizei Hessen
Frankfurt am Main
Ausschreitungen
Psychologie
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Krawalle
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