# taz.de -- Kriegsangst und Weltschmerz: Nur Handeln hilft | |
> Wir müssen versuchen, unser Umfeld aktiv und positiv zu gestalten. Das | |
> scheint mir sicherer, als unsere Angst mit Vorräten zu nähren. | |
Bild: Wenn die Erinnerung verschwindet, kippt das gesellschaftliche Klima: Hamb… | |
Ein Abendessen unter Bekannten. Als wir uns einschenken, hebt einer das | |
Glas: „Auf den Dritten Weltkrieg“, sagt er ironisch. Es ist der 24. | |
Februar, ein Donnerstag. Der Tag, an dem Putin seinen Angriffskrieg gegen | |
die Ukraine startete. Wir anderen am Tisch schauen beklommen. | |
Nie werde ich den Blick meines Bekannten mir gegenüber vergessen. Er ist | |
groß und kräftig. In seinen Augen ist plötzlich etwas Verletzliches, | |
Angstvolles, als er die Worte hört. „Na, komm, sag so was nicht“, meint er. | |
„Aber es ist doch so“, sagt der andere. Wir schweigen. An diesem Donnerstag | |
ist bei uns kein Platz für diesen Witz. | |
Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit Krieg beschäftigt. Anhand | |
eines Fotos von einem toten Soldaten aus dem [1][Zweiten Weltkrieg] habe | |
ich einen Film darüber gemacht, wie sich der Krieg bis heute in unsere | |
Herzen und Biografien zieht: Es heißt, wenn die letzten [2][Zeuginnen und | |
Zeugen], die vom Krieg erzählen können, sterben, kippt das | |
gesellschaftliche Klima, dann schlägt es um. Dann sei der Boden dafür | |
bereitet, dass wieder ein Krieg passieren könne. | |
In meinem Film habe ich die Frage gestellt, ob ein Krieg bei uns wieder | |
geschehen könnte. Bei den Dreharbeiten schien vielen meine Frage weit | |
hergeholt. Ich habe den Film vor Kurzem abgeschlossen. Als ich die Frage | |
stellte, habe ich mich in der Sicherheit des Friedens gewähnt. Jetzt werde | |
ich mit dem Krieg aus einer viel näheren Aktualität konfrontiert. | |
Es schmerzt, wie schnell sich Themen ändern. Meine Bekannten bei dem | |
Abendessen unterhielten sich darüber, wer Zivildienst gemacht hat, wer bei | |
der Bundeswehr war und was das jetzt bedeuten könnte. | |
## Gesenkte Stimmen | |
Ich rufe am Tag darauf die ältere Dame an, mit der ich über zwei Jahre | |
gedreht habe. Eindringlich hat sie von ihren Kriegserinnerungen erzählt und | |
immer wieder für Frieden appelliert. Als ich mit ihr über meine Sorgen | |
spreche, wirkt sie erstaunlich gefasst: „Es ist nur gut, dass wir schon alt | |
sind“, sagt sie. „Dass wir das alles nicht mehr so mitbekommen werden.“ A… | |
einmal fühle ich mich von ihr verlassen. Und was ist mit uns Jüngeren, | |
frage ich in Gedanken. Was wird kommen? Was können wir tun? | |
Seit dem 24. Februar schleichen sich in die Gespräche mit meinen Bekannten, | |
Freundinnen und Freunden immer wieder Themen ein, die mit Kriegsangst zu | |
tun haben und dem Versuch, sich ihr nicht hinzugeben. Es geht darum, ob und | |
wie man sich [3][Vorräte anschaffen] sollte, etwa für den Fall einer | |
atomaren Katastrophe. Wer einen Keller hat. Wo die nächsten Bunker sind, | |
die auch vor Strahlung schützen könnten. | |
Die Stimmen senken sich oft in diesen Gesprächen, Blicke gehen zu den | |
Kindern, die spielen, aber doch zuhören und etwas mitbekommen. Nur was? Was | |
bleibt bei ihnen? | |
Von den Dreharbeiten für meinen Film habe ich noch einen Helm aus dem | |
Zweiten Weltkrieg. Ich hatte ihn zurückgesandt an den, der ihn mir | |
ausgeliehen hatte. Aber er ist von der Post wieder zurückgeschickt worden. | |
Der Helm, der früher eine Requisite war, liegt plötzlich da wie ein | |
nahbares Utensil. Ich bekomme von Bekannten Nachrichten, ob ich wüsste, wo | |
man eine kugelsichere Presse-Weste herbekommt. | |
## Geschichte aktiv gestalten | |
Was können wir tun? Das habe ich die Menschen in meinen Film immer wieder | |
gefragt. Was können wir tun gegen einen Krieg? Wir müssten unsere | |
Geschichte aufbewahren und erzählen, immer weiter, hat einer von ihnen | |
gesagt. | |
Der Nachfahre des toten Soldaten auf dem Foto ist für den Film und seine | |
Geschichte extra aus den USA nach Deutschland gereist. Mich stärkt sein | |
Gedanke noch heute und führt mich in die Kraft: Das Jetzt und damit unsere | |
Geschichte aktiv zu gestalten, sich für das Leben zu interessieren, den | |
Alltag aufrecht zu erhalten. Auch wenn er sich wie eine parallele | |
Unglaublichkeit zum Weltgeschehen anfühlt. In unser Umfeld Positivität zu | |
geben, scheint mir sicherer, als unsere Angst mit Vorräten zu nähren. Der | |
Weltschmerz ist da. Doch jetzt sind wir die Zeuginnen und Zeugen. Jetzt | |
hilft tatsächlich nur, etwas zu tun. | |
28 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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