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# taz.de -- Massaker in Butscha: Zwischen Minen und Toten
> Die Bilder von Leichen in Butscha gehen um die Welt. Unsere Autorin hat
> vor Ort mit den dort lebenden Menschen gesprochen.
Bild: Das zerbombte Transportflugzeug Mriya auf dem Militärflughafen Hostomel
Butscha und Hostomel taz | Zerstörte und verbrannte militärische
Ausrüstung, umgestürzte und zertrümmerte Privatfahrzeuge, über die ein
Panzer hinweggerollt ist, umgestürzte Bäume, abgerissene Stromleitungen,
ausgebrannte Häuser und Leichen von Zivilist*innen: So sehen sie jetzt aus,
die Vororte der ukrainischen Hauptstadt Kiew Irpin, Butscha und Hostomel.
Von hier waren die russischen Truppen vor wenigen Tagen vertrieben worden.
Bei ihrem Abzug haben sie [1][Tod, Verwüstung, Schmerz und Trauer]
hinterlassen.
„In den Straßen der Stadt [2][liegen überall Leichen]“, sagte der
Bürgermeister von Butscha, Anatoli Fedoruk, nachdem die ukrainische Armee
hier wieder die Kontrolle übernommen hatte. Alle Toten tragen normale
Kleidung. Einige liegen einfach auf den Straßen, hinter Autos oder
Fahrrädern. Bei einigen sind die Hände auf dem Rücken gefesselt. „In
Butscha haben wir bereits 280 Menschen beerdigt“, sagte Fedoruk am Samstag
vor Journalist*innen.
Das Territorium des gesamten Ortes muss jetzt von Minen geräumt werden. Auf
den Straßen der befreiten Städte liegen noch Hunderte nicht explodierter
Granaten sowie viel verbrannte russische Ausrüstung. Trotz der Gräueltaten
und erbitterten Kämpfe, die im vergangenen Monat in Butscha stattgefunden
hatten, leben immer noch mehrere Tausend Menschen in der Stadt.
Strom, Heizung, Gas, Wasser sowie Mobilfunk gibt es immer noch nicht. Um
sich etwas zu essen zu machen, müssen die Menschen in die Höfe ihrer Häuser
gehen. So macht es auch der 81-jährige Dmitri, der sich gerade über einem
Feuer eine Suppe kocht. „Wir haben die Russen hier gesehen. Sie gingen in
alle Wohnungen unseres Hauses. Sie suchten etwas, Nahrung oder Waffen, ich
habe keine Ahnung. Wenn jemand nicht aufmachte, dann haben sie die Tür
einfach aufgebrochen “, erinnert sich der alte Mann an seine erste
Bekanntschaft mit russischen Soldaten. „Aus irgendeinem Grund dachten sie
wohl, sie seien hier willkommen. Ich weiß nicht, was man ihnen dort im
Fernsehen erzählt. Das waren alles Jungs, so um die 20 Jahre alt“, erzählt
er weiter. Seine Hände und die Nase sind ganz schwarz von Ruß. Dmitris
Augen füllen sich mit Tränen – wegen des Rauchs oder vor Verzweiflung.
## Räume, die als Folterkammern dienten
Seine 78-jährige Nachbarin Valentina bestätigt, dass hier niemand mit
russischen Soldaten etwas hätte zu tun haben wollen. „Sie brachen die Tür
meiner Nachbarin auf. Die war evakuiert worden und konnte ihnen deshalb
natürlich nicht öffnen. Dann gingen sie hinein und durchsuchten alles,
wahrscheinlich vermuteten sie irgendwo Waffen. Dann gingen sie wieder. Wie
soll meine Nachbarin denn jetzt überhaupt zurückkommen?“, fragt die
Rentnerin, die sich ebenfalls ihr Abendessen vor einem Hauseingang über
einer Flamme zubereitet. Entsetzen steht ihr ins Gesicht geschrieben. „Ich
hoffe so sehr, dass sie niemals wieder zurückkommen“, sagt sie noch.
Jetzt versuchen die ukrainischen Behörden alles, was möglich ist, um die
Leichen so schnell es geht zu bergen, sie zu identifizieren und die
Verbrechen zu dokumentieren. Parallel dazu werden die Städte entmint.
Minen, die die russischen Truppen zurückgelassen haben, lauern überall. Die
Soldaten schreckten nicht einmal davor zurück, an den Leichen noch Minen
anzubringen.
In den befreiten Städten gilt noch bis zum 5. April eine Sperrstunde.
Allen, die draußen sind, auch den geflohenen Bewohner*innen, ist deshalb
der Zutritt verboten. Das hat auch damit zu tun, dass viele von ihnen jetzt
in ihre Häuser zurückkehren wollen, doch das ist viel zu gefährlich.
Als die ersten Bilder von den Kriegsverbrechen in Butscha, Irpin und
Hostomel öffentlich wurden, versetzte das vielen Ukrainer*innen einen
Schock. Vor allem der Umstand, mit welcher Grausamkeit und Sinnlosigkeit
diese Taten begangen wurden. So wurden beispielsweise in Butscha Räume
entdeckt, die offenbar als Folterkammern dienten – darin wurden die Leichen
von Männern gefunden, die mit dem Gesicht zur Wand knieten und denen in den
Hinterkopf geschossen worden war.
## Leichen wie Schaufensterpuppen
In einem Nachbardorf von Butscha fand die ukrainische Armee ein Grab mit
zwei Frauen und vier Männern – alle ebenfalls durch Schüsse in den
Hinterkopf exekutiert. Später konnte festgestellt werden, dass es die
Familie der Dorfvorsteherin Olga Suchenko war, die am 23. März verschwunden
war. Solche Orte finden sich buchstäblich in jedem Viertel der Städte im
Großraum Kiew, aus denen sich die russische Armee zurückgezogen hat.
„Russland ist schlimmer als der IS. Wenn ich früher gesagt habe, dass ich
mein Bestes tun würde, um die Täter vor Gericht zu bringen, bin ich mir
jetzt sicher, dass dies die Arbeit meines Lebens ist, die ich bis zu meinem
letzten Atemzug machen werde. So lange, bis alle zur Verantwortung gezogen
werden“, lautete der erste Kommentar des ukrainischen Außenministers Dmitro
Kuleba zu den mutmaßlichen Kriegsverbrechen Russlands.
Die russischen Truppen sind nun schon vor einigen Tagen aus Butscha
abgezogen. An ihre Anwesenheit erinnert nicht nur zerstörtes Kriegsgerät,
sondern auch Leichen russischer Soldaten. Da liegen sie, auf den
Bürgersteigen, nur 26 Kilometer vom Zentrum Kiews entfernt, und das schon
seit einigen Wochen. Während dieser Zeit haben sie nicht nur angefangen zu
verwesen, sondern auch Hunde sind über sie hergefallen.
Das ukrainische Militär schafft es derzeit nicht, die von Russen getöteten
Zivilist*innen oder die gegnerischen Soldaten von den Straßen zu
entfernen. Die verbrannten steifen Leiber erinnern eher an
Schaufensterpuppen denn an menschliche Körper. Diese russischen Soldaten
waren jemandes Söhne, Brüder, Ehemänner. Für die Ukrainer bleibt es ein
Rätsel, warum sie hierhergekommen und für was sie gestorben sind und warum
ihre eigenen Kameraden die Leichen zurückgelassen haben.
Die Stadt Hostomel, die sich hinter Butscha und unweit der Grenze zu
Belarus befindet, war eine der ersten, die angegriffen wurden. Das Ziel war
vor allem der örtliche Militärflugplatz. Jetzt sieht dieser Ort grauenhaft
aus. Tausende Splitter, Hunderte Patronenhülsen, überall verbranntes
russisches Kriegsgerät und vor allem das völlig zerstörte größte
Transportflugzeug der Welt: „Mriya“ – „Traum“ auf Ukrainisch.
Dieses Flugzeug war immer der ganze Stolz der Ukraine, weil ukrainische
Konstrukteure es entworfen hatten. Jetzt ist nichts von ihm übrig geblieben
und es kann auch nicht wieder instand gesetzt werden.
Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow hat am Sonntag die
Kämpfer geehrt, die an den Kämpfen teilgenommen haben. Die Zeremonie fand
in einem zerstörten Hangar neben den Überresten der „Mriya“ statt, also a…
dem Schlachtfeld, umgeben von verstreuten Überresten der russischen
Hinterlassenschaften – Uniformen, Schuhwerk, Trockennahrung und zerstörte
russische Kriegstechnik. Unter den Geehrten war auch der 26-jährige
Krimtatare Ruslan, dessen Eltern immer noch auf der Krim leben.
„Die Kämpfe waren sehr hart. Die russischen Soldaten kann man nicht als
Armee bezeichnen. Das sind Barbaren. Sie zerstören wahllos alles um sich
herum, sie töten Zivilist*innen und haben keine militärische Ehre“,
sagt Ruslan und fügt hinzu: „Ich habe hier nicht für eine Auszeichnung
gekämpft, sondern für mein Land, meine Familie und meine Eltern. Es liegen
noch viele Schlachten vor uns und die werden wir definitiv gewinnen.“
Aus dem Russischen Barbara Oertel
4 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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