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# taz.de -- MDR-Doku-Serie „Generation Crash“: Die Scham der Eltern
> In der MDR-Serie „Generation Crash“ schildern sieben Nachwendekinder ihr
> Aufwachsen in Ostdeutschland. Eine Zeit geprägt von Angst, Gewalt und
> Scham.
Bild: Soziologin Katharina Warda spricht in „Generation Crash“ von ihren Ä…
Eine Zeit, geprägt von Angst, Gewalt und Scham. Rennen musste man können,
damals im [1][Ostdeutschland] der neunziger und der nuller Jahre, um nicht
aufs Maul zu bekommen. In diesen Punkten sind sich die sieben
Protagonist*innen der zweiteiligen MDR-Dokumentation „Generation Crash
– Wir Ost-Millennials“ einig. Sie alle sind in den achtziger Jahren in der
[2][DDR] geboren, direkt hinein in den Crash des Realsozialismus.
In „Generation Crash“ werden die gelebten Erfahrungen der sieben
Nachwendekinder zu einer losen Oral History dieser Zeit verwoben. Das
funktioniert deswegen so gut, weil die subjektiven Perspektiven eine
Möglichkeit des Austauschs, auch über die Sicht von PoC und queeren
Personen auf die Nachwendezeit bieten. Durch die Collage der wechselnden
Interview-Sequenzen und eingespieltem Archivmaterial entwickelt sich ein
interessanter Dialog über die Ursachen von Angst und Scham.
Da ist zum Beispiel Apolda, Kleinstadt in Thüringen und ehemaliges Zentrum
der DDR-Textilindustrie. Anna Stiede, Politikwissenschaftlerin und geboren
in Jena, erzählt davon, dass nach der Abwicklung des Betriebs die Zahl der
Mitarbeiter*innen radikal von über 10.000 auf wenige Hundert
geschrumpft wurde. In einem Einspieler spricht eine verzweifelte
Textilarbeiterin über ihre Suizidgedanken. Etwas Ähnliches, erzählt Stiede,
[3][passierte in Bischofferode,] wo Mitarbeiter*innen des dortigen
Bergbaubetriebs sogar in den Hungerstreik traten.
## Finanzielle Not und Identitätsverlust
All das sind Erkenntnisse, die Stiede erst in den letzten Jahren hatte. In
ihrer Kindheit war kein Raum für Reflexion. Die Eltern und Großeltern
wollten nicht sprechen. Und ohnehin stand an erster Stelle der
Selbstschutz. Ihre Wege durch die Stadt, sagt Stiede, seien von Angst
geprägt gewesen. Auch die Soziologin Kathrin Warda, geboren in Wernigerode,
schildert ähnliche Erfahrungen. Sie erzählt, dass sie sich in Büschen
versteckte, wenn sie auf gefährliche, also gewaltbereite rechte Gruppen
traf. Die Eltern reagierten darauf mit dem Vorschlag, einfach zu Hause zu
bleiben. Es gab, sagt Warda heute, keinen souveränen Umgang mit der
Situation, die für viele finanzielle Not und einen Identitätsverlust
bedeutete. Zugeben wollte das niemand. Zu weinen, sagt Hendrik Bolz, Autor
und Musiker, geboren in Leipzig, war keine Option. Angst sei dadurch
kompensiert wurden, selbst tätig zu werden. Heißt: jemandem die Nase zu
brechen.
In „Generation Crash“ wird der Prozess der Auseinandersetzung von Bolz,
Stiede, Warda und den anderen mit den [4][Nachwendejahren] offengelegt, die
bis heute gesamtgesellschaftlich wirken. Für die Doku gehen sie an Orte
zurück, die sie aus guten Gründen verlassen haben, treffen alte Bekannte,
stellen sich ihren Emotionen. Sie brechen mit der Scham der
Elterngeneration. Viele andere verdrängen dagegen weiter. Stiede erinnert
sich an den „Obernazi“ aus ihrer Schule. Der erzählte stolz, wie er den
Kopf einer Person auf den Bordstein legte. Eine Erfahrung, die sie bis
heute beschäftige. Vor Kurzem habe sie den Mann, laut eigener Aussage
mittlerweile Neonazi-Aussteiger, damit konfrontiert. Der, sagt Stiede, habe
sich angeblich nicht erinnern können.
11 Jul 2023
## LINKS
[1] /Baseballschlaegerjahre-in-Wernigerode/!5941578
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[3] /Buch-ueber-Spaetfolgen-der-Treuhand/!5820207
[4] /Baseballschlaegerjahre-in-Wernigerode/!5941578
## AUTOREN
Johann Voigt
## TAGS
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DDR
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