| # taz.de -- LGBT-Szene in Tunesien: Ein Urteil, ein Ziel | |
| > Eine bekannte tunesische Queer-Aktivistin muss ins Gefängnis. Aktivisten | |
| > kritisieren das Urteil als Teil einer staatlich gelenkten Kampagne, | |
| Bild: Regenbogenflagge nicht überall in Tunesien erwünscht: Demonstrationen z… | |
| Tunis taz | Ein Gericht in Tunis hat die bekannte Queer-Aktivistin Rania | |
| Amdouni zu sechs Monaten Haft verurteilt. Das Verfahren wegen Störung der | |
| öffentlichen Ordnung und Beleidigung von Beamten ist nach Meinung von | |
| Menschenrechtsaktivisten Teil einer staatlichen Kampagne, um die sozialen | |
| Unruhen zu beenden, die Tunesien auf dem Höhepunkt der Coronakrise erfasst | |
| hat. Das Urteil fiel am Donnerstag. | |
| Als die Anwälte der 26-Jährigen am Tag vor dem Urteilsspruch das Zimmer der | |
| Richterin verließen, waren sie noch sicher gewesen, dass ihre Mandantin | |
| freigelassen würde. Auch die Aktivisten, die aus Solidarität mit der offen | |
| lesbischen Amdouni vor das Gericht im Stadtteil Montfleury gekommenen | |
| waren, waren optimistisch. Wegen der aktuellen Coronaregeln mussten sie vor | |
| dem Gebäude warten. | |
| Die Anklage wegen Störung der öffentlichen Ordnung beruhe allein auf den | |
| Aussagen von Beamten in Zivil, die Amdouni in den letzten Wochen auf | |
| Schritt und Tritt verfolgt hätten, waren sich viele sicher. Unter den rund | |
| 60-LGBT-Aktivisten glaubten viele, die Richterin würde es nicht wagen, in | |
| Anwesenheit der zahlreichen tunesischen und internationale Journalisten ein | |
| willkürliches Urteil im Stil von vorrevolutionären Zeiten zu verhängen. | |
| Als Amdouni nach der Verhandlung aus dem Gerichtsgebäude in einen | |
| vergitterten Polizeitransporter gebracht wurde, brandete Jubel und Applaus | |
| auf. Doch anstatt in die Freiheit wurde die junge Tunesierin direkt zurück | |
| in ihre Gefängniszelle gefahren. | |
| ## Keine Bewährung | |
| „Wegen Beleidigung von Polizeibeamten und amoralischen Verhaltens wurde | |
| keine Bewährung zugelassen“, wundert sich Rechtsanwältin Saida Guarach, die | |
| zusammen mit 18 Kollegen Amdouni unentgeltlich vertritt. | |
| Einige Aktivisten der LGBT-Szene hatten dagegen bereits in den Tagen vor | |
| Amdounis Verhaftung am 27. Februar mit einem derart harten Vorgehen der | |
| Justiz gerechnet. Neben Amdouni waren auch andere prominente Vertreter der | |
| Szene auf offener Straße verfolgt, in sozialen Netzwerken beleidigt oder | |
| von Webseiten der Polizeigewerkschaft zum Ziel erklärt worden. | |
| Homosexualität ist in Tunesien strafbar, immer wieder werden harte Urteile | |
| gegen vermeintliche Schwule und Lesben verhängt. Amdouni geriet jedoch | |
| offenbar wegen ihrer Rolle in den Solidaritätsdemos mit den rund [1][1.600 | |
| in den vergangenen Wochen verhafteten Jugendlichen] ins Visier der Polizei. | |
| Seit dem 15. Januar kam es in Vororten von Tunis und mindestens einem | |
| Dutzend anderer Städte wegen der unter anderem coronabedingten | |
| Wirtschaftskrise immer wieder zu Unruhen. Vielen bei den | |
| Auseinandersetzungen mit der Polizei inhaftierten Jugendlichen drohen nun | |
| zweijährige Haftstrafen. Aus Solidarität mit der Jugend aus den | |
| Armenvierteln gingen ab Februar dann Bürgerrechtsbewegungen im Zentrum von | |
| Tunis auf die Straße. | |
| ## Repression als Ablenkung | |
| Um die Freilassung der Demonstranten und eine Reform von Justiz und Polizei | |
| zu fordern, hatte auch der Verein für Gerechtigkeit und Gleichheit, Damj, | |
| zu einem Marsch auf die Avenue du Bourguiba in Tunis aufgerufen. | |
| Damj-Aktivistin Rania Amdouni stand jeden Samstag in vorderster Linie vor | |
| den mit Schlagstöcken und Helmen ausgerüsteten Sondereinheiten der Polizei. | |
| Obwohl es nur vereinzelt zu Gewalt kam, war die Empörung unter den nach der | |
| Revolution gegründeten Polizeigewerkschaften gegen Amdouni und ihre | |
| Mitstreiter groß. Vor den mit Farbbeuteln beworfenen Plexiglasschilden der | |
| Polizisten posierten LGBT-Aktivisten mit bunten Perücken oder als Clowns. | |
| Mit gezielten Verhaftungen begann das Innenministerium Angst unter den | |
| Organisatoren zu verbreiten. Nach Einschaltung seines Anwaltes kam der | |
| Studentenführer Montessori bin Salem nach einer Woche Haft frei. Beamte | |
| hatten dem Vertreter der Studentenorganisation UGET lediglich die Teilnahme | |
| an einem Protest am 18. Januar nachweisen können. Bei einem Verhör | |
| präsentierten sie dem Jurastudenten Fotos, die er selbst auf seiner | |
| Facebookseite gepostet hatte. | |
| Die Studentin Ghafran Sfar wurde festgenommen, weil sie ihren Freund auf | |
| dem Weg zu dem Protest geküsst hatte. UGET-Leiterin Warda Atiq wurde sogar | |
| aus einem Taxi heraus verhaftet, in dem sie zusammen mit Freunden auf dem | |
| Weg zu Vorlesungen war. | |
| Mit einer gleichzeitigen Medienkampagne gegen die schrille LBGT-Szene | |
| wollen die Sicherheitskräfte von ihrem harten Vorgehen während der sozialen | |
| Unruhen ablenken, waren sich am Mittwoch viele vor dem Gericht in | |
| Montfleury sicher. | |
| 5 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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