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# taz.de -- Katarina Barley über die Europawahl: „Ein gigantisches Projekt“
> Sie verspricht eine Steuer für Digitalkonzerne, hält die Grünen für
> elitär und freut sich auf Brüssel: die SPD-Spitzenkandidatin im Gespräch.
Bild: Wahlplakate der SPD: Die „heute-show“ spottete, die Partei würde Bar…
taz am wochenende: Frau Barley, Sie sagen über sich selbst: „Ich nehme mir
Sachen zu Herzen, bin verletzbar und sehr ehrlich.“ Sind Sie zu nett für
Politik?
Katarina Barley: „Zu nett“ war mal eine Schlagzeile, als ich
SPD-Generalsekretärin wurde. Aber ich glaube – nein. Als ich noch nicht
Politikprofi war, fand ich es grässlich, im Wahlkampf von der Bühne
angeschrien zu werden. Ich mache das anders. Ich gebe einen kurzen Input,
dann reden wir miteinander. Vor allem Frauen finden das gut.
Was hat Sie in der Politik zuletzt verletzt?
Wenn ich in meinem Amt hart kritisiert werde, trifft mich das nicht. Da
geht es um die Rolle, nicht um mich als Person. Wie ich aber wegen des
Artikel 13 persönlich angegriffen wurde …
… [1][der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform], die manche für das Ende des
freien Internets halten.
Das hat mich nicht kalt gelassen. Aber verletzt, das wäre zu viel. Es ist
eben Wahlkampf.
Der SPD-Slogan für die Europawahl lautet: „Europa ist die Antwort.“ Ist das
nicht allzu schlicht?
Warum?
Weil die EU an wichtigen Themen scheitert. Sie ist in der
Flüchtlingspolitik gelähmt und bei der Finanzmarktregulierung gelinde
gesagt langsam.
Wir leben in Europa seit 70 Jahren in Frieden und Wohlstand und können uns
als Gemeinschaft relativ kleiner Staaten gegen Player wie die USA und China
behaupten. Bei mir zu Hause, in der Region Trier, pendeln täglich 200.000
Menschen zur Arbeit über Grenzen. Das ist nicht selbstverständlich. All das
steckt in diesem Slogan.
Mit „Seid stolz auf das Erreichte“ werden Sie keine Wahl gewinnen.
Wir müssen uns das schon auch in Erinnerung rufen. Wichtig ist, darüber
hinaus in die Zukunft zu denken. Die EU ist im Moment vor allem ein
Wirtschaftsraum. Wir möchten ein soziales Europa schaffen, in dem alle von
ihrem Job leben können. In der Männer und Frauen den gleichen Lohn für
gleiche Arbeit bekommen. Ein soziales Europa ist ein gigantisches
Zukunftsprojekt.
Viele Leute fragen sich trotzdem: Wie profitiere ich von Europa? Was ist
mein Benefit?
Von einem sozialen Europa profitieren alle Menschen. Aber die Leute
erwarten nicht nur den persönlichen Benefit. Beispielsweise wollen sie
hören, wie eine realistische europäische Asyl- und Migrationspolitik
aussehen könnte: Die SPD wirbt für einen europäischen Flüchtlingsfonds, der
auf eine Idee von Gesine Schwan zurückgeht. Kommunen, die Flüchtlingen
helfen, bekämen direkt Geld von der EU – an den nationalen Regierungen
vorbei, die das im Moment zum Teil blockieren. Die Bereitschaft zur
Unterstützung ist durchaus da, in polnischen Städten genauso wie in manchen
Gemeinden in Bayern.
Ein zentrales Argument gegen die Groko-Skeptiker war, dass die SPD den
Stillstand in Europa beenden muss und für eine sozialdemokratische
Handschrift in der EU sorgen wird. Wo ist die?
Dass auf Ebene der Regierungschefs keine Antwort auf Macron kommt, finde
ich fatal. Aber Olaf Scholz hat zusammen mit seinem französischen Kollegen
Bruno Le Maire einen Vorschlag zur Digitalsteuer eingebracht. Der ist
leider an vier EU-Ländern gescheitert – in Steuerfragen gilt das
Einstimmigkeitsprinzip. Nun ist das Ziel, auf OECD-Ebene eine
Mindestbesteuerung von Unternehmen zu erreichen.
Wir haben nicht den Eindruck, dass Scholz die [2][Digitalsteuer] forciert.
Er fürchtet, dass die deutsche Exportindustrie leidet, wenn Gewinne dort
besteuert werden, wo sie gemacht werden. Wie passt das zu dem Versprechen
der SPD, dafür zu sorgen, dass Amazon genauso Steuern zahlen muss wie der
Bäcker um die Ecke?
Olaf Scholz kämpft auf OECD-Ebene vehement für eine globale
Mindestbesteuerung. Bereits nächste Woche sind einige EU-Finanzminister zu
Besuch in Berlin, die an seiner Seite stehen. Die Alternative sind
Bestrebungen mancherorts, die Steuersystematik global zu ändern. Die
Steuern nicht mehr am Produktionsort zu erheben, sondern dort, wo die
Produkte verkauft werden. Das würde für Deutschland riesige Einbußen
bedeuten. Eine weltweite Mindestbesteuerung ist der bessere Weg – auch weil
er alle Unternehmen erfasst, nicht nur die Digitalwirtschaft.
Das wird an den USA scheitern.
Eben nicht. Die USA habe seit Kurzem eine Mindestbesteuerung – und daher
ein Interesse, diese auch global einzuführen. Die OECD will bis nächsten
Sommer einen Vorschlag machen. Falls das missglückt, wird die EU 2021 eine
Digitalsteuer beschließen. Deutschland hat in der zweiten Hälfte 2020 die
Ratspräsidentschaft.
Also gibt es 2021 auf jeden Fall in der EU eine von der Bundesrepublik
forcierte Digitalsteuer. Können Sie das versprechen?
Ja, kann ich. Wir werden eine Digitalsteuer durchsetzen.
Ein warnendes Beispiel ist die Finanztransaktionssteuer. Die wird nicht 35
Milliarden bringen, wie einst anvisiert, sondern, wie von Scholz geplant,
in der EU nur ein Zehntel davon. Es werden nur Aktien besteuert, keine
Derivate. Bleibt da von dem SPD-Argument, Europa müsse die Finanzmärkte
zähmen, noch etwas übrig?
Wir brauchen einen Fuß in der Tür. Wie beim Mindestlohn. Da gab es auch
Kritik: Die einen sagten, das wird massenhaft Arbeitsplätze vernichten, die
anderen, dass 8,50 Euro zu wenig sind. Gut, dass wir ihn durchgesetzt
haben. Auch die Finanztransaktionssteuer wird funktionieren. Immerhin hat
Scholz die Einführung geschafft, was Wolfgang Schäuble in vielen Jahren
nicht gelungen ist. Die SPD fordert weiter, die Steuer auf Derivate
auszuweiten.
Die SPD war stolz auf das Europakapitel im Koalitionsvertrag. Aber
umgesetzt ist davon nichts. Es gibt keine EU-Mindestlohnregelungen und das
Eurozonenbudget fällt auch schmal aus.
Deshalb machen wir das jetzt zum Thema. Wir sind für einen EU-Mindestlohn,
angepasst an das Einkommensniveau der jeweiligen Länder, die Konservativen
sind dagegen. Das ist eine klare Alternative.
Warum dringt die SPD so wenig durch?
Abwarten. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat deutlich
gemacht, dass sie europäische Mindestlöhne ablehnt, die sogar Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron will. Im Moment entscheidet sich, wer es ernst
meint mit dem sozialen Europa.
Die Linkspartei setzt auch auf Sozialpolitik und die Grünen werben für die
„föderale europäische Republik“. Droht die SPD zerrieben zu werden?
Die Linkspartei ist in der Europapolitik tief gespalten und hat viele
EU-Gegner in ihren Reihen.
Die Grünen liegen in den Umfragen vor der SPD.
Föderale europäische Republik? Ganz ehrlich: Das ist doch eine elitäre
Diskussion. Dafür kann sich ein Mensch nichts kaufen, der fürchtet, dass
sein Betrieb ins EU-Ausland verlagert wird, weil es dort weniger
Mitbestimmung gibt.
Wie viel Prozent wollen Sie bei der Europawahl schaffen?
Damit beschäftige ich mich nicht. Die Frage hat mir noch nie ein Bürger
gestellt, das fragen nur Journalisten.
Überlegen Sie sich nicht, was ein Erfolg wäre? Das ist doch fundamental.
Wissen Sie, meine Maxime lautete immer: Ich tue da, wo ich bin, alles, was
ich kann. Wie viel Prozent da am Ende rauskommen, hängt von so vielen
Faktoren ab. Es würde generell guttun, sich weniger auf Zahlen zu fixieren.
Die „heute-show“ hat einen bösen Gag gemacht: Die SPD habe die geniale Idee
gehabt, die Tochter von Katarina Barley zu plakatieren. Verletzt Sie so
was?
Nein. Die Plakate zeigen mich so, wie ich bin. Aber auf dem Bild sehe ich
vielleicht jünger aus als gerade jetzt.
… eine sehr junge Katarina Barley blickt zur Seite, darauf der Slogan
„Zusammenhalt“.
Ich bin gestern um halb fünf aufgestanden, heute um viertel nach fünf. Ich
habe innerhalb von 36 Stunden fünf oder sechs Städte gesehen, da sieht man
nicht mehr ganz frisch aus. Sie sehen ja auch nicht jeden Tag gleich aus.
Wurde das Foto bearbeitet?
Für diese Großflächen geht kein Bild völlig unbearbeitet raus, glaube ich.
Aber ich habe großen Wert darauf gelegt, dass an den Bildern nicht viel
rumgemacht wird.
Sie haben eine rasante Karriere in der SPD gemacht. 2013 Einzug in den
Bundestag, 2015 Generalsekretärin, 2017 Familienministerin, 2018
Justizministerin, 2019 Brüssel. Wirkt etwas unstet, oder?
Nach der Wahl 2017 habe ich noch für ein halbes Jahr das Arbeitsministerium
von Andrea Nahles übernommen, ein sehr großes Haus, und zwei wichtige
Ministerien gleichzeitig geführt. Jeder Schritt hatte seine Gründe. Mit
Unstetigkeit hatte das nichts zu tun, eher mit Belastbarkeit.
Aber Sie sind die Frau für alle Fälle in der SPD?
Das habe ich mal unvorsichtigerweise bei einem Politischen Aschermittwoch
so formuliert.
Bleiben Sie dauerhaft in Brüssel? Es könnte ja sein, dass die SPD 2021
Hilfe braucht.
Ich plane ein langfristiges Engagement in Europa. Mein gesamtes Privatleben
verlagert sich gerade nach Brüssel, auch mein jüngerer Sohn kommt mit. Ich
freue mich darauf.
4 May 2019
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
Ulrich Schulte
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