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# taz.de -- Belastung bei Lehrer*innen in Berlin: Deutlich über Stundenplan
> Lehrer*innen in Berlin leisten pro Jahr über 2 Millionen Stunden
> unbezahlte Mehrarbeit. Die GEW fordert eine verbindliche
> Arbeitszeiterfassung.
Bild: Berlins Lehrkräfte sind oft viel zu lange im Einsatz
Berlin taz | Mehr als 2 Millionen Stunden arbeiten Berlins Lehrer*innen
jedes Jahr, ohne dafür bezahlt zu werden. Das ergibt sich aus einer
repräsentativen Studie zu ihrer tatsächlichen Arbeitszeit. Demnach kommt
eine Lehrer*in jährlich im Schnitt auf rund 100 Stunden mehr Arbeit, als
es für Berliner Beamt*innen und Angestellte vorgesehen ist. Damit liegen
sie ein Vielfaches über dem Durchschnitt: Laut dem Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von der Bundesagentur für Arbeit haben
Erwerbstätige pro Kopf im Jahr 2024 bundesweit rund 15 Stunden unbezahlte
Mehrarbeit geleistet.
Die Mehrarbeit der Lehrer*innen fällt dabei in ihrem Arbeitsalltag
einfach unter den Tisch. Denn Lehrer*innen werden für eine bestimmte
Anzahl an Unterrichtsstunden eingestellt. Wie und wann sie die vor- und
nachbereiten, wann sie Klassenarbeiten korrigieren und wie sie ihre Zeit
auf Elterngespräche, Gespräche mit und über Schüler*innen, Organisation von
Fahrten und Ausflügen sowie zahlreiche Schulkonferenzen verteilen, das
bleibt ihnen selbst überlassen. „In anderen Arbeitsverhältnissen folgt bei
Mehrarbeit in der Regel nach sechs Wochen ein Zeitausgleich“, sagt Frank
Mußmann, Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der
Uni Göttingen, der die Studie maßgeblich durchgeführt und ausgewertet hat.
Knapp ein Drittel der Lehrer*innen überschreitet laut der Studie zudem
regelmäßig die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit. Sie kommen in
Schulwochen auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 48 Stunden.
Insgesamt leisten laut Studie rund zwei Drittel der Lehrer*innen
Mehrarbeit.
Besonders belastet sind demnach Schulleitungen,
Gymnasiallehrer*innen, aber auch Lehrer*innen, die nur Teilzeit
arbeiten – denn an Konferenzen müssen sie trotzdem voll teilnehmen, und
auch wenn sie viele Schüler*innen und damit Korrekturaufgaben haben,
beeinflusst das die Arbeitszeit. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass
Berlin mehr als 1.300 weitere Lehrer*innen in Vollzeit einstellen
müsste, um die Mehrarbeit aufzufangen – zusätzlich zu den aktuell eh schon
knapp 1.000 unbesetzten Stellen. Dabei seien die 1.300 noch „sehr grob,
sehr vorsichtig kalkuliert“, sagt Mußmann.
## Ein Schuljahr lang Arbeitszeit erfasst
Für die Studie hatten rund 1.200 Lehrer*innen [1][ein Jahr lang ihre
Arbeitszeit minutengenau] erfasst. Die Uni hatte ihnen dafür eine App zur
Verfügung gestellt, in die sie Arbeitsanfang und -ende sowie die Art ihrer
Tätigkeit eintragen sollten (siehe Beitext). Beteiligt waren
Lehrer*innen von allen Schulformen, wobei die Daten der Lehrkräfte der
berufsbildenden Schulen nicht in die Auswertung eingeflossen sind.
Besonders in Vollzeit beschäftigte Lehrer*innen seien aus der Studie
ausgeschieden, weil sie es neben dem Schulbetrieb nicht mehr geschafft
hätten, ihre Arbeit zu erfassen, sagt Mußmann. „Wir hatten viele Personen,
die anfangs sehr engagiert dabei waren, die uns dann aber geschrieben
haben, dass sie anders priorisieren mussten“, sagt er. Für die Studie sei
die Erfassung von mehr als 20 verschiedenen Tätigkeiten tatsächlich
aufwändig gewesen, erläutert er.
Die Studie macht auch sichtbar, wo die Mehrarbeit anfällt: Der Unterricht
an sich macht demnach 31 Prozent der Arbeitszeit von Lehrer*innen aus,
rund 32 Prozent wenden sie für Vor- und Nachbereitung und Korrekturen auf.
7 Prozent fällt auf Funktionen wie etwa Schulleitung oder
Stufenkoordination. Und in den verbleibenden 30 Prozent führen sie
Gespräche, organisieren ihren Arbeitsplatz, nehmen an Konferenzen teil,
bilden sich weiter oder organisieren Fahrten. „Diese außerunterrichtlichen
Aufgaben nehmen immer mehr Raum ein, da sehen wir einen ungebrochenen
Trend“, sagt Mußmann. Der historische Vergleich zeige, dass Lehrer*innen
auf diesen Bereich in den 1960er Jahren rund 16 Prozent ihrer Arbeitszeit
verwendet hätten.
Doch die hohe Arbeitszeit ist aus Sicht der Wissenschaftler nur „die Spitze
des Eisbergs“, wie Thomas Hardwig sagt, ebenfalls von der Uni Göttingen.
Denn neben der Arbeitszeit hat die Studie die teilnehmenden Lehrer*innen
auch zu ihrer Arbeitsbelastung befragt. Dabei kam heraus, dass
[2][Digitalisierung – oft vom Senat als Hilfe für die Lehrer*innen
genannt – kaum entlastet], sondern neue Probleme schafft.
## Von Burnout bedroht
Lehrer*innen befänden sich außerdem [3][in einer „Gratifikationskrise“,
sie seien im Vergleich weit unzufriedener] als Beschäftigte in anderen
Berufsfeldern, weil sie ihre Arbeit aufgrund der Belastungen nicht so
ausführen könnten, wie sie das gern wollten. Und weil sie wenig Anerkennung
bekämen. Außerdem sie seien [4][mehr von Burnout gefährdet]. „Es reicht
nicht, die Arbeitszeit zu verkürzen – wir müssen auch die
Arbeitsbedingungen verbessern“, sagt Hardwig.
Die GEW forderte die Senatsverwaltung für Bildung auf, angesichts dieser
Ergebnisse zu handeln. Die Gewerkschaft will auch rechtliche Schritte
prüfen und eine Pilotstudie für eine generelle Arbeitszeiterfassung an
Berliner Schulen anlaufen lassen, die auch mit den EU-Vorgaben dazu
vereinbar sein soll.
„Der Senat muss die tatsächliche Arbeitszeit vollständig erfassen und
gemeinsam mit den Personalräten an den Schulen verbindliche Regelungen zum
Abbau der Mehrarbeit schaffen“, forderte Martina Regulin, Vorsitzende der
GEW Berlin, bei der Vorstellung der Studienergebnisse.
„Die chronische Überlastung muss gestoppt werden – für die Gesundheit der
Lehrkräfte, für die Bildung und um den Beruf wieder attraktiv zu machen“,
sagte sie. Der Senat würde die Probleme aussitzen. Die GEW habe
[5][konkrete Vorschläge zur Verbesserung der] Arbeitsbedingungen an Schulen
gemacht. Darauf wies auch Studienmacher Frank Mußmann hin. Und er sagte:
„1.300 neue Lehrer*innen – das köMangel an Anerkennung nnte die
Verwaltung schaffen. Es ist machbar, das über die kommenden Jahre aMangel
an Anerkennung ufzubauen.“
4 Jun 2025
## LINKS
[1] /Arbeitsbelastung-von-Lehrerinnen/!5951148
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[3] /Lehrermangel-in-Berlin/!6076380
[4] /Ueberlastete-Lehrkraefte/!6050468
[5] /Lehrermangel-in-Berlin/!6076380
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Arbeitsbedingungen
Lehrer
Überstunden
Arbeitszeit
Belastung
Lehrermangel
Gewerkschaft GEW
Schule
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