# taz.de -- Debatte SPD-Debakel: Der Sinn des Desasters | |
> Das Debakel in Hessen hat zahllose Verlierer und ein Gutes: Die SPD | |
> beginnt die Politiker zu isolieren, die auf die Linkspartei nur mit einem | |
> Tabu zu reagieren wissen. | |
Die hessische SPD hat sich nach aller Regeln der Kunst selbst zerlegt. Zur | |
normalen Mechanik des Flügelkampfes zählt, dass die Rechte gewinnt, was die | |
Linke verliert, und umgekehrt. Doch die hessische Sozialdemokratie hat ein | |
Maß an Zerrüttung erreicht, in der niemand mehr gewinnt, sondern alle | |
verlieren. Eine Art Totalschaden. Psychologisch gesprochen ist, was in der | |
SPD Hessen passiert, ein Fall von Autoaggression. | |
Für die SPD-Linke fällt die Bilanz deprimierend aus. Sie hatte in Hessen | |
eigentlich ideale Bedingungen: eine überzeugende, frische Kandidatin und | |
mit Roland Koch einen politischen Gegner, der den eigenen Laden | |
zusammenschweißte. Vor allem aber verfügte sie über etwas, das in der im | |
Regierungsalltag blass und müde gewordenen Sozialdemokratie selten ist: | |
programmatischen Schwung, Ideenreichtum, gepaart mit dem Willen, zu | |
regieren. Ypsilanti und Co schienen zu beweisen, dass vitale, eingreifende, | |
linke Politik möglich ist. So brachten sie Roland Koch mit einem scharf | |
konturierten, ökologisch und sozial ausgerichteten Wahlkampf an den Rand | |
einer Niederlage. | |
Perdu, vorbei. Aber auch die SPD-Rechte wird nicht recht froh über das | |
Fiasko in Hessen. Die Aussicht, im Wahljahr 2009 in Hessen möglicherweise | |
einen triumphierenden Roland Koch zu erleben und eine depressive, | |
geschlagene SPD, begrenzt die Schadenfreude über Ypsilantis Niederlage. | |
Auch Steinmeier & Müntefering haben nichts davon, wenn Ypsilanti untergeht | |
und die hessische SPD zerfällt. | |
Vor allem aber hat die SPD-Rechte in Hessen keine Alternative zu Ypsilanti: | |
personell nicht, machtpolitisch auch nicht. Sogar jetzt nicht. Denn was ist | |
die Alternative zu Rot-Rot-Grün? Die Aussicht, vielleicht Juniorpartner von | |
Roland Koch werden zu dürfen. Dass man mit dieser Aussicht niemanden | |
mobilisieren kann, liegt auf der Hand. | |
Hinzu kommt, das sich SPD und CDU in Hessen besonders wenig mögen. Die SPD | |
hat dort eine starke linkssozialdemokratische Färbung, die CDU einen | |
traditionell mächtigen, rechtskonservativen Flügel. Eine SPD, die sich | |
Roland Koch unterwirft, gibt sich schlicht selbst auf. Und sie riskiert | |
innere Verwerfungen, gegen die der Streit um Ypsilanti und die Linkspartei | |
wie ein freundlicher Meinungsaustausch wirken wird. | |
Auf den ersten Blick entdeckt man in Hessen nur Verlierer, überall. Wenn | |
man das Stück allerdings aus etwas mehr Distanz anschaut, erkennt man noch | |
etwas anderes. Dieses Desaster ist eine Station in einem äußerst | |
verlustreichen, umwegigen Lernprozess. Die hessische SPD ist in einer | |
chaotischen Klärung dabei, sich von ihrem strikt wirtschaftsliberalen, | |
fundamental gegen die Linkspartei gerichteten Flügel zu trennen. Auch wenn | |
Jürgen Walter und seine Mitstreiterinnen erst mal in der Fraktion und | |
Partei bleiben dürfen - in der SPD sind sie erledigt. Sie haben ihre Partei | |
an der Nase herumgeführt, ihrer Chefin wochenlang Zustimmung signalisiert, | |
um sie im allerletzten Moment zu blamieren. Dieses Verhalten lässt sich | |
auch bei freundlichstem Lichte nicht zur moralischen Großtat erhellen. | |
Aber es geht nicht nur um Stilfragen und Loyalitäten - sondern auch um eine | |
fundamentale Entscheidung. Würde die SPD den Metzgers & Walters folgen, | |
dann wäre dies eine politische Selbstentmachtung. Ein fundamentales, also | |
geschichtsmoralisch oder wirtschaftspolitisch begründetes Nein zur | |
Linkspartei hat zur Folge, dass sich die SPD in den meisten westlichen | |
Bundesländern auf Jahre hinaus in der Opposition häuslich einrichten kann. | |
Sie wird damit auch die Grünen als Koalitionspartner verlieren, deren | |
Geduld irgendwann zu Ende geht und die sich, früher oder später, von ihr | |
ab- und der CDU zuwenden werden. Wenn die SPD Nein zu Rot-Rot-Grün sagt und | |
in einer ideologischen Selbstblockade verharrt, manövriert sie sich | |
dauerhaft ins Abseits. Das ist, zwei Tage nach dem Kollaps in Wiesbaden, | |
offenkundig. | |
Ein Ergebnis des hessischen Fiaskos lautet daher: Die SPD hat mit dieser | |
Aufführung unter Qualen und mit jeder Menge Kollateralschäden ihr | |
Verhältnis zur Linkspartei geklärt - ein bisschen zumindest. Das Ergebnis | |
lautet: Alles ist möglich. Das wissen die Wähler jetzt. Oder glaubt jemand, | |
dass die hessische SPD mit dem Slogan "Keine Zusammenarbeit mit der | |
Linkspartei" erfolgreich in den nächsten Wahlkampf ziehen kann? So verrückt | |
dürften noch nicht mal die drei Abweichler sein. | |
Die SPD in Hessen hat somit in einem maximal schmerzhaften und minimal | |
effektiven Selbstversuch vorgeführt, wohin ein Nein zur Linkspartei vor | |
Landtagswahlen führt. Diese Lektion müsste die SPD nun auch im Saarland und | |
Thüringen beherzigen. Dort schließt sie zwar Rot-Rot nicht aus, aber nur | |
wenn sie in diesen Koalitionen auf jeden Fall den Ministerpräsidenten | |
stellen darf. Klug sind solche Bedingungen, die nach der Wahl schnell zu | |
Selbstfesselungen werden, nicht. Sie sind, wie Ypislantis Nein zur | |
Zusammenarbeit mit der Linkspartei drastisch gezeigt hat, unbrauchbare | |
Versuche, Souveränität zu demonstrieren. Wie Müntefering & Co dem Publikum | |
zudem erklären wollen, warum Rot-Rot-Grün in den Ländern erlaubt ist, im | |
Bund aber Teufelszeug, das gehört weiterhin zu den Geheimnissen der | |
Sozialdemokratie. | |
Was kommt jetzt in Hessen? Neuwahlen. Sie sind der einzige legitime Ausweg | |
- und machtpolitisch ist auch kaum etwas anderes drin. Auch die Grünen | |
können nicht so fix von Rot-Rot-Grün in die Arme von Roland Koch springen. | |
Im Februar 2008 konnte man, wie Andrea Ypsilanti, noch argumentieren, dass | |
Neuwahlen nur die allerletzte Möglichkeit sein dürfen. Schließlich habe man | |
die Entscheidung des Souveräns zu akzeptieren. Daher sei ihr Wortbruch - | |
die Tolerierung durch die Linkspartei - das kleinere Übel. Diese | |
Konstruktion stand schon damals auf schwankendem Boden; jetzt ist sie | |
realpolitisch zusammengebrochen. Ypsilantis moralischer Malus war es, dass | |
sie mit den Stimmen von SPD-Wählern regiert hätte, die entschieden keine | |
Tolerierung durch die Linkspartei wollten. Ypsilantis zeitweise plausibel | |
wirkende Hoffnung war es, dass dieser Malus verblasst, wenn sie eine | |
stabile Regierung bildet, die ansonsten tut, was im Wahlkampf versprochen | |
worden war. Auch das ist vorbei. Ypsilantis Scheitern zeigt, dass auch, | |
vielleicht sogar gerade Politiker, die vom Pathos der guten Sache beseelt | |
sind, bei solchen Moralbilanzen genauer sein müssen. | |
Kommt jetzt Roland Koch, für immer? Wer weiß. Bei der letzten Umfrage im | |
September kam Rot-Rot-Grün auf 46, Schwarz-Gelb auf 49 Prozent. Kein | |
uneinholbarer Vorsprung. Es stimmt schon: Die Koch-CDU ist einer äußerst | |
komfortablen Lage, Ypsilanti hingegen politisch haftbar für dieses selbst | |
verschuldete Desaster. Kaum jemand hat in so kurzer Zeit so viele | |
Stoppschilder übersehen wie sie. | |
Und trotzdem wäre es voreilig, sie abzuschreiben. Ypsilanti ist hartnäckig. | |
Und sie hat schon mal gezeigt, dass die SPD Chancen hat, wenn sie | |
entschieden links, tatkräftig und modern auftritt. | |
5 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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