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# taz.de -- Lehrermangel in Berlin: Lehrkräfte extrem belastet und unzufrieden
> Laut einer Studie würden nur 20 Prozent der Lehrer*innen ihren Beruf
> weiterempfehlen. Andere Berufsgruppen sind im Vergleich deutlich
> zufriedener.
Bild: Viele Lehrer:innen sind unzufrieden mit ihrer Berufswahl
Berlin taz | Zum Anfang ihrer Englisch-Stunde muss Lydia Puschnerus mehrere
Dinge gleichzeitig machen: ihren Unterricht mit einem idealerweise
kreativen und aktivierenden Einstieg ins heutige Thema beginnen. Eintragen,
wer da ist, am besten über ein digitales Tool. Wenn das ausfällt, dann per
Stift und Zettel. Vermerken, welcher ihrer 32 bis 34 Schüler*innen zu
spät kommt.
Dass Jugendliche fehlen, muss Puschnerus möglichst schnell notieren, damit
nicht zu viel Zeit verloren geht. Die Stunde beginnt für die
Klassenlehrerin also bereits mit einer doppelten Belastung. Und mit dem
Wissen, dass sie am Nachmittag checken muss, ob die abwesenden
Schüler*innen entschuldigt sind. Wahrscheinlich wird sie später mehrere
Eltern anrufen.
Für solche Situationen können sich Lehrer*innen gut eine konkrete
Entlastung vorstellen. Das zeigt die aktuelle Arbeitsbelastungsstudie der
Universität Göttingen. Im [1][Rahmen einer repräsentativen
Arbeitszeitstudie unter Berliner Lehrer*innen] haben die
Wissenschaftler*innen die Studienteilnehmer*innen auch zu ihren
Arbeitsbedingungen und zu ihrer Arbeitsbelastung befragt – und dazu, was
ihre Situation erleichtern könnte. Die Ergebnisse dieses Teils der Studie
stellte die Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der
Georg-August-Universität Göttingen gemeinsam mit der Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft (GEW) am Mittwoch vor.
„Es ist alarmierend, wie [2][niedrig die Zufriedenheit mit dem Beruf] ist“,
sagt Frank Mußmann von der Kooperationsstelle. Denn: Nur 13 Prozent der
Befragten würden sich wieder für den Beruf entscheiden, nur 20 Prozent
würden ihn weiterempfehlen, 35 Prozent würden sogar vom Beruf abraten. Ein
großes Problem, auch angesichts des Lehrer*innenmangels, sagt Mußmann. „Wer
mit Lehrkräften im System spricht, wird sich wohl eher nicht für den Beruf
entscheiden.“ In anderen Bereichen würden im Schnitt rund 69 Prozent ihren
Beruf weiterempfehlen.
## Hohe Belastung, entgrenzte Zeiten
Als Gründe für die Unzufriedenheit gaben die Studienteilnehmer*innen
die hohe Arbeitsbelastung, entgrenzte Arbeitszeiten und gesundheitliche
Risiken an. Hinzu kommt: Unter Lehrer*innen charakterisieren 30 bis 47
Prozent ihre Arbeit als „schlecht“, etwa wegen hoher Arbeitsintensität,
schlechter Führung und emotionalen und körperlichen Anforderungen. Auch
dieser Wert schert stark aus: Im DGB-Index Gute Arbeit beschreiben nur 7
bis 8 Prozent der Hochqualifizierten ihre Arbeit als „schlecht“.
Die Studie zeigt auch: Die Belastungen sind enorm. 90 Prozent der
Lehrer*innen stehen demnach oft unter starkem Zeitdruck. 88 Prozent
arbeiten regelmäßig am Wochenende. 87 Prozent sagen, sie haben wegen der
Arbeit zu wenig Zeit für ihre privaten Interessen.
Eine „dramatische Situation“, sagen die Studienverantwortlichen. Dabei
werde das Unterrichten selbst oft als weniger belastend erlebt. Eher
beansprucht Lehrer*innen das Ausmaß anderer Aufgaben, etwa bei einer
Klassenleitung oder die Dokumentation. Oft sei auch nicht deutlich, wie
jemand, der weitere Aufgaben übernimmt, entlastet werde.
Die Lehrer*innen selbst geben an, dass es ihnen helfen würde, Aufgaben
abzugeben – etwa an Klassenleitungs- oder Schulverwaltungsassistenzen. „Sie
schätzen mehrheitlich ein, dass die zeitliche Entlastung eine halbe Stunde
pro Woche wäre – das ist ein hoher Wert, und der hat uns überrascht“, sagt
Thomas Hartwig von der Kooperationsstelle.
## Veraltete Strukturen
„Wir haben an den Schulen noch Strukturen wie vor 15, 20 Jahren. Dabei sind
seither zahlreiche Aufgaben hinzugekommen“, kritisiert Puschnerus. Denkbar
wäre etwa Unterstützung bei der Organisation von Klassenfahrten, bei
außerschulischen Bildungsangeboten oder der Dokumentation, sagt die
Lehrerin, die außerdem Leiterin des Vorstandsbereichs Schule der GEW ist.
„Andere Berufsgruppen können dabei aber nicht die Lehrkräfte ersetzen,
sondern müssen zusätzlich eingestellt werden“, betonte sie.
Lehrer*innen wünschten sich auch Unterrichtsausfall bei Schulprüfungen,
[3][IT-Fachkräfte an den Schulen], begrenzte Klassengrößen und Unterricht
in mehreren Klassen einer Klassenstufe. Auch solche Maßnahmen könnten ihre
Arbeitsüberlastung abmildern. „Entlastung wäre substanziell möglich, man
müsste es nur angehen – und zwar an vielen Stellen“, sagt Mußmann.
Angesichts der Studienergebnisse wünscht sich die GEW allerdings auch ein
deutliches Zeichen aus der Verwaltung. „Es muss eine pragmatische,
dauerhafte Arbeitszeiterfassung her, damit die die Senatsverwaltung auch
anerkennt, wie die Bedingungen sind – und Überstunden sieht“, sagt Ralf
Schäfer, Lehrer und Personalrat. Auch die aktuellen Kürzungen sieht die GEW
hier sehr kontraproduktiv.
2 Apr 2025
## LINKS
[1] /Arbeitsbelastung-von-Lehrerinnen/!5951148
[2] https://www.gew-berlin.de/aktuelles/detailseite/berliner-lehrkraefte-frustr…
[3] /Arbeitsort-Schule/!5992817
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Lehrermangel
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