| # taz.de -- Manifest des Amokläufers von Hamburg: Polizei muss googeln lernen | |
| > Hätte Hamburgs Polizei das Attentat auf Zeug:innen Jehovas verhindern | |
| > können? Vielleicht, mit besserer Internetrecherche über mögliche | |
| > Gefährder. | |
| Bild: Viele Fragen an Innensenator Grote (SPD) und Polizeichef Meyer: Hamburger… | |
| Hamburg taz | Die Polizei hat das [1][Vermächtnis des Hamburger | |
| Amokläufers] nicht zur Kenntnis genommen, obwohl sie einen Hinweis auf | |
| dessen Existenz hatte. | |
| Philipp F., ehemaliges Gemeindemitglied der Zeugen Jehovas in Winterhude, | |
| hatte am Donnerstag nach einer Zusammenkunft in den Gemeinderäumen | |
| [2][sieben Menschen und sich selbst erschossen]. Vorher, am 24. Januar, war | |
| bei der Polizei ein anonymes Schreiben eingegangen, das warnte, Philipp F. | |
| habe möglicherweise eine nicht diagnostizierte psychische Erkrankung und | |
| weigere sich, einen Arzt aufzusuchen. Die Polizei solle seine Eignung zum | |
| Führen einer Waffe überprüfen. F. hege Hass auf die Zeugen Jehovas und auf | |
| einen früheren Arbeitgeber. | |
| Auch auf das von F. im Selbstverlag publizierte Buch „The truth about God, | |
| Jesus Christ and Satan“ wurde in dem Brief explizit hingewiesen. In dem | |
| wirren Text, der versucht, Geschichte auf einer religiösen Matrix neu zu | |
| deuten, wird die Frage erörtert, wer legitimiert sei zu töten. Selbst wenn | |
| man die zahlreichen frauenfeindlichen, antisemitischen sowie Hitler und | |
| Putin verherrlichenden Passagen nicht für extremistisch hält, wecken die | |
| kruden religiösen Deutungen darin erhebliche Zweifel am Geisteszustand des | |
| Autors. | |
| Die Polizei nahm den Brief zwar ernst, sah sich aber in ihren | |
| Handlungsmöglichkeiten beschränkt: Ein Entzug der waffenrechtlichen | |
| Erlaubnis sei nur aufgrund von handfesten Tatsachen möglich, sagten | |
| Innensenator Andy Grote (SPD) und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer auf | |
| der Landespressekonferenz am Dienstag ein ums andere Mal. Sei die Erlaubnis | |
| einmal erteilt, sei es schwer, sie zu widerrufen. Grote argumentierte | |
| deshalb für eine [3][Verschärfung des Waffenrechts], nach der künftig auch | |
| Antragsteller über 25 Jahren ein amtsärztliches oder psychiatrisches | |
| Gutachten vorlegen müssten und schon Anhaltspunkte und nicht nur Beweise | |
| ausreichen würden, um ein Widerrufsverfahren zu beginnen. | |
| ## Bei Kontrolle: Fast alles in Ordnung | |
| Hamburgs Polizei behalf sich mit einem Trick: Am 7. Februar statteten zwei | |
| Beamte der Waffenbehörde F. in seiner Wohnung einen auch anlasslos | |
| möglichen, unangemeldeten Kontrollbesuch ab. Vordergründig ging es dabei um | |
| die Frage, ob F. die Waffe vorschriftsmäßig in einem abgeschlossenen Tresor | |
| verwahrte. Das tat er, samt „zwei bis drei“ Magazinen mit Munition – bis | |
| auf eine Patrone. Die lag lose auf dem Waffenschrank. Dafür fing er sich | |
| eine Verwarnung ein. Aber eigentlich wollten die Beamten ausloten, ob F. | |
| psychisch auffällig war. Das Ergebnis: alles in Ordnung. | |
| Im Vorfeld hatten die Beamten im Internet über F. recherchiert. Dabei sei | |
| ihnen seine Website als Unternehmensberater „seriös“ vorgekommen, sagte | |
| Polizeipräsident Meyer. Sie waren nicht darüber gestolpert, dass F. | |
| Geschäftliches auf bizarre Weise mit Religiösem verquickte, von ihm | |
| gestellte Strafanzeigen gegen Firmen als ehrenamtliches Engagement | |
| darstellte – und einen selbst in der gelegentlich überhitzten | |
| Berater-Branche astronomischen Tagessatz von 250.000 Euro ansetzte. | |
| Auf F.s Buch waren sie nicht gestoßen, obwohl er es einen Monat vorher | |
| veröffentlicht und über Amazon zum Kauf angeboten hatte. „Die Beamten haben | |
| seinen Namen und ‚Buch‘ bei Google eingegeben“, sagte Meyer, „und das | |
| Ergebnis war negativ.“ Was daran liegen könnte, dass in den | |
| Amazon-Verkaufsanzeigen das Wort „Buch“ in der Regel nicht vorkommt. Schon | |
| gar nicht, wenn es sich wie im Fall von F. um eine englischsprachige | |
| Veröffentlichung handelt. | |
| Auf die Idee, direkt beim Onlineversandhändler Amazon nach dem Buch zu | |
| suchen, waren die Beamten offenbar nicht gekommen. Auf die Frage, ob die | |
| betreffenden Beamten des Englischen mächtig seien, antwortete Meyer mit | |
| leiser Stimme: „Ich hoffe ja.“ Bei ihrem Kontrollbesuch hatten die Beamten | |
| F. nicht auf sein Buch angesprochen, wie Meyer sagte. Die Begründung dafür | |
| klingt kurios: In dem anonymen Schreiben sei darum gebeten worden, alles | |
| wie eine Routinekontrolle aussehen zu lassen, sagte Meyer – um F. nicht | |
| „aufzuregen“. Dabei hätte gerade eine solche „Aufregung“ Anhaltspunkte… | |
| eine psychische Erkrankung zutage fördern können. | |
| Hätte es überhaupt etwas geholfen, wenn die Beamten F.s Machwerk zur | |
| Kenntnis genommen hätten? „Das Buch ist eine Tatsache“, sagte Meyer am | |
| Dienstag. „Nach der Lektüre hätte man ein psychiatrisches Gutachten | |
| verlangen können, das zum Entzug der Waffenbesitzerlaubnis hätte führen | |
| können.“ | |
| Anders als der anonyme Brief: Der sei zwar gut gemeint, aber „wenig | |
| tauglich“ als Beweismittel. Fast flehentlich appellierte Meyer an die | |
| Hamburger:innen, sich bei Gefahrenlagen grundsätzlich mit Namen an die | |
| Behörden zu wenden, damit auch Rückfragen möglich sind. | |
| ## Hätte Polizei die Gemeinde warnen müssen – oder umgekehrt? | |
| Noch ein weiteres Fass machte Meyer auf: Vage deutete er an, die Polizei | |
| ermittele nach „weiteren Quellen“, bei denen vor der Amoktat Hinweise auf | |
| eine Gefährdung vorgelegen haben könnten. „Ich muss Ihnen nicht sagen, dass | |
| wir es mit dem Umfeld der Zeugen Jehovas zu tun haben“, deutete Meyer auf | |
| Nachfrage mangelnde Kooperationsbereitschaft der Glaubensgemeinschaft an. | |
| Die können das nicht nachvollziehen. „Sie können sicher sein, dass die | |
| Gemeindemitglieder alles in ihrer Macht Stehende tun werden, um an der | |
| Aufklärung mitzuwirken“, sagte Michael Tsifidaris, Sprecher der Zeugen | |
| Jehovas in Norddeutschland. In der Gemeinschaft wisse man aber wenig über | |
| Philipp F., weil er nur kurze Zeit Mitglied in der Gemeinde gewesen sei. Im | |
| Gegenteil hätten sich die Zeugen Jehovas gewünscht, sie wären von der | |
| Hamburger Polizei vorgewarnt worden, nachdem die den anonymen Brief | |
| erhalten hatte, in dem konkrete Adressaten von F.s Hass genannt wurden. | |
| „Das wünscht man sich als Gemeinde, das wünscht man sich als Arbeitgeber“, | |
| sagte Tsifidaris. | |
| Die Polizei habe nach Erhalt des Briefs weder mit den Zeugen Jehovas noch | |
| mit früheren Arbeitgebern von F. Kontakt aufgenommen, sagte Meyer. | |
| 14 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Kahlcke | |
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