# taz.de -- Ausstellungsmacherin über Spurensuche: „Mutterschaft geht jeden … | |
> Denken Frauen heute anders übers Muttersein? Und die Männer?! Eine | |
> Gruppenausstellung in Bremerhaven interessiert sich für den gewandelten | |
> Diskurs. | |
Bild: Wenn ein starker Affekt das Denken Weiterbringen soll: Clara Alischs Vide… | |
taz: Frau Mohrhoff, warum ist [1][Mutterschaft] ein gutes oder vielleicht | |
jetzt gerade ein richtiges Thema für eine Ausstellung? | |
Silke Mohrhoff: Es ist ein Thema, das jeden Menschen angeht, unabhängig | |
davon, ob er oder sie selbst die Mutterrolle einnimmt. Wir haben alle eine | |
Mutter, biologisch betrachtet. Mir ist wichtig, darüber hinaus deutlich zu | |
machen, welche gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen gestellt werden, | |
immer noch und allgegenwärtig. Ich beobachte, dass viel mehr junge Frauen | |
kritisch ins Gespräch kommen über ihre Mutterschaft oder auch | |
Nicht-Mutterschaft; viel mehr, als es etwa in der Generation meiner Mutter | |
passiert ist. | |
Was war da anders? | |
Da erduldete man es, oder man ertrug es, oder man wurde Mutter, ob man | |
wollte oder nicht. Das Thema Mutter war und ist sehr moralisch besetzt. | |
Heute wird damit viel kritischer umgegangen. Ich finde es wichtig, diesen | |
Diskurs sichtbar zu machen und um Frauen und auch Männern mehr Sichtbarkeit | |
zu verschaffen. | |
Mir kam in letzter Zeit häufiger unter, dass Künstler*innen mit Kindern | |
das thematisiert haben, auch problematisiert: Wie gut oder wie schlecht | |
[2][sich das vereinbaren lässt]. Geht es bei Ihnen auch darum? | |
Nicht primär. Denn diese Auseinandersetzung betrifft ja nicht nur | |
Künstler*innen. Bei uns geht es neben gesellschaftlichen [3][Erwartungen, | |
die an Frauen gestellt werden], um Mutter-Kind-Verhältnisse, um das Sicht- | |
und Erlebbarmachen der Care-Arbeit, um die Auseinandersetzung mit der | |
Mutterschaft jenseits der Heteronormativität. | |
Am Anfang stand eine bundesweite Ausschreibung. | |
Ja, Ende vergangenen Jahres. Drei Monate später endete dann die | |
Bewerbungsfrist, 240 künstlerische Positionen wurden eingereicht, von | |
Männern und von Frauen ganz verschiedenen Alters. Das Thema geht offenbar | |
vielen Künstler*innen nah. | |
Und dann ist Jury zusammengetreten und hat daraus die elf nun gezeigten | |
Finalist*innen ausgesucht? | |
Genau, eine fünfköpfige Jury, bestehend aus Kunstschaffenden, | |
Kunstvermittelnden, der Superintendentin des Kirchenkreises Bremerhaven und | |
einem kunstinteressierten Diakon. Mir war wichtig, auch den theologischen | |
Part mit reinzubringen, andere Sichtweisen, die ich selbst, als bildende | |
Künstlerin, nicht so präsent habe. Wir wollen möglichst viele Menschen | |
ansprechen, die, die in den Gemeinden zu Hause sind, aber auch eher | |
kirchenferne Menschen. | |
Zu sehen sind nun insgesamt elf Arbeiten, verteilt auf drei Kirchen; zwei | |
Performances nur einmalig zu bestimmten Terminen, die anderen über die | |
gesamte Laufzeit. Haben Sie selbst ein Lieblingsstück? | |
Ja. Ich bin eine große Freundin von Clara Alischs [4][Arbeit „Lactoland“], | |
eine Videoinstallation, die begleitet wird von einer Art überdimensionalem | |
Stillkissen zum Gemütlich-Platz-Nehmen. Daneben gibt es einen Behälter mit | |
köstlichen, weißen Bonbons. Die ebenfalls zum Genießen angeboten werden. Es | |
geht ums Stillen, um die Arbeit, die stillende Mütter leisten, die aber | |
weder entlohnt noch von der Gesellschaft anerkannt wird … | |
… oder mitunter sogar quasi skandalisiert: Stillen ist bitteschön aus dem | |
Blickfeld zu verbannen und möglichst diskret abzuwickeln, irgendo im | |
Dunkel. | |
[5][Bei Clara Alisch] sieht man nun also eine Frau, die dasitzt und ihre | |
Milch abpumpt. Diese Milch wird dann in einer Bonbon-Manufaktur | |
weiterverarbeitet zu Bonbons. | |
Und? | |
Viele nehmen sich ein Bonbon aus dem kleinen Glas, bevor sie den Film | |
sehen, und wenn sie dann verstehen … Es ist natürlich nur fiktiv | |
[6][Muttermilch in den Bonbons]. Über diesen emotionalen Moment schafft die | |
Künstlerin aber eine Berührung, das Nachdenken und die Auseinandersetzung | |
mit dem Thema findet nochmal ganz anders statt, weil die | |
Konsument*innen sich erst mal mit dem hervorgerufenen Gefühl | |
auseinandersetzen müssen, mitunter mit dem eigenen Ekel über ein Produkt, | |
dass wir unter Umständen alle bereits selbst genossen haben, sofern wir | |
gestillt wurden … Und dann nachhaltig darüber nachdenkt: Wie gehen wir um, | |
mit dieser Care-Arbeit von Müttern? | |
3 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Mutterschaft/!t5295460 | |
[2] https://www.wireltern.ch/artikel/kinder-haben-trotz-kuenstlerkarriere-0320 | |
[3] /Frauenrolle/!t5203783 | |
[4] https://dioezesanmuseum-rottenburg.de/clara-alisch/ | |
[5] https://www.kuenstlerinnenverband.de/mitglieder/clara-alisch/ | |
[6] /Muttermilch-fuer-Fruehgeborene/!5865023 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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