# taz.de -- Tunesien in der nächsten Coronawelle: Lockdown und Touristensträn… | |
> Die Krankenhäuser sind voll mit Covid-Patienten, die Strände mit | |
> Touristen. Die Infektionszahlen in Tunesien steigen wieder rasant an. | |
Bild: Trotz steigender Coronafälle füllen sich Tunesiens Strände mit Tourist… | |
TUNIS taz | Der dramatische Anstieg von Corona-Infektionen hat in Tunesien | |
innerhalb weniger Wochen zu einer dramatischen Lage in Krankenhäusern | |
geführt. Der „Verband junger Ärzte“ fordert wie viele Gesundheitsexperten | |
einen mindestens sechswöchigen landesweiten Lockdown in dem | |
12-Millionen-Einwohner-Land, das von der neuen Pandemiewelle zur Zeit | |
weltweit am stärksten betroffen ist. | |
Auch die politische und wirtschaftliche Lage ist angespannt. Daher | |
reagierten viele Menschen mit Erleichterung auf den Kompromiss zwischen | |
Regierungschef [1][Hichem Mechichi] und einer Expertenkommission, die am | |
Dienstag ihre düstere Lageanalyse vorstellte. Einen pauschalen Lockdown | |
könne man sich nicht leisten, so Mechichi und beließ es bei einer | |
Vorverlegung der Ausgangssperre auf 20 Uhr und Schließung der Gastronomie | |
am späten Nachmittag. | |
Für die nächsten zwei Wochen herrscht damit eine absurde Situation. In die | |
gerade wiedereröffneten Hotels strömen ausländische Touristen und | |
Exiltunesier, die ihre Sommerferien in der Heimat verbringen. Die Strände | |
der Hauptstadtvororte Gammarth und Kram und die Strandclubs sind brechend | |
voll. In der Provinzstädten wie Kairouan und Beja gibt es dagegen in den | |
Notaufnahmen und Intensivstationen der Krankenhäuser keinen Platz mehr. | |
„Nur sofortige scharfe Maßnahmen können diesen Tsunami stoppen“, sagt ein | |
Arzt aus der Kleinstadt Beja der taz. Er möchte anonym bleiben, denn seine | |
Analyse könnte ihn den Job kosten. „Wir stehen vor dem Zusammenbruch des | |
Gesundheitssystems.“ | |
## 7-Tage-Inzidenz von 566 in der Touristenmetropole | |
Doch Premier Mechichi hat wohl noch die [2][Straßenproteste] vom Februar im | |
Kopf, als er am Dienstag abend vor die Kameras tritt und die pauschale | |
Schließung des öffentlichen Lebens ablehnt. In mehr als einem Dutzend | |
Städte waren kurz nach dem 10. Jahrestag der Revolution junge Arbeitslose, | |
Tagelöhner und Schüler auf die Straße gegangen. Nachdem die Läden und | |
Märkte wegen Überfüllung der Krankenhäuser für vier Tage geschlossen | |
wurden, fehlte ihnen das Einkommen. Rund die Hälfte der jungen Tunesier | |
arbeiten ohne Arbeitsvertag und soziale Absicherung. Bei Straßenschlachten | |
nahm die Polizei über 2.000 Menschen fest. | |
Nun sollen die Provinzgouverneure Maßnahmen zur Eindämmung der vierten | |
Covidwelle ergreifen, abhängig von der Lage in den Krankenhäusern und der | |
Inzidenz. In der Touristenmetropole Sousse lag diese am Donnertag bei 566 | |
pro 100.000 Einwohner, so hoch wie nie zuvor. Der Bürgermeister fackelte | |
nicht lange und ordnete die Schließung aller nicht lebensnotwendigen | |
Geschäfte ab dem 4. Juli an. | |
Auch in Kairouan, Tabarka und viele anderen Städten wird ein | |
vierzehntägiger Lockdown die Schließung sämtlicher Restaurants und Läden | |
und Strandbesuche bedeuten. Seit Freitag sind auch Reisen von und nach | |
Tunis untersagt. | |
Über 2.000 Menschen sind alleine im Juni in Tunesien an Covid gestorben, | |
jeder dritte Test fällt positiv aus, melden die Gesundheitsbehörden. Die | |
Mehrheit allerdings spart sich die umgerechnet 42 Euro für den PCR-Test und | |
bleibt bei Coronasymptomen einfach zuhause, sagt Taxifahrer Taieb Barhoumi, | |
der selber im Oktober Coronasymptome hatte. Und weitergearbeitet hat. | |
„Meine Töchter wollen studieren, meine Frau und ich versorgen unsere | |
Eltern, der Ausfall meines spärlichen Lohnes hätte eine ganze Großfamilie | |
ans Hungertuch gebracht.“ | |
## Diesmal sind auch Kinder und Jugendliche stark betroffen | |
Anderthalb Autostunden von Tunis entfernt herrscht Krieg. So zumindest | |
beschreiben die Ärzte in der Kleinstadt Beja die Situation in dem | |
Krankenhaus der für ihre grüne Hügellandschaft bekannte Provinzstadt. | |
Die Ärztin Omaima El Hassani berichtet von dem Mangel an Schutzkleidung für | |
das Personal, den Mangel an Betten, und von Patienten, die über einen Tag | |
auf Sauerstoffversorgung warten müssen. In von Angehörigen gefilmten | |
Aufnahmen sind Patienten auf Betten und Matratzen auf dem Klinikparkplatz | |
zu sehen. Für die vielen Patienten mit Atemnot fehlen die Sauerstoffgeräte. | |
Und anders als während der letzten Covidwelle sind nun auch Jugendliche und | |
Kinder betroffen. Fünf Kinder starben am Wochenende im weiter südlich | |
gelegenen Kairouan. | |
Der Ernst der Lage lässt sich schon am Straßenbild ablesen. Plötzlich | |
tragen die meisten Passanten in Tunis Masken. Die Zeiten des Laissez-Faire | |
sind vorbei, sagt ein Cafébesitzer und räumt die Stühle von der Terrasse. | |
„Jetzt geht es um Geld oder Leben.“ | |
Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes war von Tunesien als | |
einem „1-Million-Einwohner-Land“ die Rede. Das Land hat rund 12 Millionen | |
Einwohner. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert. | |
3 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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