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# taz.de -- Inklusion in der Schauspielausbildung: Alles spielen können
> Yulia Yáñez Schmidt ist die erste Absolventin des Inklusiven
> Schauspielstudios Wuppertal. Dort werden Menschen mit Behinderung
> ausgebildet.
Bild: Yulia Yáñez Schmidt am Düsseldorfer Schauspielhaus in dem Stück „K …
Yulia Yáñez Schmidt betritt im Käferkostüm die Bühne. Sie setzt sich hinter
einen Schreibtisch, an dessen Seiten verstellbare Lampen wie Käferarme
herausragen, und haut in die Tasten einer Schreibmaschine. Das Publikum
lacht. Dass Yulia heute auf der Bühne des Jungen Schauspiels Düsseldorf
steht und für 10- bis 15-jährige Kafkas Käfer gewordenen Gregor Samsa
spielt, ist nicht selbstverständlich. Denn Yulia trägt eine Beinprothese
und passt damit nicht in die genormte deutsche Theaterlandschaft.
Das wurde ihr unmissverständlich klar gemacht, als sie sich nach dem Abitur
an Schauspielschulen bewarb. „Ich bin da hingefahren in dem Glauben,
vielleicht klappt es ja. Wie man das so macht, wenn man mit der Schule
fertig ist und Schauspielerin werden will.“ Jahrelang hatte Yulia in
Theater-AGs gespielt, ihre Behinderung war dabei nie ein Problem gewesen.
Dann traf sie auf die harte Realität deutscher Schauspielschulen.
„Schön, dass Sie sich überhaupt hierhertrauen, aber natürlich werden wir
Sie niemals nehmen“, fasst Yulia ihre Erfahrungen zusammen. Ihr müsse doch
selbst bewusst sein, dass sie niemals ein Engagement bekäme. Sie zu
besetzen sei ein Politikum. Sie auszubilden lohne sich daher nicht.
Ausgebildet wurde Yulia dann doch. Und zwar auf der Probebühne 3 des
Schauspiels Wuppertal. Mit seiner hohen Decke und den schwarz gestrichenen
Wänden, an denen sich Kostüme und Requisiten stapeln, könnte sich der
fensterlose Raum genauso gut in jedem anderen deutschen Stadttheater
befinden.
## Teil des Ensembles
Die Schauspieler:innen, die sich hier gegenseitig Regieanweisungen geben,
nicht. „Lauter, Marvin“, ruft Flora von ihrem Rollstuhl aus. Sie ist, wie
auch Marvin, der jetzt lauter singt, [1][Teil des Inklusiven
Schauspielstudios Wuppertal], das seit 2019 Menschen mit Behinderung auf
eine Schauspielkarriere vorbereitet.
Viele andere Möglichkeiten dazu haben sie in Deutschland nicht. Auch zehn
Jahre nach Yulias enttäuschendem Vorsprechen gibt es an staatlichen
Schauspielschulen kaum Studierende mit Behinderung. Die wenigen inklusiven
Schauspielausbildungen werden meist von sozialen Trägern für die
Mitarbeiter:innen ihrer Werkstätten angeboten und sind deshalb nur in
Teilzeit. In Wuppertal ist die Ausbildung jedoch offen für alle, die beim
Vorsprechen überzeugen konnten.
Sie werden in Fächern wie Stimmbildung, Tanz und Szenenstudie unterrichtet
und bekommen Sprech- und Körpertraining. Sie sind außerdem Teil des
Ensembles und werden in Produktionen des Schauspiels Wuppertal eingesetzt.
Eine weitere Besonderheit des Inklusiven Studios ist die flexible
Ausbildungsdauer. Wer sich bereit fühlt, geht.
## Die eigene oder eine andere Geschichte
„Jeder Körper erzählt eine Geschichte“, fasst Schauspielintendant Thomas
Braus das künstlerische Konzept seines Theaters zusammen, das auch zum
Grundpfeiler des Inklusiven Studios wurde. Das könne die eigene, aber auch
eine ganz andere Geschichte sein. Denn Theater ist Behauptung, erklärt
Braus. Daher könnten alle alles spielen, nicht nur die eigene Behinderung,
wie das leider oft beim Film der Fall ist.
Zu Inklusion gehört jedoch ebenso, Strukturen zu verändern, um auf die
individuellen Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Dafür brauche es die
Unterstützung aller Abteilungen des Theaters, so Braus. Auch weil sein Haus
nicht barrierefrei ist. Darauf könne man allerdings noch lange warten. Vor
allem in einem öffentlichen Gebäude, in dem jede Ausgabe beantragt und
genehmigt werden muss. Es hat etwa Jahre gedauert, bis in der Nähe der
Probebühne 3 eine barrierefreie Toilette eingerichtet wurde. Das hat
schließlich die hauseigene Technik übernommen.
Seine Empfehlung an andere Theater lautet daher: Erst mal anfangen und die
Probleme, die dabei entstehen, möglichst schnell intern beheben. Auch die
Rampe, über die Flora zum gemeinsamen Mittagessen in die Kantine fährt, hat
die Technik selbst gebaut. „ACHTUNG!“ steht über der wackligen
Konstruktion. „Diese Rampe entspricht nicht den allgemeinen Regeln der
Barrierefreiheit. Bitte seien Sie entsprechend vorsichtig.“
30 Kilometer entfernt sitzt Yulia nach ihrer Vorstellung im Pausenraum des
Jungen Schauspiels Düsseldorf. Sie hat bis zur nächsten Probe eine Stunde
Zeit, davor muss sie noch Kostüme anprobieren. Seit dieser Spielzeit ist
die erste und bislang einzige Absolventin des Inklusiven Studios Wuppertal
hier festes Ensemblemitglied. Yulia hat geschafft, was ihr viele nicht
zugetraut haben. Ohne ihre Ausbildung am Schauspiel Wuppertal wäre das
nicht möglich gewesen.
## Arbeitsstrukturen verbessern
Doch wie barrierefrei ist ihr neuer Arbeitsplatz? „Ich werde hier mit einem
System konfrontiert, das nicht immer für mich funktioniert“, sagt Yulia und
meint damit keine Treppen, sondern die harten Arbeitsbedingungen am
Theater. „Wir arbeiten alle sehr viel. Bei mir gibt es aber Bereiche, wo
noch Sachen dazukommen.“
Inklusion muss auch hier ansetzen, findet sie: „Ich kann meinen
Studiokolleg:innen ein festes Engagement an einem Stadttheater unter
dem ‚NV Bühne‘ nicht guten Gewissens empfehlen.“ Gemeint ist der
Rahmenvertrag, der die Arbeitsbedingungen an staatlichen Theatern regelt.
Exzessive Arbeitszeiten, Abend- und Wochenendproben sowie fehlende
Ruhezeiten zwischen Vorstellungen und Proben sind nur einige der Punkte,
die auch die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger seit Langem
kritisiert.
„Wir müssen unsere Arbeitsstrukturen und -bedingungen ändern, weil sie für
niemanden gut sind“, sagt Yulia. „Bei mir fällt es einfach ein bisschen
früher auf.“
Und auf der Bühne? Dort wünscht sie sich, bei Bühnenbildern mehr mitgedacht
zu werden. Auch die sind von Bühnenbildner:innen entworfen worden, die
dabei an ihre eigenen Körper denken. Für Yulia sind sie oft nur schwer
bespielbar, wenn sie etwa aus Podesten bestehen. Es findet sich zwar immer
eine Lösung, meist eine helfende Hand. „Ich will aber keine Lösungen, ich
will einfach machen können!“
30 Apr 2023
## LINKS
[1] https://www.schauspiel-wuppertal.de/schauspiel/menschen/inklusives-studio/
## AUTOREN
Matthieu Praun
## TAGS
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