# taz.de -- Mehr als nur Farbenspiele: „Es ist eine riskante Strategie“ | |
> Wird's rot-grün-rot? Vor der Bürgerschaftswahl tun sich die Parteien mit | |
> Bündnis-Signalen schwer. Wahlforscher Eric Linhart erklärt, woran das | |
> liegen kann | |
Bild: Vorsicht, nicht den Mund verbrennen: Rot-grün-rot ist eine scharfe Misch… | |
taz: Herr Linhart, wie wirken Koalitionssignale? | |
Eric [1][Linhart]: Sehr unterschiedlich. Es gibt ja auch völlig | |
gegensätzliche Signaltypen: Schon wenn Sie sich die basale Unterscheidung | |
zwischen positiven und negativen Signalen anschauen, werden Sie | |
feststellen, dass diese auch unterschiedlichen Einfluss haben können. | |
Und zwar? | |
Stark positive Signale zum Beispiel können ein Mobilisierungs-Element | |
haben, wenn Sie etwa an den Machtwechsel von 1998 denken. Da lag eine | |
Wechselstimmung in der Luft, und [2][SPD und Grüne haben beide deutlich | |
gemacht, dass sie nach der Wahl eine Alternative bilden wollen zur | |
bestehenden Koalition.] Das stark positive Signal hat damals, glaube ich, | |
auch einen Teil dazu beigetragen, dass der Wechsel stattfand. | |
Sie glauben das nur …? | |
Das Problem ist: Wir reden da über kontrafaktische Situationen, das macht | |
es schwierig. Aber hätte die SPD damals vermittelt: ‚Sicher, wir würden | |
gerne mal wieder den Kanzler stellen, aber mit den Grünen…? Ach ich weiß | |
nicht so recht‘, oder hätten umgekehrt die Grünen gesagt: ‚In der | |
Opposition können wir uns auch weiter gut arrangieren‘, dann hätten sie | |
diese Wechselstimmung womöglich nicht hinbekommen. Negative Signale | |
hingegen können Parteien nutzen, um sich von den Rändern des politischen | |
Spektrums abzugrenzen. Das richtet sich an Wähler, die von so einer | |
Koalition abgeschreckt würden. Die will man nicht verlieren. | |
Eine der Studien, an denen Sie mitgewirkt haben, legt nahe, dass die | |
Wahlbeteiligung infolge von Koalitionsaussagen steigt … | |
Das war eine [3][experimentelle Studie.] Wir hatten die Probanden gefragt: | |
Nehmen Sie an, Parteien würden dieses Signal setzen – wie würde sich Ihr | |
Wahlverhalten ändern? Und tatsächlich haben wir dort eher eine | |
Mobilisierung festgestellt. Es gab ein paar, die in der Folge aufs Wählen | |
verzichtet hätten, aber auch eine Gruppe, die zuvor angaben, nicht wählen | |
zu wollen – und sich dann durch dieses Signal mobilisieren ließen. | |
Das waren mehr. | |
Ja, bei uns waren die Netto-Effekte in der Tat positiv. Insgesamt hatten | |
wir eher eine Mobilisierung beobachtet. | |
Aber das lässt sich nicht verallgemeinern? | |
Das Problem bei solchen Studien ist: Die Probanden reagieren in der Regel | |
spontan. Und da kann es passieren, dass jemand beispielsweise bei | |
lagerübergreifenden Konstellationen sagt: ‚Klar, wenn die zwei …, ja, das | |
würde ich auch unterstützen.‘ Wer mehr Zeit zum Nachdenken hat, reagiert | |
vielleicht anders. Außerdem reden wir auch hier wieder über kontrafaktische | |
Situationen. Auch hängt es vom konkreten Signal ab. Zu sagen: Mehr | |
Koalitionssignale steigern die Wahlbeteiligung – das halte ich in dieser | |
Absolutheit für falsch. Nur mal als Gedankenexperiment: Wenn die CDU und | |
die FDP sagen würden, wir wollen mit der AfD ein Bündnis eingehen, würden | |
sie damit viele ihrer Wähler abschrecken, die die AfD nicht an der | |
Regierung sehen möchten. Eine Mitte-Links-Partei möchten diese Bürger aber | |
vielleicht auch nicht wählen. Da würde ich eine Demobilisierung erwarten. | |
Immerhin wissen die WählerInnen dadurch aber, woran sie sind, oder? | |
Ja, für WählerInnen haben Koalitionsaussagen insgesamt einen Vorzug. Und | |
das ist nicht ganz unwichtig. Denn, unser Mehrparteiensystem hat Vorteile | |
gegenüber Zweiparteiensystemen, aber auch einen gewichtigen Nachteil: Es | |
gibt keine klaren Regierungs-Alternativen. [4][Ein Wähler weiß zwar, dass | |
er eine bestimmte Partei stärkt, wenn er für sie stimmt, aber er weiß | |
häufig nicht, wie es sich auf die Regierungsbildung auswirkt]. Wenn er, um | |
ein Beispiel zu nennen, Grün wählt, könnte es sein, dass er zu einer | |
rot-rot-grünen oder schwarz-grünen Regierung beisteuert, oder aber mit | |
seinem Votum die Opposition stärkt. Wenn Sie jetzt an einen linken | |
Grünenwähler denken: Der stimmt wahrscheinlich gerne für Rot-Rot-Grün, aber | |
ungern für Schwarz-Grün. In einer Welt ohne Koalitionssignale weiß dieser | |
Wähler überhaupt nicht, was mit seiner Stimme passiert. | |
Das war früher anders. | |
Ja, da gab es klare Blöcke – und das war im Prinzip wie in einem | |
Zweiparteiensystem. Der Verlust dieser klaren Blöcke dürfte bei dem ein | |
oder anderen Wähler zu einer Verunsicherung geführt haben. | |
Stärkt diese Unsicherheit dann diejenigen, mit denen keiner zusammengehen | |
will? | |
Mindestens haben die den Vorteil in so einer Gemengelage, dass sie relativ | |
klar sagen: Sie gehen auf jeden Fall in die Opposition. Das ist dann zwar | |
im Sinne der Übernahme von Regierungsverantwortung destruktiv. Aber es ist | |
eine klare Aussage. | |
Parteien machen dagegen [5][ungern Koalitionsaussagen], weil sie gar nicht | |
wissen, wie sie wirken? | |
Gar nicht stimmt nicht. Aber es ist eine riskante Strategie. Wenn Parteien | |
zum Beispiel starke und absolute Koalitionssignale formulieren, dann | |
schränken sie sich ziemlich ein. Wenn diese Option dann angesichts des | |
Wahlergebnisses nicht mehr zu realisieren ist – wie zum Beispiel bei der | |
[6][Hessen-Wahl 2008…] | |
… die Ypsilanti-Wahl! | |
… dann kann das am Ende nur aufgelöst werden, indem eine der Parteien | |
wortbrüchig wird, und das ist kontraproduktiv: Wenn Koalitionssignale nicht | |
vertrauenswürdig sind, helfen sie keinem. | |
14 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tu-chemnitz.de/phil/politik/pspi/professur/linhart.php | |
[2] https://www.degruyter.com/abstract/j/fjsb.2003.16.issue-1/fjsb-2003-0107/fj… | |
[3] http://methods.sowi.uni-mannheim.de/publications/Bytzek%20et%20al.%20-%2020… | |
[4] https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundeslaender/bremen/laend… | |
[5] /Wahlkampf-in-Bremen/!5591154 | |
[6] /Debatte-SPD-Debakel/!5173258 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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