| # taz.de -- Unterwegs an Orten, die nur uns gehören: Ein Schlupfloch ins Früh… | |
| > In einem Park an der Elbe entdeckte ich einen Baumstumpf, in dem jemand | |
| > eine Geschichte zurück gelassen hatte. Es gibt viele Orte dieser Art. | |
| Bild: Irgendwo könnte auch hier ein Schatz liegen: der Hamburger Jenischpark | |
| Wir alle tragen Geheimnisse im Herzen. Wir zelebrieren das Leben und den | |
| Tod und die Erinnerung. Mit Ritualen. Und der Wiederkehr an Orte, die nur | |
| uns gehören. Jedes Leben hat sein Geheimnis und seine Geschichte. Wir | |
| spüren nur Fragmente davon. Bei uns selbst und anderen. Und aus diesen | |
| Fragmenten reimen wir unsere Geschichten. | |
| Ein Park in Hamburg-Altona, oberhalb der Elbe. Von hier geht es abschüssig | |
| den Hang hinunter. Es nieselt. Die Hafenkräne liegen im Dunst. In der Ferne | |
| hält eine Frau ihren Hund bei Schritt. Sonst ist keiner da. Der Regen | |
| beschützt den Park. Es ist, als wäre alles unter einen grauen, schweren | |
| Wolkenbogen gehüllt. Wie in einer Schneekugel. | |
| Als der Regen stärker wird, gehe ich zu den Bäumen, die am Abgrund stehen. | |
| Der Regen tropft auf die Blätter. Tep, Tip. Ein schöner, behaglicher Klang. | |
| Dann entdecke ich den Baumstumpf: ein breit abgesägter, flacher Stamm. Hier | |
| muss einmal ein sehr alter, dicker Baum gestanden haben. | |
| Der Baumstumpf ist hohl. In ihm liegen dutzende Glasflaschen übereinander: | |
| Bier. Bis tief nach unten gefüllt. Der hohle Baum erinnert an [1][Pippi | |
| Langstrumpf] und ihren Limonadenbaum. | |
| Entweder ist das ein Pfandversteck oder jemand hat hier immer wieder | |
| getrunken, verschiedene Biersorten, vielleicht saßen Menschen um diesen | |
| Stamm zusammen. | |
| Dann erst sehe ich den Hund. Er ist eingelassen in die Oberfläche des | |
| Baumstumpfs. | |
| Ein zentimetertiefes Rechteck ist aus der Stammoberfläche gesägt. Darin ist | |
| ein Foto von einem Hund gesetzt. Ein mittelgroßer Hund mit hellem Fell. | |
| Über das Foto ist eine durchsichtige Flüssigkeit gegossen und ausgehärtet | |
| worden, vielleicht Acryl. Es muss Arbeit gewesen sein, das Holz so | |
| auszutiefen, das Foto einzulassen, es zu übergießen, sodass es die | |
| Witterung überdauert. | |
| Vor dem Bild auf den Stamm hat jemand ein kleines Stöckchen abgelegt. | |
| Hinter dem Baumstumpf liegen zwei Backsteine aneinandergelehnt. | |
| Foto, Flaschen, Steine. | |
| Ist das hier ein Grab? Liegt in der Nähe der Hund vom Foto? | |
| Kommen Menschen für ihn zum Stamm, um seiner zu gedenken? | |
| Der Ort ist eine Frage. In seiner Tiefe steckt eine Geschichte. Ein | |
| Geheimnis. Hier wird etwas aufbewahrt. | |
| Ich stehe still und schaue: Der Regen tropft von den Blättern. Die | |
| Hafenkräne recken sich in den Himmel, ein Schiff tutet, die Luft ist | |
| feucht. Das Gras leuchtet grün. | |
| Ich spüre ein Flüstern. Eine Höhle der Erinnerung. Etwas Kindliches, | |
| Spielerisches, Beschütztes. | |
| Baum, Erde, Spuren. | |
| Liebe und Tod. Der Hund bleibt im Baum. | |
| Inmitten dieses Parks liegt im Verborgenen dieses persönliche Plätzchen. | |
| Die Bedeutung um einen Hund und die Menschen, die er begleitete. | |
| Was für Orte gibt es noch da draußen, Ritzen, in denen ein Geheimnis liegt? | |
| Ein Schlupfloch, um von dort aus in ein Früher oder in die Fantasie zu | |
| gehen? | |
| Ich erinnere mich, wie ich mit einem Kind in den Wald ging. Es wollte | |
| Höhlen sehen und bauen. Es hatte Angst vor dem Wald und gleichzeitig Lust, | |
| ihn zu entdecken. Wir gingen ab vom Weg, hinein ins Gehölz. Die Sonne | |
| flirrte durch die Bäume, ein Specht hämmerte gegen einen Baum. Und dann auf | |
| einmal stießen wir auf dieses Wurzelloch im Boden. Ein paar Zweige lagen | |
| darüber. Darin waren verschiedene Münzen. Zwei-Euro-, Ein-Euro-, | |
| Cent-Stücke. Blinkend im Sonnenlicht. Geld, das jemand versteckt hatte. Ein | |
| Schatz im Wald. Wer hatte das hierhergetragen? Wessen Geheimnis war das? | |
| Auch das Kind verstand, dass hier etwas Heiliges war. Wir knieten und | |
| schauten in das Loch. Aber wir holten das Geld nicht heraus. Wir ließen es | |
| im Versteck, im Heimlichen. | |
| Und immer noch denke ich an den Ort am Meer. In Rostock am Strand. Ich ging | |
| dort am Ufer entlang. Steine knirschten unter meinen Füßen. Links war ein | |
| Birkenwäldchen, rechts ging der Blick aufs Meer. Dann auf einmal lag ein | |
| Blumenstrauß am Ufer. Dabei ein Stein und ein Zettel. „Ich vermisse dich | |
| so, Mama.“ Ein Gedenken, eine Erinnerung. | |
| Ein Herz, ein [2][Geheimnis], vor dem offenen [3][Meer]. | |
| 14 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christa Pfafferott | |
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