# taz.de -- Prozess zu „NSU 2.0“: Einer gegen alles | |
> Im „NSU 2.0“-Prozess dürfte im November ein Urteil fallen. Der Angeklagte | |
> beteuert einmal mehr seine Unschuld – doch die Beweise belasten ihn | |
> schwer. | |
Bild: Bestreitet die Vorwürfe: der mutmaßliche Verfasser der „NSU 2.0“-Dr… | |
FRANKFURT/MAIN taz | Auch am Donnerstag erhebt Alexander M. noch einmal das | |
Wort. Er habe mit den [1][„NSU 2.0“-Drohschreiben] nichts zu tun, beteuert | |
der 54-jährige Berliner wiedermals vor dem Frankfurter Landgericht. Diese | |
kämen aus einer Darknet-Chatgruppe, der er zwar angehört habe, aber „ohne | |
selbst Straftaten begangen zu haben“. Auch sei es nie um tatsächliche | |
Gewalt gegangen, sondern einzig darum, „Negativschlagzeilen“ zu | |
produzieren. Letztlich seien es die Angeschriebenen und Medien gewesen, die | |
daraus ein „Riesenspektakel“ gemacht hätten. | |
Für die Betroffenen aber war es kein Spektakel – die Drohserie hatte | |
konkrete Folgen. Eine von ihnen, die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, | |
[2][berichtete davon zu Prozessbeginn]: Sie sagte Mandate und öffentliche | |
Termine ab, bekam Polizeischutz, ließ ihr Haus aufrüsten, sorgt sich jeden | |
Tag um ihre kleine Tochter. | |
Seit Februar wurde in 27 Prozesstagen wegen der „NSU 2.0“-Drohserie gegen | |
Alexander M. verhandelt, einem langzeiterwerbslosen, vorbestraften | |
Informatiker. Am Donnerstag nun sollten die Plädoyers beginnen. Aber es kam | |
anders. Aufgrund von Anträgen des Angeklagte und der Nebenklage verzögert | |
sich die Schlussphase des Prozesses. Die Plädoyers dürften nun am 24. | |
Oktober beginnen, ein Urteil im November fallen. | |
Fast drei Jahre lang soll Alexander M. 116 Drohschreiben als | |
selbsternannter „NSU 2.0“ verschickt haben, zumeist an Prominente, die sich | |
gegen Rassismus engagieren wie Başay-Yıldız, die wüst beschimpft wurden. | |
[3][Alexander M. bestreitet das.] Das Brisante: In einigen Schreiben | |
tauchten auch private Daten der Bedrohten auf, die zuvor auf | |
Polizeicomputern in Frankfurt/Main, Wiesbaden oder Berlin abgerufen wurden. | |
## Verschickte ein Polizist das erste Drohschreiben? | |
Başay-Yıldız glaubt deshalb, dass mindestens das erste Drohschreiben an | |
sie, das am 2. August 2018 per Fax an ihre Kanzlei ging und die Drohserie | |
eröffnete, nicht von Alexander M., sondern von einem Polizisten des 1. | |
Frankfurter Polizeireviers, [4][Johannes S.], gekommen ist. Dort waren ihre | |
Daten kurz zuvor umfangreich abgerufen worden. Johannes S. steht schon | |
länger unter Rechtsextremismusverdacht, war zur Zeit des Datenabrufs im | |
Revier und hatte zuvor auf seinem Handy nach „Yildiz in Frankfurt“ gesucht. | |
Antonia von der Behrens, die Nebenklageanwältin von Basay-Yildiz, versuchte | |
diesen Verdacht am Donnerstag mit mehreren Anträgen nochmal zu untermauern. | |
Sie beantragte etwa, nochmal einen Ermittler anzuhören, der festgestellt | |
hatte, dass das Drohfax tor-verschlüsselt sehr wahrscheinlich über ein | |
mobiles Endgerät verschickt wurde – das Alexander M. damals nicht besessen | |
habe. Der Angeklagte schloss sich dem Antrag prompt an. | |
Die Vorsitzende Richterin Corinna Distler kündigte an, die Anträge prüfen | |
zu müssen, weshalb sich das Ende der Beweisaufnahme verzögere. Gleichzeitig | |
erteilte Distler dem Angeklagten den rechtlichen Hinweis, dass einige der | |
Drohschreiben auch als besonders schwerer Fall der Nötigung verurteilt | |
werden könnten. Dafür droht eine bis zu fünfjährige Haftstrafe. | |
## Aussetzung des Verfahrens? Die Richterin lehnt ab | |
Alexander M. ging auch hier, wie den ganzen Prozess schon, sofort | |
dazwischen und forderte eine Aussetzung des Verfahrens, weil er mit diesem | |
Vorwurf nicht gerechnet habe. Diesen Antrag wies Distler zurück: Es gehe | |
nicht um neue Vorwürfe, sondern um deren rechtliche Bewertung. | |
Tatsächlich sieht es für einen Freispruch, den Alexander M. will, schlecht | |
aus. So fanden sich eine „NSU 2.0“-Drohmail und Fragmente von weiteren | |
Schreiben auf seinem Computer, als er im Mai 2021 verhaftet wurde. Dazu | |
konnten die Ermittler nachweisen, dass Alexander M. Zugang zum Postfach | |
derjenigen Yandex-Emailadresse hatte, von dem aus die Schreiben verschickt | |
wurden. Auch fanden sich auf seinem PC Suchanfragen zu einigen der | |
Bedrohten, allen voran zu Başay-Yıldız. Und immer wieder fiel Alexander M. | |
schon früher mit Wutausbrüchen und wüsten Beschimpfungen auf. | |
Bei den Polizeidaten glaubt die Anklage, dass Alexander M. diese über | |
fingierte Anrufe erlangte, in denen er sich als Behördenvertreter ausgab. | |
Auch dies bestreitet der 54-Jährige jedoch. Und zu den „NSU | |
2.0“-Drohschreiben und Fragmenten auf seinem Computer erklärte er am | |
Donnerstag, dass er diese wohl aus dem Darknetforum auf seinen PC kopiert | |
habe, auch wenn er daran „nicht die geringste Erinnerung“ mehr habe. | |
Auch seien in seiner Wohnung regelmäßig Personen gewesen, die er aus alten | |
Haftzeiten kannte, und die auch Zugang zu seinem PC gehabt hätten. Welche, | |
das will Alexander M. indes nicht sagen. Genauso wenig, wie er Namen der | |
angeblichen Darknet-Drohschreiber nennen will. So bleibt am Ende weiter nur | |
ein konkreter Verdächtiger für die „NSU 2.0“-Serie: Alexander M. | |
6 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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