| # taz.de -- Mutterschaft im Theaterbetrieb: Der Bauch wächst, der Vorhang fäl… | |
| > Beruf und Familie sind rund um den Bühnenbetrieb besonders schwer | |
| > vereinbar. Der Verein Bühnenmütter fordert deshalb strukturelle | |
| > Verbesserungen. | |
| Bild: Teresa Monfared und Verena Usemann gehören zu den Gründerinnen der Büh… | |
| „Künstlerinnen verschwinden, wenn sie Mütter werden“. Mit diesen Worten | |
| beschreibt Teresa Monfared am 1. März 2023 im Kulturausschuss des | |
| Bundestags die Situation von Frauen in Bühnenberufen. „Kinder sind für | |
| Künstlerinnen ein Karriererisiko“, erklärt sie weiter. „Sie scheitern an | |
| den bestehenden Strukturen und Ansprüchen der Arbeitswelt.“ Monfared ist | |
| freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin und im Vorstand des Vereins | |
| [1][Bühnenmütter], der sich für familienfreundliche Bedingungen an Opern- | |
| und Theaterhäusern einsetzt. | |
| Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in vielen Branchen schwierig, | |
| im Theaterbetrieb ist die Lage besonders prekär: DarstellerInnen müssen | |
| sechs Tage in der Woche zur Verfügung stehen, Probenpläne werden mit nur | |
| einem Tag Vorlauf veröffentlicht, Abendproben bis 22 Uhr sind keine | |
| Seltenheit. Auch finanziell gibt es wenig Spielraum. | |
| Seit Januar 2023 beträgt die Mindestgage für SolistInnen zwar immerhin | |
| 2.715 Euro brutto, doch Festverträge sind zumeist auf ein bis zwei Jahre | |
| befristet. Gäste und Freischaffende verdienen oft deutlich weniger, zudem | |
| herrscht dem Deutschen Kulturrat zufolge in den darstellenden Künsten | |
| [2][ein Gender-Pay-Gap von 34 Prozent.] Da wird die Frage nach der | |
| Kinderbetreuung rasch zum budgetären und psychologischen Stresstest – vor | |
| allem, sobald ein zweites Kind da ist. | |
| „Ein Kind kann man vielleicht einer hilfsbereiten Ankleiderin während einer | |
| Vorstellung noch in die Hand drücken, bei zwei Kindern geht das nicht mehr | |
| so einfach“, sagt Opernsängerin Annika Mendrala, verheiratete Mutter von | |
| zwei Mädchen und Gründungsmitglied von Bühnenmütter. Trotzdem sei sie | |
| weiter zu verschiedenen Engagements umhergereist. „Ich war ständig | |
| erschöpft und habe stark abgenommen.“ | |
| Vertragsverlust wegen Schwangerschaft | |
| Auf einem Spielplatz in Berlin-Prenzlauer Berg traf sie auf Sängerkollegin | |
| Verena Usemann, die ebenso an dem Spagat zwischen Bühnenberuf und | |
| Mutterschaft verzweifelte. Sie beschlossen, den strukturellen Ursachen auf | |
| den Grund zu gehen. In einer 2022 veröffentlichten Pilotstudie befragten | |
| Usemann und Mendrala 121 Schauspielerinnen, Opernsängerinnen, | |
| Musicaldarstellerinnen, Tänzerinnen, Regisseurinnen, Dramaturginnen und | |
| Bühnenbildnerinnen zu ihren Erfahrungen mit Mutterschaft und Bühne. Jede | |
| vierte Frau gab an, aufgrund von Schwangerschaft und Mutterschaft schonmal | |
| eine Produktion oder einen Vertrag verloren zu haben. | |
| „Nachdem das Theater von meiner Schwangerschaft erfuhr, wurde mir mein | |
| Stückvertrag gekündigt“, berichtet eine Teilnehmerin. Eine andere erzählt: | |
| „Für einen Wiederaufnahme-Vertrag wurde eine komplizierte ‚Out-Klausel‘ | |
| eingefügt, für den Fall, dass ich als frischgebackene Mama nicht die | |
| Leistung bringen kann und sie mich so kurzfristig ersetzen können.“ | |
| Jede zweite Studienteilnehmerin berichtet, diskriminierendes Verhalten | |
| erlebt zu haben. Zu den dokumentierten verbalen Entgleisungen gehören Sätze | |
| wie: „Tja, mit Kind war’s das dann für dich.“ Oder: „Mit jungen Mütte… | |
| arbeiten wir nicht. Die sind zu unzuverlässig.“ Die befragten Bühnenmütter | |
| beklagten fehlende Kooperationsbereitschaft von Arbeitgeberseite: „Wenn | |
| meine Kinder krank sind beispielsweise, gibt es gar nicht die Option, sich | |
| Urlaub nehmen zu können.“ | |
| Um Betroffenen bei psychosozialen Belastungen zu unterstützen, vernetzt der | |
| Verein Bühnenmütter aller Sparten untereinander, veranstaltet digitale | |
| Konferenzen und bietet rechtliche Erstberatung an. Langfristig jedoch, | |
| davon sind die Vereinsmitglieder überzeugt, [3][braucht es einen | |
| Strukturwandel innerhalb der Theaterlandschaft:] „Man könnte Abendproben | |
| auf die Endprobenwoche vor der Premiere beschränken – ansonsten nur Proben | |
| von 9.30 bis 16 Uhr“, schlägt Annika Mendrala vor. | |
| ## Familienfreundliche Strukturen fehlen | |
| In ihren Augen ist es auch Aufgabe des Staates, im Kultursektor für | |
| familienfreundliche Strukturen zu sorgen. Bei anderen öffentlichen | |
| Institutionen sei das bereits der Fall: „Behörden zum Beispiel sind auch | |
| steuerlich finanzierte staatliche Gebilde. Die sind sehr | |
| familienfreundlich. Da kann man ein Sabbatjahr nehmen oder auf 50 Prozent | |
| gehen. Warum ist das am Theater nicht so?“ | |
| Der Verein fordert von der Politik eine Novellierung des Zuwendungsrechtes. | |
| Also eine Gesetzesänderung, die staatliche und freie Kulturinstitutionen | |
| dazu befähigen würde, in Projektanträgen Kinderbetreuung gegenüber der | |
| öffentlichen Hand abzurechnen, so Teresa Monfared. Und. „Natürlich muss | |
| auch darüber nachgedacht werden, wie Theater im Rahmen ihrer | |
| institutionellen Förderung Notbetreuung, Babysitter oder sogar | |
| betriebseigene Kindertagesstätten anbieten können, ohne die Mehrkosten | |
| selbst tragen zu müssen.“ | |
| Geschehe das nicht, so befürchtet sie, würden Frauen mit Kindern in | |
| künstlerischen Karrieren weiter das Nachsehen haben: „In dem Augenblick, wo | |
| wir als Mütter Kinderbetreuung einfordern, haben Nichtmütter einen | |
| Wettbewerbsvorteil, da sie günstiger sind“, sagt Monfared. | |
| Bleiben Kinderbetreuung und familienfreundliche Arbeitszeiten weiterhin die | |
| Ausnahme, gehen dem Theaterbetrieb viele wertvolle Künstlerinnen verloren. | |
| Laut der von Bühnenmütter e. V. durchgeführten Studie erwägen etwa 40 | |
| Prozent der Bühnenkünstlerinnen mit Kindern, ihren Beruf aufgrund der | |
| Unvereinbarkeit von Arbeit und Familie aufzugeben. | |
| ## Verlustgeschäft für alle | |
| Auch volkswirtschaftlich gesehen wäre das ein Verlustgeschäft. Immerhin | |
| kostet die Ausbildung von Künstlerinnen auf und hinter der Bühne den Staat | |
| große Summen an Steuergeldern. Dem Publikum ginge zudem die künstlerische | |
| und erzählerische Perspektive von Frauen mit Kindern verloren. Dabei soll | |
| doch gerade die Theaterbühne gesellschaftliche Vielfalt abbilden, ein Ort | |
| der Begegnung und des Vorbildes sein. | |
| Zum Glück gehen einzelne Akteure mit gutem Beispiel voran. Das Theater | |
| Oberhausen etwa lud Anfang Mai zu einem Symposium zum Thema | |
| „Familienvereinbarkeit in den Performing Arts“. Die Mühlen mahlen langsam, | |
| doch Annika Mendrala hat Hoffnung. „Die Dinge werden sich irgendwann | |
| ändern, da bin ich mir sicher“, sagt sie. | |
| Bis es so weit ist, müssen Bühnenkünstlerinnen mit Kinderwunsch | |
| selbstständig vorsorgen. Ihnen rät Annika Mendrala, „sich vorher eine gute | |
| Infrastruktur für die Betreuung des Kindes aufzubauen und in eine möglichst | |
| großelternnahe Stadt zu ziehen.“ Und sich sehr gut in Strategien zu | |
| Vertragsverhandlungen weiterzubilden und unter gar keinen Umständen den | |
| Kinderwunsch wegen der familienunfreundlichen Strukturen nicht auszuleben. | |
| 29 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Schors | |
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