# taz.de -- Antisemitismus in Tunesien: Juden als Sündenböcke | |
> Präsident Saied soll auch Juden für die sozialen Unruhen in seinem Land | |
> verantwortlich gemacht haben. Jetzt ist er um Schadensbegrenzung bemüht. | |
Bild: Die Nationalgarde feuert während eines Protests in Tunis Tränengas in R… | |
TUNIS taz | [1][Tunesiens Präsident Kais Saied] hat mit einer umstrittenen | |
Äußerung Empörung bei der jüdischen Minderheit Tunesiens ausgelöst. Der | |
62jährige ehemalige Professor für Staatsrecht wollte bei einem Treffen mit | |
Demonstranten in einem Vorort von Tunis eigentlich zu einem Ende der | |
aktuellen landesweiten Proteste aufrufen. Seit dem Wochenende kommt es in | |
mehreren tunesischen Städten immer wieder zu schweren Straßenschlachten | |
zwischen Gruppen junger Männer und Sicherheitskräften. | |
In einem vom Präsidentenbüro veröffentlichen Video warnt Kais Saied bei dem | |
Gespräch mit Jugendlichen in dem Hauptstadt-Viertel Ariana vor einer | |
Vereinnahmung der Demonstranten durch politische Parteien. Doch auch Juden | |
seien [2][für die Unruhen] verantwortlich, so Said weiter. Dass dieser Satz | |
gefallen sei, behauptet zumindest Haim Bitan, der Oberrabbiner der | |
jüdischen Minderheit des 11,5 Millionen Einwohner Landes und forderte eine | |
Entschuldigung. | |
Der Verband der europäischen Rabbiner rief die tunesische Regierung auf die | |
„falschen Anschuldigungen sofort zurück zu nehmen und die Sicherheit der | |
jüdischen Gemeinde zu garantieren.“ | |
Auf Djerba und in Tunis leben noch 1500 von ehemals 105.000 tunesischen | |
Juden, die ab 1967 nach dem 6- Tageskrieg nach Israel zogen oder durch | |
massiven Druck zur Auswanderung gedrängt wurden. | |
## Mund-Nasenschutz ist schuld | |
Nachdem auch tunesische Medien über den Eklat zwischen Saied und der | |
jüdischen Gemeinde berichtet hatten, rief Said am Mittwoch Haim Bitan | |
persönlich an. Auch das Präsidialbüro versuchte die Wogen zu glätten und | |
widersprach in einer schriftlichen Stellungnahme dem Vorwurf, dass sich der | |
Präsident antisemitisch geäußert habe. Er sei durch das Tragen einer | |
Anti-Coronamaske falsch verstanden worden, so die Erklärung. | |
Die Faktencheck-Plattform Falso erklärte nach einer Analyse des | |
dreiminütigen Videos, Saied habe tatsächlich mit „Hal Jahun“ die | |
rhetorische Frage „ist das akzeptabel“ gestellt. Tunesische Journalisten | |
die sich den Mitschnitt anhörten, glauben den Satz „Al Jahud“- -Juden, die | |
stehlen“, herausgehört zu haben. Rücksichtsloses Verhalten werde in | |
Tunesien vor allem in der älteren Generation als „jüdisch“ bezeichnet, | |
kritisiert ein Journalist des Radio Senders Mosaique FM. | |
Bereits vor seiner Wahl hatte Kais Saied mehrfach mit antiisraelischen | |
Äußerungen für Aufsehen gesorgt. Verbindungen zu Israel seien als | |
Hochverrat zu werten. Nur Juden ohne Beziehungen zu Zionisten und ohne | |
israelische Pässe sollten künftig Synagogen besuchen können, so Saied im | |
Wahlkampf. | |
Jedes Jahr pilgern hunderte Israelis tunesischer Herkunft nach Djerba, um | |
die Al Ghriba Synagoge zu besuchen. Bei einem Besuch der jüdischen Gemeinde | |
auf der Ferieninsel bezeichnete der laut Umfragen immer noch beliebte Said | |
tunesische Juden als gleichwertige Mitbürger. | |
## Keine große Rolle | |
Für die tunesische Öffentlichkeit spielte der Eklat derweil keine große | |
Rolle. Auf sozialen Medien klagen viele über die Ratlosigkeit der Politiker | |
angesichts der sozialen Unruhen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums | |
behauptete am Mittwoch, dass sich Terroristen unter die „Randalier“ | |
gemischtt hätten. | |
Mehr als 600 junge Männer hat die Polizei bisher nach eigenen Angaben fest, | |
die Menschenrechtsorganisation FTDES spricht von weit über 1000 | |
Inhaftierten. Viele der sehr jungen Demonstranten gehen wegen der akuten | |
sozialen Krise auf die Straßen, die sich durch den Covid-bedingten totalen | |
Lockdown noch einmal verschärft hat. | |
22 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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