# taz.de -- Migration nach Europa: Dutzende ertrinken im Mittelmeer | |
> Bei der Havarie eines Bootes aus Libyen sterben mehr als 43 Menschen. Die | |
> Flüchtlingszahlen auf der südlichen Mittelmeerroute steigen. | |
Bild: Zarzis, Tunesien: Immer wieder stoßen Fischer hier auf Reste versunkener… | |
TUNIS taz | Bei einem Schiffsunglück vor der tunesischen Küste sind am | |
Samstag mindestens 43 Menschen ertrunken. Die tunesische Küstenwache suchte | |
das Seegebiet vor der Hafenstadt Zarzis auch am Sonntag nach Vermissten ab, | |
die 84 Geretteten wurden in ein Krankenhaus gebracht. Fischer aus dem nahe | |
der libyschen Grenze liegenden Zarzis hatten die im Wasser treibenden | |
Menschen entdeckt und an Bord genommen. | |
Die Migrantinnen befanden sich an Bord eines von libyschen Menschenhändlern | |
betriebenen Fischerbootes, das von der libyschen Küstenstadt Zuwara nach | |
Italien unterwegs war. Ein tunesischer Retter berichtet lokalen | |
Journalisten aus Zarzis, dass eine Mutter aus Eritrea bei dem plötzlichen | |
Versinken des Holzbootes vor ihren Augen ihr Kind verlor und jetzt unter | |
Schock auf der Intensivstation liege. | |
Im Krankenhaus von Zarzis liegen 46 Überlebende aus Sudan und 12 aus | |
Bangladesch, berichtet Mongi Slim, der örtliche Leiter der | |
Hilfsorganisation Roter Halbmond. Nach zweiwöchiger Coronaquarantäne in | |
einem Hotel auf Djerba sollen die am Samstag Geretteten in Zarzis | |
untergebracht werden, wo die Spannung zwischen Bevölkerung und MigrantInnen | |
steigt. | |
Nach Recherchen von in Westlibyen und Südtunesien lebenden Aktivisten aus | |
der Migrantengemeinde waren möglicherweise noch mehr Menschen an Bord | |
„Vielleicht waren diejenigen, nach denen wir zurzeit über soziale Medien | |
suchen, auch in einem anderen Boot unterwegs, sie sind jedoch nicht in | |
Italien angekommen“, sagt ein in Zuwara auf seine Abfahrt wartender | |
Eritreer der taz am Telefon. | |
## Hohe Dunkelziffer | |
Immer wieder stoßen die Fischer aus Zarzis im libysch-tunesischen | |
Grenzgebiet auf Reste versunkener Boote, auf mit bis zu hundert Menschen an | |
Bord überladene Gummiboote oder Leichen in ihren Netzen. „Unsere Arbeit ist | |
zunehmend traumatisierend“, sagte ein Fischer der taz bei einem Besuch im | |
Hafen von Zarzis im Juni. | |
Fast wöchentlich [1][werden Retter in dem Seegebiet] zwischen Tunesien, | |
Westlibyen und der zu Italien gehörenden Insel Lampedusa zu Hilfe gerufen. | |
Offizielle Zahlen geben nicht das Ausmaß der katastrophalen Lage auf der | |
südlichen Mittelmeerroute wieder. | |
Von den Schmugglern eingesetzte Schlauchboote sinken, ohne bemerkt zu | |
werden, sagt Mohamed Sifau, ein Freiwilliger der Hilfsorganisation Roter | |
Halbmond aus dem libyschen Zauwia. „Wir sind schon mit der Zahl der über | |
die libysche Grenze kommenden Migranten überfordert“, sagt ein Helfer aus | |
einem Aufnahmelager für Migranten der taz am Telefon. | |
Nach stetig sinkenden Zahlen in den letzten Jahren haben die italienischen | |
Behörden in diesem Jahr mit 19.800 einen drastischen Anstieg an ankommenden | |
[2][Asylbewerbern und Migrantinnen] auf Sizilien und Lampedusa registriert. | |
Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es bloß 6.700 gewesen. Allein am | |
Samstag kamen 400 Tunesier auf Lampedusa an, berichtet Nourredine Gantri | |
von „Zarzis TV“. | |
## Feindliche Stimmung in Tunesien | |
Im Süden Tunesiens regt sich aufgrund der massiv steigenden Zahl von aus | |
Libyen kommenden Migranten Unmut. Vor drei Wochen stürmten aufgebrachte | |
Bürger die Wohnungen von Migranten in der Industriestadt Sfax und zwangen | |
die meist aus Westafrika und Bangladesch kommenden Menschen mitsamt ihrem | |
Hab und Gut zu der örtlichen Polizeiwache. Daraufhin verlegten die Behörden | |
die Menschen nach Zarzis, das unter einer Auswanderungswelle der lokalen | |
tunesischen Jugend leidet. | |
Auch die bei einem weiteren Schiffsunglück Anfang Juni vor Zarzis | |
geretteten Migranten wurden auf die drei südlich von Zarzis liegenden Camps | |
verteilt, direkt neben dem neuen „Friedhof für Unbekannte“, auf dem die | |
Toten bestattet werden, die an den Stränden angeschwemmt oder in den Netzen | |
der Fischer gefunden werden. | |
Auch in Libyen ist die Lage für Migranten trotz des stabilen | |
Waffenstillstandes und der zunehmend besseren Organisation der | |
Sicherheitskräfte zunehmend unsicher. Im südlich von Zuwara liegenden | |
Migrantenlager nahe der Stadt Gharian kam es am 20. Juni zu einer | |
Explosion, die mehrere Todesopfer forderte. Nach Zeugenaussagen war das | |
Munitionsdepot einer Miliz explodiert. | |
4 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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