| # taz.de -- „NSU 2.0“-Prozess: Was geschah im Frankfurter 1. Revier? | |
| > Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohserie hält sich der Verdacht, dass | |
| > Polizeikräfte daran mitwirkten. Zwei verdächtigte Beamte sagen nun aus. | |
| Bild: Überwachungskamera an einem hessischen Polizeigebäude | |
| Frankfurt/Main taz | Am Freitag hätte [1][Johannes S.] die Chance | |
| auszupacken, im Saal 1 des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main. Dann ist der | |
| Polizist als Zeuge geladen im Prozess [2][zur rechtsextremen „NSU | |
| 2.0“-Drohserie], die sich gegen die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız u… | |
| weitere Prominente richtete. War er derjenige, der im 1. Revier | |
| Frankfurt/Main Başay-Yıldız’ Privatdaten abfragte, die später in den | |
| Schreiben auftauchten? Verfasste er gar selbst Drohungen? | |
| Es sind brisante Fragen, die sich an Johannes S. richten. Und Başay-Yıldız | |
| ist überzeugt, dass der Polizist zumindest für das erste Drohfax an sie | |
| verantwortlich war. „Es spricht alles dafür“, sagt die Anwältin der taz. | |
| Seit Februar wird in dem Gericht über die Drohserie verhandelt. Angeklagt | |
| ist dort ein anderer: [3][Alexander M.], ein langzeitarbeitsloser | |
| Informatiker aus Berlin, vielfach vorbestraft. Fast drei Jahre lang soll er | |
| als „NSU 2.0“ wüste Drohungen an Dutzende Personen verschickt haben. Die | |
| erste ging am 2. August 2018 per Fax an Başay-Yıldız, samt Nennung ihrer | |
| öffentlich unbekannten Adresse und des Namens ihrer Tochter. Beides war | |
| kurz zuvor auf dem Frankfurter Revier abgerufen worden – in dem Johannes S. | |
| zu der Zeit Dienst hatte. | |
| Später erfolgten weitere Datenabrufe zu Betroffenen der Serie auf Revieren | |
| in Wiesbaden und Berlin. Bis heute hält sich daher der Verdacht, dass | |
| Polizist:innen an der Serie beteiligt waren. Auch Alexander M. | |
| behauptet das. Über ein Darknetforum habe er davon mitbekommen. [4][Er | |
| selbst bestreitet, etwas mit der Serie zu tun zu haben] – wogegen Fragmente | |
| einiger Schreiben sprechen, die auf seinem Rechner gefunden wurden. | |
| ## Polizistin Miriam D. fehlt eine Aussagegenehmigung | |
| Im Verdacht der Ermittler stand tatsächlich zunächst [5][Miriam D.], die | |
| auch auf dem Frankfurter Revier arbeitete. An ihrem Dienstrechner erfolgte | |
| damals die Datenabfrage zu Başay-Yıldız. Am Donnerstag ist die 37-Jährige | |
| nun im Prozess geladen. Doch sie kann vorerst nichts zu Wahrheitsfindung | |
| beitragen. Ihr Rechtsbeistand teilt mit, für sie liege keine | |
| Aussagegenehmigung vor. Offenbar hatte diese niemand beantragt – nicht ihr | |
| Dienstherr, nicht die Staatsanwaltschaft, nicht Richterin Corinna Distler. | |
| Es folgt ein Geplänkel, wer die Genehmigung hätte beantragen müssen, das | |
| Distler beendet. Miriam D. muss noch einmal kommen. | |
| In Vernehmungen hatte die Polizistin indes gesagt, ihr Dienstrechner habe | |
| damals allen im Revier offen gestanden. Ob sie selbst die Daten von | |
| Başay-Yıldız abfragte, könne sie nicht mehr erinnern. Auffällig war, wie | |
| intensiv dies erfolgte: [6][Fast 6 Minuten lang und mit 17 Eingaben] wurde | |
| nach Informationen zu Başay-Yıldız gesucht. Bis heute wird gegen Miriam D. | |
| wegen der Datenweitergabe ermittelt. Der Vorwurf: Geheimnisverrat. | |
| Gleiches gilt für [7][Johannes S.] Auch gegen den 33-Jährigen wurde lange | |
| Zeit intensiv ermittelt, gegen ihn wiegen die Indizien noch weit schwerer. | |
| Laut Einsatzprotokollen war er, als das Drohfax an Başay-Yıldız verschickt | |
| wurde, auf dem Revier. Auf seinem Handy fanden sich Sucheinträge nach | |
| „Yildiz in Frankfurt“ und „Rechtsanwältin“. Zudem beschäftigte er sich | |
| online mit dem Islamisten Sami A., den Başay-Yıldız damals vertrat – und | |
| wegen dem sie im ersten Drohschreiben angefeindet wurde. Just seine Chats | |
| vom 2. August 2018 aber löschte Johannes S. Und er kannte sich mit | |
| Tor-Verschlüsselung aus, hielt dazu einen Polizeivortrag. Über diese | |
| Verschlüsselung erreichte Başay-Yıldız auch das Drohfax. | |
| Zudem belegen Chats eine rechtsextreme Gesinnung. Fotos zeigen Johannes S. | |
| mit Hitlergruß. In einer Polizei-Chatgruppe namens „Itiotentreff“ teilte er | |
| rassistische Beiträge, wofür er im April angeklagt wurde – ebenso wie | |
| Miriam D., die auch zur Gruppe gehörte. Und auf einer Karikatur aus dem | |
| Revier trug Johannes S. eine Nazi-Uniform, am Kragen der Dienstgrad eines | |
| „Obersturmbannführers“ – so nannte sich auch der „NSU 2.0“-Schreiber. | |
| ## „Zu viele Indizien, um von Zufall zu reden“ | |
| Başay-Yıldız ist überzeugt: „Johannes S. versendete das erste Drohfax. Das | |
| sind viel zu viele Indizien, um noch von Zufall zu reden.“ Ihre Vermutung: | |
| Der Polizist könnte ihre Daten ins Darknet gestellt haben – die Alexander | |
| M. dann für die weiteren Drohschreiben verwendete. Die Staatsanwaltschaft | |
| geht dagegen davon aus, dass der 54-Jährige an die Daten kam, indem er in | |
| den Revieren anrief und sich als Behördenvertreter ausgab. | |
| Aber auch der angeklagte Alexander M. wittert Morgenluft. Demonstrativ | |
| gelassen verfolgt er am Donnerstag im roten Schlabber-Shirt die | |
| Verhandlung, lächelt ab und an in sich hinein. Dann trägt er einen | |
| Beweisantrag vor. Zwar habe er übers Internet Zugang zu den Drohschreiben | |
| gehabt, er sei aber weder Autor noch Absender gewesen. M. spickt dies mit | |
| IT-Fachausdrücken und langen, juristisch verklausulierten Sätzen. Und | |
| fordert eine neue Befragung eines BKA-Sachverständigen zu den Wegen der | |
| Drohschreiben durch das Netz. | |
| Tatsächlich hatte zuletzt auch ein LKA-Sachverständiger im Prozess den Lauf | |
| der anonymisierten Schreiben durchs Netz rekonstruiert – und erklärt, dass | |
| das erste Drohfax einen anderen Weg nahm als die folgenden Schreiben, die | |
| von einem E-Mail-Konto des russischen Anbieters Yandex kamen. Es stärkte | |
| die These von Başay-Yıldız. Und auch Alexander M. hörte dies wohl mit | |
| Genugtuung. | |
| ## Staatsanwaltschaft entlastet Johannes S. | |
| Die Staatsanwaltschaft widersprach im Prozess indes dem Verdacht gegen | |
| Johannes S. Die Nebenklage picke sich hier Rosinen heraus und lasse andere | |
| Indizien beiseite, erklärte sie. So war Johannes S. etwa observiert worden, | |
| als ein Drohschreiben verschickt wurde: Er stand an einem Dönerimbiss. Für | |
| die Ankläger gilt Alexander M. weiter als verdächtigt, alle Schreiben | |
| verschickt zu haben. Und auch Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) legte | |
| sich früh fest: „Nach allem, was wir heute wissen, war nie ein hessischer | |
| Polizist für die Drohmailserie verantwortlich.“ | |
| Genau das aber glaubt Başay-Yıldız nicht. Auch die taz hatte früh zu der | |
| Beteiligung von Johannes S. an der „NSU 2.0“-Drohserie recherchiert. Als | |
| unsere Zeitung ihn dazu zu Hause befragen wollte, lehnte er ab: Er habe | |
| [8][an einem Gespräch „kein Interesse“]. Und offiziell läuft das | |
| Ermittlungsverfahren gegen Johannes S. noch weiter. Deshalb könnte er am | |
| Freitag im Prozess auch schlicht die Aussage verweigern. | |
| Die weitere Aufklärung bliebe dann dem Gericht vorbehalten. Başay-Yıldız | |
| fordert diese vehement ein. „Die Polizei war offensichtlich in die | |
| Drohserie involviert. Und das darf nicht ungeahndet bleiben.“ | |
| 1 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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