# taz.de -- Katarina Barley beim SPD-Kulturforum: Talk mit Häppchen | |
> Die Spitzenkandidatin verbreitet bei der Veranstaltung Optimismus. Doch | |
> die SPD muss das soziale Europa wahr machen, um etwas zu ändern. | |
Bild: Optimismus alleine hilft nicht: man muss das beschworene soziale Europa a… | |
Berlin taz | „Meine Herren, der Kampf in Paris ist nur ein kleines | |
Vorpostengefecht, die Hauptsache in Europa steht uns noch bevor und ehe | |
wenige Jahrzehnte vergehen, wird der Schlachtruf des Pariser Proletariats | |
‚Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggange!‘ | |
der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden.“ | |
Als August Bebel am 25. Mai 1871 vor dem Deutschen Reichstag in Berlin | |
seine Solidarität mit der Pariser Commune bekundete, fackelte Otto von | |
Bismarck nicht lange. Sofort ließ der eiserne Reichskanzler die SPD unter | |
polizeiliche Beobachtung stellen. | |
Natürlich ist es albern und ahistorisch, die revolutionäre Vormoderne des | |
ausgehenden 19. als Kontrastfolie vor die reflexive Moderne des 21. | |
Jahrhunderts zu schieben. Und die [1][Gilet Jaunes auf den Champs Élysées] | |
sind wahrscheinlich doch eher nicht die Wiedergänger der Kommunarden, die | |
vor fast 150 Jahren Napoleons Kaisersäule auf dem Place Vendôme stürzten. | |
Trotzdem würde man sich wünschen, dass die vom Aussterben bedrohte | |
Formation, die immer noch auf den Namen Sozialdemokratie hört, wenigstens | |
gelegentlich zu der Entschlossenheit ihrer Altvorderen zurückfindet. | |
Am Mittwochabend, den 15. Mai, hat der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel | |
beim alljährlichen Empfang des Kulturforums der SPD, dem er vorsteht, zwar | |
von einer „Schicksalswahl, einer Richtungswahl“ am 26. Mai gesprochen. | |
Dennoch kam bei der Veranstaltung in Berlin nie ein Gefühl der | |
Dringlichkeit auf. | |
Vielleicht lag es daran, dass die Einladung wie eine verkorkste Werbung für | |
eine Dating-App daherkam. „Es müsste Liebe sein. Wir und Europa“, lautete | |
der Titel des mit hundert Gästen schwach besuchten Meetings. | |
## Verratenen Werte Europas | |
Natürlich wird auch viel Richtiges gesagt an solchen Abenden. | |
[2][SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley], die deutsch-britische | |
Noch-Bundesjustizministerin, beklagte den „bröckelnden Wertekonsens“ in | |
Europa. Angesichts der Bedrohung Europas von rechts seien die Bürger aber | |
„aufgewacht“. „Im Herzen“ seien sie europäisch, versuchte sie zu | |
verbreiten. Dem deutsch-französischen Schauspieler Christian Berkel ging es | |
gegen den Strich, dass „die Lust an der Vielfalt unterdrückt“ werde. | |
Es war bezeichnend, dass ein mutmaßliches Nicht-SPD-Mitglied den Finger in | |
die Wunde legte: „Haben wir Momente der Solidarität verschlafen?“, fragte | |
die Autorin Jagoda Marinić mit Blick auf die verratenen Werte Europas: den | |
Umgang mit Flüchtlingen, [3][das Spardiktat gegenüber Griechenland], die | |
krassen Einkommensunterschiede zwischen Nord und Süd. | |
„Es gibt auch ein Erfahrungseuropa. Wir müssen ehrlich sein und unsere | |
eigenen Schwachstellen sehen“, schrieb die 1977 in Waiblingen geborene | |
Tochter jugoslawischer Gastarbeiter den Europhilen ins Stammbuch. | |
Angesichts dieses „Glaubwürdigkeitsproblems“ (Marinić) nützt es nicht vi… | |
wenn SPD-Wahlkämpfer ständig die „Vereinigten Staaten von Europa“ | |
beschwören, die die Partei in ihr Heidelberger Programm von 1925 | |
geschrieben hat. Und sich dann wundern, weshalb sie niemand wählt. Gelingt | |
es ihnen nicht, den Abgehängten das „soziale Europa“, das Katarina Barley | |
beschwor, im eigenen Leben erfahrbar zu machen, dürfte die | |
Anti-Europa-Stimmung, die Rechtspopulisten ausnutzen, kaum verschwinden. | |
Nimmt man den matten Abend als Indiz für den Wahlausgang in einer Woche, | |
dürfte es düster aussehen für die europäische Traditionstante SPD. Für den | |
Talk mit Häppchen konnte sie so gut wie keine ausstrahlungsfähigen | |
Kulturschaffenden „empfangen“. Gekommen waren allerlei Fußvolk aus dem | |
Regierungsviertel und wackere Dauergäste dieser Empfänge wie Klaus Staeck, | |
Gesine Schwan und Rolf Hochhut ab. Selbst Katja Ebstein und Mario Adorf | |
fehlten. Keine kulturelle Hegemonie, nirgends. | |
Das gleichsam anorganische Verhältnis der SPD zur Kultur belegte auch ihre | |
Ortswahl: Statt in ein Theater, ein Kino, ein Museum, eine Galerie oder in | |
einen der zahllosen, gentrifizierungsbedrohten Kultur-Spaces der Hauptstadt | |
einzuladen, empfing das Kulturforum in einer seltsamen „Eventlocation“ am | |
Alexanderplatz mit Plüschmöbeln. | |
16 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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