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# taz.de -- Mitspracherecht der Parlamente: „Wir müssen Transparenz herstell…
> Die Stunde der Exekutive ist vorbei; das Abgeordnetenhaus muss wieder
> mehr mitreden bei der Coronakrise, fordert Torsten Schneider (SPD).
Bild: Soll jetzt wieder mehr entscheiden: das Berliner Abgeordnetenhaus
taz: Herr Schneider, die Parlamente müssten wach werden, die würden alle
schlafen, haben Sie als wichtigster Finanzpolitiker der SPD-Fraktion
vergangene Woche im Hauptausschuss gefordert. Was vermissen Sie?
Torsten Schneider: Die Parlamente haben ja nicht im sprichwörtlichen Sinne
geschlafen, sondern der ebenso sprichwörtlichen Stunde der Exekutive den
nötigen Raum eingeräumt …
... und war das nicht richtig?
Das war geboten. So haben es die Parlamente bundesweit gemacht. Das haben
wir auch schon 2015 getan, als in Berlin täglich Flüchtlinge ankamen und
auf die Schnelle viel Geld freizugeben war. Also kein Schlaf, sondern eine
Verschiebung zum schnellen, effektiven Handeln.
Manche meinen: zu schnell – „zu forsch“ war jüngst die Wortwahl der
Kanzlerin.
Eines muss klar sein: „Stunde der Exekutive“ bedeutet wirklich Stunde der
Exekutive. Und nicht irgendein Schaulaufen zwischen Bayern und
Nordrhein-Westfalen. Was Armin Laschet und Markus Söder...
... die Ministerpräsidenten der beiden Bundesländer...
... in den vergangenen Tagen beim Thema „wie groß darf eine zu öffnende
Ladenfläche denn nun sein?“ abgeliefert haben, hat die Leute mehr
verunsichert als Orientierung gegeben. Es ist aber fahrlässig, so zu tun,
als sei bald wieder alles möglich.
Ihr Aufruf zum Wachwerden des Parlaments trifft ja auch Sie selbst: Sie
sind dienstältester SPD-Mann im wichtigsten Ausschuss und parlamentarischer
Geschäftsführer Ihrer Fraktion.
Der springende Punkt ist, dass wir jetzt, da wir keine Ad-hoc-Situation
haben, in der es um Lebensrettung geht, wieder mehr Transparenz herstellen.
Was macht Sie da so sicher, dass wir aus einer solchen Situation raus sind?
Da halte ich es mit dem Regierenden Bürgermeister: Es ist nicht die Zeit
für Besserwisser, sondern für Expertenwissen. Ich bin kein Virologe und
kann die Frage nicht abschließend beantworten. Aber es spricht ja auch
nichts dagegen, die Experten im Parlament anzuhören, transparent und
öffentlich, statt hinter verschlossenen Türen in einer Senatssitzung.
Und dann hätte nicht der Senat, sondern das Parlament nach einer
Expertenanhörung entscheiden können, beispielsweise [1][über die
Maskenpflicht, die seit Montag im Nahverkehr gilt?]
Eine Regierung trifft ihre Entscheidungen vertraulich, die Schriftstücke
dazu kriegen Sie nicht mal nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Parlamente
haben eine andere Funktion: Sie leben von Transparenz, von Offenheit. Wir
sind nun in einer Phase, in der die Bürger einen neuen Überzeugungshorizont
brauchen und nachvollziehen wollen, warum das eine so und das andere so
entschieden wird. Da ist der Eilaspekt nicht mehr so im Vordergrund, und
deshalb ist nun mehr Zeit, im Parlament zu beraten.
Parlament kommt ja auch vom französischen „parler“, sprechen oder reden.
Aber unabhängig davon ist es ja auch eine Machtfrage: Seit gefühlt ewigen
Zeiten streiten sich Parlamente und Regierungen, wie weit exekutives
Handeln geht und wie viel Minister allein entscheiden dürfen. Deshalb das
Beispiel Maskenpflicht: Hätte das das Parlament an sich ziehen können?
Dieser Streit ist tatsächlich uralt. Aber schon 1965 gab es ein Urteil,
wonach Landesparlamente jede Entscheidung aufheben können. Und 1994 wurde
nach einem Verfassungsgerichtsentscheid Artikel 80, Absatz 4 neu ins
Grundgesetz eingefügt: Was Regierungen beschließen, könnten auch die
Parlamente durch Landesgesetze regeln.
Was heißt denn nun Ihr Ruf nach dem „Wachwerden“ des Parlaments nach vorne
gedacht, konkret für die nächste Plenarsitzung am Donnerstag, in der auch
der Nachtragshaushalt eingebracht wird?
Meine Erwartung ist nicht, dass wir jetzt Rechtsverordnungen des Senats
aufheben. Aber wir werden über diese Verordnungen zu reden haben. Da freue
ich mich schon über eine parlamentarische Anhörung von Professor Drosten
und anderen Experten.
Sie waren ja eigentlich einer von jenen, die zu Beginn der Coronakrise nach
einem stark verkleinerten Notparlament riefen. Das stieß [2][selbst in der
rot-rot-grünen Koalition auf Kritik] – die Rechte der einzelnen
Abgeordneten würden damit zu sehr eingeschränkt – weshalb daraus bislang
auch noch nichts geworden ist.
Wir hatten wegen früherer Aussagen zu einem höheren Infektionsgrad die
Befürchtung, dass das Abgeordnetenhaus bald nicht mehr beschlussfähig sein
könnte. Da schien eine Verkleinerung die bessere Lösung, als gar keine
Beschlüsse mehr treffen zu können.
Andere Fraktionen, allen voran die FDP, meinen, das könne man auch digital
machen.
Seit vergangener Woche ist durch ein Gutachten des wissenschaftlichen
Parlamentsdienstes bestätigt, dass das Abgeordnetenhaus nur beschließen
oder wählen kann, wenn mindestens mehr als die Hälfte der Mitglieder
tatsächlich im Plenarsaal anwesend ist.
Ist die Diskussion über Parlamentssitzungen via Video damit erledigt? Im
Europaparlament gab es das ja.
Das kann ich nicht abschließend einschätzen. Persönlich meine ich, dass es
zum Wesensgehalt unserer parlamentarischen, repräsentativen Demokratie
gehört, dass der Austausch im Parlament nachvollzogen werden kann.
Grundsätzlich ging es mir nie um die Einschränkung der Rechte einzelner
Abgeordneter, sondern genau um die Sicherung dieser Rechte.
Die [3][drei Milliarden Euro für den Nachtragshaushalt] entsprechen zehn
Prozent des gesamten Landeshaushalts, haben Sie im Ausschuss vorgerechnet.
Wobei Sie das ja schon von der Flüchtlingskrise 2015 kannten, als Sie –
zumindest nach einer halblegendären Schilderung – an einem Seeufer standen
und in einer Telefonschalte mit Ihren Haushälterkollegen ähnliche Summen
freigaben.
Das stimmt so nicht. Das mit dem See zwar schon – da stand ich wirklich
bloß mit einem DIN-A4-Zettel in der Hand. Aber wir lagen bei deutlich
geringeren Summen: 2015 haben wir über 900 Millionen Euro geredet, jetzt
sind es die besagten drei Milliarden Euro – und das wird ja noch viel mehr.
Wenn zehn Prozent eines Haushalts bewegt werden ohne die übliche
umfangreiche parlamentarische Diskussion darüber, dann wirft das klare
Fragen der Kontrolle auf.
Na ja. Rein zahlenmäßig ist die Kontrollfunktion doch auch bescheiden. Zwar
sagt jeder Senator in Richtung der Abgeordneten: „Sie sind der
Haushaltsgesetzgeber.“ Tatsächlich aber verändert das Parlament auch in
monatelangen Beratungen lediglich fünf Prozent des Haushaltsentwurfs eines
Senats, ganz egal, welche Koalition gerade regiert.
Da haben Sie schon recht, und das sind ja nicht mal fünf Prozent. Die
faktischen Verhältnisse allein würden das Wort vom Königsrecht des
Parlaments nicht rechtfertigen. Aber es ist ja nicht so, dass die Regierung
da frei schwebt – das wird ja vorher auch schon in der Fraktion besprochen,
bevor der Entwurf im Senat beschlossen wird und ins Abgeordnetenhaus kommt.
Die strenge Gewaltenteilung, die vielleicht derzeit im Geschichts-Abitur
Prüflinge Montesquieu zuzuordnen haben, gibt es ja in Berlin sowieso nicht:
Fünf der elf Senatsmitglieder sind zugleich Abgeordnete; in den
Senatssitzungen sitzen die Fraktionsvorsitzenden mit am Tisch, wenn auch
ohne Stimmrecht, quasi „embedded“. Das hält auch nicht jeder Mensch einer
Kontrolle für zuträglich.
Das ist Ihre persönliche Meinung, und es wird ja auch von Parlament zu
Parlament verschieden gehalten. Natürlich wirft das Fragen der Abgrenzung
und der Kontrolle auf. Aber SPD, Linke und Grüne sind ja die die Regierung
tragenden, nicht sie kritisierenden Fraktionen. Das heißt nicht, dass wir
nicht unsere Kontrollfunktion ausüben – wir machen das nur im Wesentlichen
etwas leiser.
28 Apr 2020
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## AUTOREN
Stefan Alberti
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