# taz.de -- NRW-Schulministerin über Personalmangel: „Es muss alles auf den … | |
> In NRW schneiden Kinder in Mathe und Deutsch schlecht ab, es fehlen | |
> tausende Lehrkräfte. Was plant die neue Schulministerin Dorothee Feller? | |
Bild: Dorothee Feller (CDU) ist seit Ende Juni 2022 Schulministerin in Nordrhei… | |
taz: Frau Feller, das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen [1][scheint | |
Unglück zu bringen]. Der FDP hat es dieses Jahr die Niederlage bei der | |
Landtagswahl eingebracht, wie zuvor schon den Grünen 2017. Es klingt nicht | |
sehr einladend, nach ein paar Jahren im Amt als Sündenbock für eine | |
Wahlschlappe dazustehen. Warum gehen Sie dieses Risiko ein? | |
Dorothee Feller: Bildung ist für mich eines der wichtigsten Themen | |
überhaupt. Wir leben in einer Zeit vieler Krisen: die Pandemie, der Krieg | |
in der Ukraine und die Energiekrise mit all ihren Auswirkungen auf | |
Wirtschaft und Gesellschaft. Um diese Krisen zu bewältigen, brauchen wir in | |
allen Bereichen gut ausgebildete Menschen. Wir brauchen die Dichter und | |
Denker, wir brauchen die Handwerkerinnen und Handwerker und wir brauchen | |
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb müssen wir allen jungen | |
Menschen eine gute Bildung ermöglichen. Es geht um die Zukunft unserer | |
Kinder und unserer Gesellschaft insgesamt. | |
Ihre Partei- und Amtskollegin Karin Prien aus Schleswig-Holstein hat vor | |
dem letzten Bundesparteitag gefordert, dass die Union wieder stärker die | |
[2][Bildungspolitik für sich reklamieren] muss. In Nordrhein-Westfalen hat | |
sich niemand um das Schulministerium gerissen, auch Ihre Partei nicht. Kann | |
man in NRW mit Bildungspolitik nur verlieren? | |
Für Ministerpräsident Hendrik Wüst und die gesamte Landesregierung ist | |
Bildung sehr wichtig. Gleich in seiner ersten Regierungserklärung hat der | |
Ministerpräsident die zentralen Themen benannt: Bildung, Klima und innere | |
Sicherheit. Als NRW-CDU legen wir also einen klaren Schwerpunkt auf die | |
Bildung unserer Kinder und Jugendlichen. Dieser Aufgabe widme ich mich | |
gerne und mit voller Kraft. | |
Sie treten ein schweres Erbe an. Der [3][jüngste IQB-Bildungstrend] zeigt, | |
dass Schüler:innen aus Nordrhein-Westfalen mittlerweile fast zu den | |
Schlusslichtern Berlin und Bremen abgerutscht sind. Was ist Ihre Erklärung | |
dafür? | |
Die Studie ist ein deutliches Alarmsignal, dass sich im ganzen Land und | |
auch in Nordrhein-Westfalen etwas ändern muss. Zwar hängen die Ergebnisse | |
dieser IQB-Studie auch mit den pandemiebedingten Schulschließungen | |
zusammen. Ein negativer Trend war jedoch schon vorher zu beobachten. | |
Nordrhein-Westfalen ist bei dieser Studie zum dritten Mal in Folge im | |
unteren Drittel gelandet. Deshalb muss jetzt alles auf den Prüfstand. | |
Was heißt das? | |
Wir setzen einen Schwerpunkt im Bereich der Grundschulen. In der | |
vergangenen Legislatur haben wir in Nordrhein-Westfalen bereits den | |
„Masterplan Grundschule“ entwickelt. Dazu gehört eine Fachoffensive für | |
Mathematik und Deutsch. Jetzt müssen wir prüfen, warum die Maßnahmen noch | |
nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Gegebenenfalls müssen wir unsere | |
Lehrkräfte noch besser unterstützen, zum Beispiel mit gezielten | |
Fortbildungsangeboten. Unter anderem darüber habe ich schon mit | |
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen, die an der IQB-Studie | |
beteiligt waren. | |
Länder wie Hamburg haben bewiesen, dass ein überdurchschnittlich hoher | |
Anteil an zugewanderten Familien nicht automatisch zu schlechteren | |
Schulleistungen führt. Was können Sie davon für NRW lernen? | |
Wir müssen wirklich jedes Talent individuell fördern. Das gilt insbesondere | |
für sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler. Dazu schauen wir auch, | |
was andere Länder schon besser machen. Das betrifft vor allem die Bereiche | |
Lesen, Schreiben und Rechnen. Mit Hamburg, das sich bei der IQB-Studie | |
gegen den bundesweiten Trend positiv entwickelt hat, sind wir bereits im | |
Austausch und ich würde sagen: Hier ist das Abschreiben ausdrücklich | |
erlaubt. | |
Hamburg stattet Schulen mit besonders vielen förderbedürftigen Kindern | |
besser aus als andere. NRW verteilt seit letztem Schuljahr zusätzliche | |
Lehrerstellen auch nach diesem Prinzip – Sie wollen das Modell laut | |
Koalitionsvertrag aber noch weiterentwickeln. Was planen Sie da konkret? | |
Zum laufenden Schuljahr sind rund 5.900 zusätzliche Stellen über den | |
Schulsozialindex verteilt worden. Im nächsten Schritt wollen wir | |
evaluieren, ob dabei tatsächlich die besonderen Bedarfe der Schulen | |
ausreichend berücksichtigt wurden. Dazu muss man wissen: In vielen Regionen | |
sind die Schulen nicht schlecht ausgestattet. Es gibt aber Regionen, da ist | |
dies der Fall. Das betrifft Teile des Ruhrgebiets, aber auch ländliche | |
Räume. Wenn es um zusätzliche Ressourcen geht, werden wir die Schulen in | |
diesen Regionen weiterhin gezielt in den Blick nehmen. | |
Neue Stellen zu schaffen bedeuten nicht automatisch, sie auch besetzen zu | |
können. Im Sommer sind in Ihrem Bundesland 4.400 Lehrerstellen unbesetzt | |
geblieben. Dennoch versprechen Sie, 10.000 zusätzliche Lehrkräfte zu | |
gewinnen. Wie wollen Sie das schaffen? | |
Der Fachkräftemangel kann leider nicht von heute auf morgen behoben werden. | |
Wir brauchen daher einen Mix aus kurz-, mittel- und langfristigen | |
Maßnahmen. Gleich nach meinem Amtsantritt habe ich eine Arbeitsgruppe ins | |
Leben gerufen, die bis zum Jahresende solche Maßnahmen entwickeln soll. | |
Darüber hinaus stehen wir bereits im engen Austausch mit dem Wissenschafts- | |
und dem Finanzministerium, um mehr Studienplätze für das Grundschullehramt | |
und die Sonderpädagogik zu schaffen. Mittel dafür sind bereits im | |
Haushaltsentwurf 2023 vorgesehen. Klar ist aber, dass es einige Jahre | |
dauert, bis die zusätzlichen Studienplätze zu mehr Personal an Schulen | |
führen. Deshalb müssen wir auch über andere Ideen nachdenken. | |
Sachsen-Anhalt setzt mittlerweile Masterstudierende im Unterricht ein, | |
Brandenburg will auch Seiteneinsteiger verbeamten, Berlin rekrutiert | |
Pensionäre. Können Sie sich solche Schritte auch für NRW vorstellen? | |
Ich bin offen für alle Vorschläge, mit denen wir die Situation an unseren | |
Schulen wirklich verbessern. Entscheidend ist für mich, dass unsere | |
Lehrerinnen und Lehrer sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können: | |
guten Unterricht. Pensionäre sprechen wir natürlich in Nordrhein-Westfalen | |
auch schon an, denn es handelt sich bei ihnen meist um grundständig | |
ausgebildete Lehrkräfte. Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger, die | |
unseren Schulen kurzfristig weiterhelfen können, müssen wir gut begleiten | |
und für ihre Aufgaben in der Schule mit dem pädagogischen Rüstzeug | |
ausstatten. | |
Vor Kurzem haben Sie angekündigt, alle Lehrkräfte bis 2026 [4][auf die | |
Gehaltsstufe A13] zu stellen – also wie Gymnasiallehrer:innen zu | |
bezahlen. Ist das ein Zugeständnis an Ihren neuen Koalitionspartner, die | |
Grünen? Als die Union mit der FDP regierte, war sie noch gegen A13 für | |
alle. | |
Bereits im Landtagswahlkampf hat sich die NRW-CDU für die Anhebung | |
ausgesprochen. Ich bin froh, dass wir unser Versprechen einlösen und A13 | |
noch in den ersten hundert Tagen unserer Amtszeit auf den Weg bringen | |
konnten. Damit haben wir ein deutliches Zeichen der Wertschätzung für die | |
Arbeit unserer Lehrkräfte gesetzt. Und es ist übrigens auch ein Zeichen, | |
wie wichtig uns die Schul- und Bildungspolitik ist, dass wir vor dem | |
Hintergrund der krisenbedingt angespannten Haushaltslage das Versprechen | |
A13 einlösen. Das ist nicht selbstverständlich. Allein bis 2026 werden die | |
Kosten dafür rund 900 Millionen Euro betragen. | |
Apropos Geld: Ab dem Schuljahr 2024/25 will die Bundesregierung 4000 | |
Schulen [5][mit zusätzlichem Geld und Personal] unterstützen. Dafür müssen | |
sich Bund und Länder aber einigen, wie genau die Mittel verteilt werden – | |
zielgerichtet oder nach Gießkanne. Was halten Sie für die beste Lösung? | |
Dafür, wie eine gute Verteilung aussehen könnte, werden auf Länderebene | |
gerade Vorschläge erarbeitet. Der Sozialindex ist sicher ein Instrument, | |
das Orientierung geben kann. Noch wichtiger ist allerdings, dass das | |
Programm 2024 wirklich kommt, denn ursprünglich war es vom Bund bereits für | |
das kommende Jahr angekündigt. | |
Glauben Sie, dass sich die Länder untereinander auf ein Modell verständigen | |
können? Für Bayern oder Baden-Württemberg wäre der Königsteiner Schlüssel | |
lukrativ, bei dem Einwohnerzahl und Steueraufkommen entscheiden. Für Bremen | |
oder Berlin wäre das dagegen ungünstig. | |
Der Königsteiner Schlüssel ist sicherlich ein aus vergangenen Programmen | |
bekanntes und durchaus bewährtes Instrument. Beim Startchancenprogramm | |
könnte man ergänzend auch noch weitere Kriterien in den Blick nehmen; über | |
die genauen Modalitäten für eine Mittelverteilung sind die Länder im | |
konstruktiven Austausch. | |
Bildungsforscher:innen empfehlen ausdrücklich, ein anderes Modell zu | |
finden. | |
Das Geld muss an den Schulen ankommen, die es benötigen. Dieses Ziel eint | |
alle Beteiligten. Daher will ich dem Abstimmungsprozess nicht vorgreifen. | |
Wo sehen Sie neben fehlender Chancengleichheit und Personalmangel noch | |
dringenden Handlungsbedarf in Nordrhein-Westfalen? | |
Die Digitalisierung ist ein Thema, in dem wir zu einer nachhaltigen | |
Finanzierung kommen müssen. Ein zweites Thema ist die berufliche Bildung. | |
Da müssen wir etwa den Übergang von Schule und Beruf noch besser | |
organisieren, damit die jungen Menschen die weiteren Berufswege einschlagen | |
können, die am besten zu ihnen passen. Ein wichtiges Thema für mich ist | |
auch die Demokratiebildung, nicht zuletzt im Angesicht von antisemitischen | |
Anschlägen und Radikalisierungstendenzen. Wenn wir wie in | |
Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern das Wahlalter für | |
Landtagswahlen auf 16 runtersetzen wollen, muss die politische Bildung | |
fester Bestandteil in unseren Schulen sein. | |
Ihre Vorgängerin Yvonne Gebauer (FDP) hat den Schüler:innen und Eltern | |
eine Unterrichtsgarantie ausgesprochen. Was versprechen Sie? | |
Wichtiger als Schlagworte sind für mich Ergebnisse. Und die stellen sich am | |
ehesten ein, wenn wir die vielen Herausforderungen peu à peu abarbeiten und | |
unseren Schulen damit wieder ein Stück weit Ruhe zurückgeben. Wenn sich | |
unsere Lehrerinnen und Lehrer künftig wieder darauf konzentrieren können, | |
guten Unterricht für ihre Schülerinnen und Schüler gezielt zu machen, | |
hätten wir schon eine Menge erreicht. | |
22 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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