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# taz.de -- Gedankenspiele zu Grün-Rot-Rot: Kleinster gemeinsamer Nenner
> Ein Bündnis von Grünen, SPD und Linken ist bei den Deutschen beliebter
> als die GroKo. Aber wollen die Parteien auch miteinander regieren?
Bild: Katja Kipping will die Hoffnung auf eine Koalition mit Grünen und SPD ni…
Carsten Schneider ist ein Handwerker der Macht. Mittig und pragmatisch.
Dezenter Anzug. Seit 2017 ist er parlamentarischer Geschäftsführer der
SPD-Fraktion. Kein Job für das Schaufenster, nach innen wichtiger als von
außen wahrgenommen. Der PGF, wie er im Parlamentssprech heißt, ist unter
anderem verantwortlich für strategische Absprachen.
Das Verhältnis zur Linksfraktion sei viel entspannter als früher, bemerkt
Schneider. „Auch Leute, die ich für schwierig gehalten habe, spucken nicht
mehr auf die SPD. Nicht in den Reden, nicht in den Zwischenrufen.“ Der
große Zoff sei seit etwa sechs Monaten vorbei. „Sahra Wagenknecht und
andere beschimpfen uns nicht mehr dauernd als Arbeiterverräter.“
Daher gebe es auch von der SPD kein aggressives Kontra mehr, nur noch
Einzelne „reden noch mit Schaum vor dem Mund“, meint Schneider, der selbst
zum rechten Flügel, dem Seeheimer Kreis, gehört. Mit der AfD haben SPD und
Linke zudem einen gemeinsamen Gegner.
Entspannungspolitik zwischen SPD und Linkspartei. Am Mittwoch treffen sich
nach fast einem Jahr Pause ein Dutzend Abgeordnete von SPD, Linken und
Grünen. Bei einem Italiener in der Nähe des Reichstags schmieden sie Pläne.
Die SPD-Denkfabrik, ein Kreis von jüngeren SPD-Linken, organisiert das
Treffen. Auf den ersten Blick ein normaler Austausch zwischen Abgeordneten
der zweiten Reihe. Und doch wird diese Zusammenkunft aufmerksam beobachtet.
Wird hier der Regierungswechsel vorbereitet?
## Auftakt für Wahl 2021?
Laut einer Emnid-Umfrage ist Grün-Rot-Rot derzeit beliebter als die Groko
oder Schwarz-Grün. Ein erster Beleg dafür wird die Landtagswahl in Bremen
in zwei Wochen. Dort kann es eine rot-rot-grüne Regierung geben – die erste
in einem westdeutschen Bundesland. Ist das Arbeitstreffen in Berlin ein
strategischer Auftakt für die Bundestagswahl 2021?
Stefan Liebich, in der Linksfraktion für Außenpolitik verantwortlich,
zimmerte die erste Koalition zwischen PDS und SPD in Berlin mit zusammen.
Damals bei Geheimgesprächen beim Thailänder. Fast zwanzig Jahre später vor
dem Treffen beim Italiener glaubt er erneut, dass die Zeit reif sei für
größere Veränderungen. Die SPD rücke wieder etwas nach links, die CDU nach
rechts, weg von der SPD. Bei wichtigen Themen wie Rente, aber auch
Rüstungsexporten liege man mit der SPD auf ziemlich gleicher Wellenlänge.
Und auch die Linkspartei tickt anders: Die Gruppe der Totalverweigerer in
Sachen Regieren sei bei den Genossen „sehr klein geworden“. Nun müsse man
austüfteln, wie ein Bündnis gehe, „in dem sowohl die Seeheimer als auch der
linke Flügel der Linken ihren Platz haben“.
Parteichefin Katja Kipping hat er auf seiner Seite. Sie bekennt sich zum
Regieren. „Ich will andere Mehrheiten mit aller Kraft vorbereiten“, sagt
sie. Bei passenden Gelegenheiten sendet sie „Wärmebotschaften“ an SPD und
Grüne. Kipping pflegt nicht nur – ein Defekt der bisherigen rot-rot-grünen
Bemühungen – Kontakte zu linken Grünen und SPDlern.
## SPD verwaltet eigenen Niedergang
Auch zu SPD-Ministern wie Katarina Barley und Hubertus Heil habe man kurze
Drähte. Mit Parteichefin Andrea Nahles duzt sie sich. Mitunter treffen
sich „Andrea“ und „Katja“ zu vertraulichen Gesprächen am Rande einer
Bundestagssitzung. Ein Zeichen: Es bewegt sich etwas bei SPD und
Linkspartei. „Die Dynamik ist genial“, findet Kipping.
Die SPD befreit sich, nach 15 Jahren, [1][mühsam von den Fesseln der
Agendapolitik]. Das verringert die Angriffsflächen. Und sie ist strategisch
gezwungen, sich nach Alternativen umzusehen. Als ewiger Juniorpartner der
Union verwaltet sie – gepolstert im Ministersessel – ihren eigenen
Niedergang. Das hat sich, jedenfalls zum Teil, auch im rechten Flügel der
Partei herumgesprochen.
Achim Post, ein nüchterner Ostwestfale, ist Chef der einflussreichen
Landesgruppe NRW in der SPD-Bundestagsfraktion. Auch er hat Veränderungen
im linken Beziehungsdrama entdeckt: „Es ist mittlerweile vorstellbar, dass
auch ein eher konservativer SPDler mit einem eher linken Linken Politik
macht. Das war vor zehn Jahren anders.“ Post hat 2017 für das Bündnis mit
der Union geworben. Sein Credo: „Ich will, dass die SPD regiert.“
Allerdings sieht auch Post, dass die SPD Alternativen braucht.
Auch Parteirechte in Berlin hoffen auf ein Linksbündnis in Bremen – aus
schierer Machtlogik. Die SPD regiert dort seit 1946. Nun droht der
Machtverlust. Zusammen mit einem miesen Ergebnis bei der Europawahl wäre
die Depression zurück. Der Ausweg: Rot-Rot-Grün.
## Grüne verfolgen Tauwetter verhalten
Schneider ist überzeugt: „Rot-Rot-Grün kann im Bund eine realistische
Option sein.“ Vor einem halben Jahr veröffentlichte er mit seinem
Linksfraktion-Pendant Jan Korte ein gemeinsames Papier: „Nur Reiche können
sich einen armen Staat leisten“. Dass PGFs von Regierungs- und einer
Oppositionspartei gemeinsam Thesen veröffentlichen, ist ungewöhnlich.
Im Fall von SPD und Linkspartei erst recht. „Das wäre vor ein paar Jahren
unmöglich gewesen“, so Schneider. Der Text liest sich wie eine erste Skizze
für eine rot-rotes Regierungsprogramm – nur der grüne Ökopart fehlt noch.
Doch bei den Grünen verfolgt man das Tauwetter verhalten. Die Parteichefs
Robert Habeck und Annalena Baerbock wollen sich auf taz-Anfrage nicht zu
einem Linksbündnis äußern. Die offizielle Linie: Die Ökopartei hält sich
alle Koalitionsoptionen offen – und regiert in den Bundesländern in
unterschiedlichsten Konstellationen.
Unter Habeck und Baerbock positionieren sich die Grünen linker als früher.
Sie fordern etwa den Abschied von Hartz IV. Aber die neue Spitze funkt
geschickt auch konservative Signale, indem sie einen starken Staat oder
einen neuen Patriotismus fordert. Diese Indifferenz, bestens performt von
dem modern wirkenden Spitzenduo, kommt gut an.
## Realos sind skeptischer
Die Grünen feierten bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen Erfolge in
konservativen WählerInnenmilieus. Zu [2][Kühnerts Sozialismusthesen]
hielten die Grünen demonstrativ Distanz.
Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ist einer der wichtigsten Strategen
des linken Grünen-Flügels. Grün-Rot-Rot im Bund? „Ich würde mir als
Demokrat wünschen, dass möglichst viele Optionen im nächsten Wahlkampf
existieren.“ Würde mir als Demokrat wünschen? Mit spitzeren Fingern kann
man das Thema kaum anfassen. Der Ton macht die Musik.
Kellner betont die bekannten Differenzen, etwa in der Außenpolitik. In der
Tat harkt es dort zwischen SPD und Grünen einerseits, Linkspartei
andererseits, vor allem bei Bundeswehreinsätzen. Der Seeheimer Carsten
Schneider glaubt indes: „Mit gutem Willen kann man die Unterschiede
überwinden“.
Im grünen Realo-Flügel ist die Skepsis größer. Dort glaubt man, dass es
eine satte Mehrheit bräuchte, um die harten Regierungsgegner in der
Linke-Fraktion zu neutralisieren. Die sei nicht in Sicht.
## Dauerbeleidigte SPDler und nervöse Linke
Es geht um Leute wie Nicole Gohlke. Sie gehört zum linken Flügel der
Linksfraktion. „Ich bin nicht generell dagegen zu regieren“, sagt sie.
Aber: „Eine linke Regierung müsste drastisch umverteilen.“ Und da sehe sie
bei SPD und Grünen noch sehr viel Annäherungsbedarf. An die Linke, versteht
sich. Einem rot-rot-grünen Projekt wie der Berliner Landesregierung kann
die Linke-Flügel-Frau etwas abgewinnen.
Aber manche Grüne wollen sowieso lieber mit gut gelaunten Konservativen
regieren als mit dauerbeleidigten SPDlern und nervösen Linken unter
Rechtfertigungsdruck.
Dabei sind sich die meisten Grünen einig, dass die inhaltliche Schnittmenge
bei Grün-Rot-Rot viel größer wäre als bei Schwarz-Grün oder gar Jamaika.
Eine Grundsicherung, die Bürgerversicherung, eine Vermögenssteuer lässt
sich mit der Union nicht durchsetzen. Die Grünen schreiben das Linksbündnis
offiziell keineswegs ab – schon um linksgrüne WählerInnen nicht
abzuschrecken. Doch das grüne Ja ist klein, das Aber sehr groß. Der
Bremsklotz für ein Mitte-links-Bündnis wären derzeit weniger die lange
neurotisch ineinander verkeilte Linkspartei und SPD. Sondern die Grünen.
Auch das ist neu.
Katja Kipping will die Hoffnung indes nicht aufgeben. „Die Grünen werden
keinen Wahlkampf im Verlobungsmodus machen“, sagt sie. Sie zeigt sehr viel
Verständnis für die Grünen. Noch so eine Wärmebotschaft.
10 May 2019
## LINKS
[1] /Kolumne-Sternenflimmern/!5591801
[2] /Debatte-Kevin-Kuehnert-zu-Enteignung/!5590059
## AUTOREN
Anna Lehmann
Stefan Reinecke
Ulrich Schulte
## TAGS
Grüne
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