# taz.de -- Rechte Drohschreiben von „NSU 2.0“: Angeklagter weist Schuld vo… | |
> Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben hielt der Angeklagte am | |
> Donnerstag das Plädoyer der Verteidigung selbst. Er forderte seinen | |
> Freispruch. | |
Bild: Angeklagter zwischen den Anwälten Marcus Steffel (l) und Ulrich Baumann … | |
FRANKFURT/MAIN dpa | Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben ließ es sich | |
der Angeklagte Alexander M. nicht nehmen, beim Schlussvortrag der | |
Verteidigung am Donnerstag vor dem Landgericht Frankfurt in eigener Sache | |
zu plädieren. Ausführlich und mit deutlichem Berliner Dialekt legte er dar, | |
warum seiner Meinung nach in dem Verfahren kein Tatnachweis erbracht worden | |
sei. „Es müsste mindestens noch ein Mittäter da sein. Ich selbst bestreite | |
jede Tatbeteiligung“, sagte der 53-jährige Berliner und forderte Freispruch | |
sowie Haftverschonung. | |
Er habe die Drohschreiben gegen Rechtsanwältinnen, Politikerinnen und | |
andere Personen des öffentlichen Lebens nicht verfasst, so M. Er sei | |
lediglich Mitglied einer Chatgruppe im Darknet gewesen, aus der er später | |
hinausgeschmissen worden sei. „Ich wurde mächtig in die Pfanne gehauen in | |
Zusammenarbeit mit der Polizei“, polterte der Angeklagte, der sich während | |
des Prozesses wiederholt lautstark und aggressiv zu Wort gemeldet und die | |
laufende Verhandlung unterbrochen hatte. | |
Doch auch die Schreiben, in denen etwa der [1][Frankfurter Rechtsanwältin | |
Seda Başay-Yıldız] mit der „Schlachtung“ ihrer Tochter gedroht worden se… | |
seien niemals ernsthaft gewesen: „Das Projekt NSU 2.0 war nur | |
Herumtrollerei auf hohem Niveau.“ | |
Völlig anders die Sicht der Nebenklägerinnen: Die Anwältin der | |
Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke) sah, anders als die | |
Anklagebehörde, den Tatbestand einer besonders schweren Nötigung erfüllt. | |
Die Drohschreiben gegen ihre Mandantin als Mitglied des Parlaments sei auch | |
ein Angriff gegen die Demokratie, sagte sie am Donnerstag, ohne ein | |
konkretes Strafmaß zu fordern. Ziel der Schreiben sei es gewesen, die darin | |
von Gewalt bedrohten Menschen zu zwingen, sich aus der Öffentlichkeit | |
zurückzuziehen, ihren Beruf aufzugeben oder gar das Land zu verlassen. | |
## Nebenkläger: Rolle der Polizei nicht aufgeklärt | |
Am Montag hatte die Staatsanwaltschaft [2][eine Haftstrafe von sieben | |
Jahren und sechs Monaten gegen Alexander M. gefordert]. Verurteilt werden | |
solle er unter anderem wegen Beleidigung und versuchter Nötigung, Störung | |
des öffentlichen Friedens und Volksverhetzung. | |
M. ist nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft der Verfasser von insgesamt | |
81 Drohschreiben, die per E-Mail, Fax oder SMS an Rechtsanwälte, | |
Politikerinnen, Journalistinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens | |
gerichtet und mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Die Staatsanwaltschaft | |
hält M. auch für Bombendrohungen gegen Gerichte für verantwortlich. Der | |
Absender „NSU 2.0“ spielt auf [3][die rechtsextreme Terrorzelle | |
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)] an. | |
Die Verteidiger von M. warfen der Staatsanwaltschaft am Donnerstag vor, in | |
ihrem Plädoyer nicht auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme vor Gericht, | |
sondern nur auf das Ermittlungsverfahren eingegangen zu sein. Ihr gehe es | |
vor allem um die „Ablenkung von Missständen in kleinen Teilen der | |
Frankfurter Polizei“. Zudem habe die Staatsanwaltschaft eine | |
„unverhältnismäßig hohe Strafmaßforderung“ gestellt. Bei den dem | |
Angeklagten vorgeworfenen Taten handele es sich überwiegend um Vergehen, | |
nicht um Verbrechen. | |
Auch die Nebenklägerinnen – neben Renner die seit August 2018 mit einer | |
Vielzahl von Schreiben bedrohten Frankfurter Anwältin Basay-Yildiz – hatten | |
weitere Aufklärung gefordert. Zumindest für das erste Schreiben bestünden | |
Zweifel an einer Täterschaft von M., so die Nebenklagevertreterin am | |
Montag. Sie kritisierte die Staatsanwaltschaft dafür, von einer | |
Einzeltäterschaft auszugehen und einen Alternativtäter nicht in Betracht zu | |
ziehen. | |
Auch die Verteidigung wies auf [4][einen Polizisten des Frankfurter | |
Reviers] hin, dessen Rolle in dem Verfahren nicht hinreichend aufgeklärt | |
worden sei. Gegen den Mann wird im Zusammenhang mit einer Chatgruppe mit | |
rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Inhalten ermittelt, im | |
Prozess gegen M. machte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. | |
Auf die Chatgruppe stießen die Ermittler, als sie die Abfrage der Daten von | |
Basay-Yildiz und ihrer Familie von einem Polizeicomputer untersuchten. | |
Dabei war in drei Datenbanken eine ungewöhnliche Menge von Daten abgerufen | |
worden. | |
Am nächsten Verhandlungstag am 17. November soll M. die Möglichkeit für das | |
traditionelle „letzte Wort“ haben, anschließend könnte das Urteil folgen. | |
In seinem Schlussvortrag der Verteidigung deutete M. allerdings an, er habe | |
nun alles gesagt: „Das war's!“ | |
27 Oct 2022 | |
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