| # taz.de -- Protest in Tunesien: Mechichi baut um | |
| > In Tunesien reißt der Protest nicht ab, ein Demonstrant erliegt seinen | |
| > Verletzungen. Inmitten der Krise ernennt der Regierungschef elf neue | |
| > Minister. | |
| Bild: Später löst die Polizei den Protest auf: Tunis am Dienstag | |
| Tunis taz | Das tunesische Parlament hat in der Nacht auf Mittwoch einer | |
| Umbildung des Kabinetts von Premierminister Hichem Mechichi zugestimmt. | |
| Nach anhaltender Kritik wegen der hohen Arbeitslosigkeit und einer | |
| anhaltenden Wirtschaftskrise im Land hatte der seit vergangenem Sommer | |
| regierende 47-Jährige elf Minister entlassen und durch größtenteils | |
| unbekannte Kandidaten ersetzt, um so seine Regierung zu stabilisieren. | |
| Es gebe keinen Weg aus der Krise ohne politische Stabilität, sagte er am | |
| Dienstagabend im Parlament. Mechichi versprach, ein Reformpaket gegen die | |
| Wirtschaftskrise vorzustellen, die seit knapp zwei Wochen [1][landesweit zu | |
| Unruhen] führt. | |
| Ausgelöst worden waren die jüngsten Proteste durch einen mehrtägigen | |
| Lockdown samt nächtlicher Ausgangssperre, den die Regierung ausgerechnet ab | |
| dem 14. Januar, dem zehnten Jahrestag der tunesischen Revolution von 2011, | |
| verhängt hatte. Zuvor war die Zahl der Coronaneuinfektionen stark | |
| gestiegen. Daraufhin gingen vor allem junge Männer gegen ihre | |
| Lebensumstände auf die Straße. Die Sicherheitskräfte konnten die Lage nur | |
| mithilfe von Tränengas und Radpanzern der Nationalgarde wieder unter | |
| Kontrolle bringen. | |
| Auch am Dienstag forderten mehrere Hundert Demonstranten vor dem | |
| Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Tunis die Freilassung von Hunderten | |
| Personen, die während der Ausschreitungen festgenommen worden waren. Die | |
| Tunesische Liga für Menschenrechte (LTDH) [2][bezifferte] die Anzahl der | |
| Festgenommenen allein bis letzten Mittwoch auf 1.600, darunter seien 600 | |
| Kinder. Seitdem seien weitere Demonstranten festgenommen worden und | |
| Menschenrechtsorganisationen hätten Schwierigkeiten, den Überblick zu | |
| behalten. Vielen drohen bis zu zweijährige Haftstrafen. | |
| ## Demo aufgelöst | |
| Am Montag war ein 24-jähriger Demonstrant verstorben, nachdem er vergangene | |
| Woche in der Stadt Sbeitla von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen | |
| wurde. Der junge Mann ist dem Vernehmen nach das erste Todesopfer bei den | |
| Demonstrationen der vergangenen Wochen. Tunesische | |
| Menschenrechtsorganisationen haben die Regierung aufgefordert, die | |
| übermäßige Gewalt gegen Demonstranten zu stoppen. | |
| Noch während im Parlament über die neuen Minister diskutiert wurde, | |
| drängten mit Helmen und Schlagstöcken ausgerüstete Polizisten die friedlich | |
| demonstrierenden Menschenrechtsaktivisten aus dem Parlamentsbezirk Bardo. | |
| Ein seit 2011 fast durchgehend verhängter Notstand erlaubt es der Polizei, | |
| Versammlungen von mehr als zehn Personen aufzulösen. | |
| Aus Solidarität mit den inhaftierten Jugendlichen aus den Vororten der | |
| Hauptstadt hatten Bürgerinitiativen für Dienstag einen Solidaritätsmarsch | |
| von dem Armenviertel Hay Ettadhamen bis vor das Parlamentsgebäude in Tunis | |
| organisiert. | |
| Mehrere Abgeordnete kritisierten die hohe Polizeipräsenz rund um das | |
| Parlamentsgebäude: „Eine Vertrauensabstimmung unter Polizeibelagerung“, | |
| beschrieb ein Abgeordneter die Situation. „Man kann einer neuen Regierung | |
| nicht unter Polizeischutz das Vertrauen schenken“, sagte ein anderer. | |
| Abgeordnete des Oppositionsblocks erklärten zudem, dass vier der elf von | |
| Mechichi vorgeschlagenen Kandidaten für Kabinettsposten entweder mit | |
| Ermittlungen wegen Korruption rechnen oder unter entsprechendem Verdacht | |
| stehen. Dies dürfte das Vertrauen der Bürger in die Führung weiter | |
| untergraben. | |
| Auch Tunesiens 2019 direkt gewählter Präsident Kais Saied zeigte sich mit | |
| Mechichis neuer Regierungsmannschaft unzufrieden. Die – bisher unbewiesenen | |
| – Korruptionsfälle und das Fehlen von Frauen im Kabinett würden das | |
| Vertrauen in die Politik weiter unterminieren, sagte Saied. Dass Mechichi | |
| ihn nicht konsultiert habe, sei zudem verfassungswidrig. Da sich die | |
| politischen Parteien des Landes auch zehn Jahre nach der Revolution noch | |
| nicht auf die Einrichtung eines Verfassungsgerichts einigen konnten, kommt | |
| es immer wieder zu Streit zwischen der Regierung und dem Präsidenten. (mit | |
| Agenturen) | |
| 27 Jan 2021 | |
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| [2] https://nawaat.org/2021/01/25/families-say-police-abused-abducted-minors-in… | |
| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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