# taz.de -- Gute Nachrichten in den Medien: Wie es besser werden könnte | |
> Die Welt ist voller schlechter Nachrichten, Schönreden ist da keine | |
> Option. Konstruktive Denkanstöße sind gefragt. | |
Bild: Hier kommen heftiger Regen und eine strahlende Sonne zusammen: Spaziergan… | |
Um zu erkennen, wie schlecht es um die Welt bestellt ist, reicht der Blick | |
auf die Startseite des Internetauftritts einer seriösen Zeitung. Dabei kann | |
man sich eines nicht so richtig vorstellen: dass es so etwas wie zu viel | |
Positivität geben kann. | |
[1][Seit ich mich beruflich um gute Nachrichten kümmere,] stolpere ich in | |
sozialen Netzwerken immer wieder über Accounts, die „good news“ verbreiten | |
– oder das zumindest wollen. Die Idee dahinter: Wir sollten alle ein | |
bisschen positiver auf die Welt und die Ereignisse um uns herum schauen. | |
Doch obwohl das generell richtig sein mag, kann [2][ein positiver Blick auf | |
die Welt] auch zu positiv werden. Toxische Positivität lautet der | |
populärwissenschaftliche Begriff für einen krampfhaft positiven Blick auf | |
die Welt. Er führt dazu, dass wir negative Emotionen unterdrücken und | |
Probleme und Krisen kleinreden. | |
Kurzfristig mag diese Haltung eine gute Strategie zur Bewältigung akuter | |
Probleme sein. Langfristig verstärkt eine übertriebene Positivität | |
psychische Krisen aber eher noch. Das bestätigt die | |
Persönlichkeitspsychologin Astrid Schütz von der Uni Bamberg. „Wenn jemand | |
stark damit beschäftigt ist, negative Emotionen zu unterdrücken, hat das | |
psychisch, aber auch sozial ungünstige Effekte.“ | |
## Wann ist eine Nachricht wirklich gut? | |
In unserer Redaktion kommen wir jede Woche zusammen und diskutieren | |
darüber, was die nächste „gute Nachricht“ im Zukunftsteil der wochentaz | |
werden soll. Die Grundlage für diese Diskussionen ist ein ehrlicher Blick | |
auf die Realität. Das erfordert, dass wir Krisen und Probleme anerkennen | |
und uns fragen, welche guten Nachrichten wirklich Lösungen für die realen | |
Probleme anbieten. | |
Das ist auch eine publizistische Verantwortung. Denn unsere Leser:innen | |
bringen uns großes Vertrauen entgegen, indem sie unsere Zeitung abonnieren | |
und sich darauf verlassen, dass wir nur Dinge als positive Entwicklung | |
darstellen, die wirklich zu einer besseren Welt führen. | |
Aber wie gut ist es zum Beispiel wirklich, dass weniger Frauen in den USA | |
an Gebärmutterhalskrebs sterben? In unserer Zeitung schrieben wir dazu, | |
dass die Impfungen gegen Gebärmutterhalskrebs sehr wirksam Todesfälle | |
verhindern – und damit einen Weg zu immer weniger Todesfällen durch HPV | |
ebnen. Noch aber sterben viel zu viele Frauen daran, weshalb es zynisch | |
daherkommen könnte, diese Veränderung als gute Nachricht zu beschreiben. | |
Oder: Wie gut ist es, dass das Fernsehen in Deutschland zwar diverser wird, | |
queere Rollen aber weiterhin nur in fünf Prozent der Programme vorkommen? | |
Diese Nachricht ist, wie so oft, ein Schritt in die richtige Richtung – | |
aber eben auch nicht mehr. Positive Entwicklungen können Mut machen, auch | |
wenn sie in einem problematischen Kontext stattfinden. | |
Ein weiteres Beispiel für gute Nachrichten, über die wir regelmäßig | |
diskutieren, ist das Elektroauto. Auf den ersten Blick erscheint es | |
positiv, wenn in Deutschland ein größerer Anteil der neu zugelassenen Autos | |
einen Elektroantrieb verwendet. Doch sobald jemand vorschlägt, das in | |
unserem Format „Die gute Nachricht“ zu vermelden, kommen direkt die „Aber… | |
auf den Tisch: Festigen Elektroautos nicht nur den Fokus auf eine | |
ineffiziente Form des Individualverkehrs? | |
Nimmt vielleicht sogar die Zahl der neu zugelassenen Autos zu, werden die | |
Straßen also noch voller? Sind Elektroautos und ihr massiver [3][Bedarf an | |
Lithium] und seltenen Erden wirklich nur positiv, oder gehen damit nicht | |
auch neue Formen der Ausbeutung einher? Sind Elektroautos nicht außerdem | |
viel zu groß und haben dadurch einen viel höheren Stromverbrauch, als | |
eigentlich nötig wäre? | |
Abwägungen wie diese führen dazu, dass wir oft mit zahlreichen Ideen für | |
gute Nachrichten in eine Besprechung gehen und am Ende im besten Fall ein | |
oder zwei Ideen übrig bleiben. Und selbst dann kann es sein, dass wir eine | |
Idee doch noch verwerfen müssen, weil ein „Aber“ aufgetaucht ist, das vor | |
der tiefergehenden Recherche niemand bedacht hatte. Manchmal ist etwa die | |
Aussage des Datensatzes doch nicht so eindeutig wie erwartet, teilweise | |
stellen sich Zahlen einfach als zu alt heraus. | |
## Nach Lösungen suchen | |
Um zu verstehen, warum diese kleinen oder großen Einwände so relevant sind | |
und oft dazu führen, dass auf den ersten Blick gute Nachrichten sich später | |
als nicht gut genug erweisen, muss man die Idee des konstruktiven | |
Journalismus, dem wir uns auf den Zukunftsseiten der wochentaz verschrieben | |
haben, näher betrachten. | |
Wenn ich jemandem konstruktiven Journalismus erklären muss, und das kommt | |
gar nicht so selten vor, dann beginne ich damit, dass wir lösungsorientiert | |
arbeiten wollen. Dafür machen wir uns klar, welche Probleme es gibt. Die | |
müssen wir anerkennen, auch in ihrer oft überwältigenden Größe. Wenn wir | |
das nicht tun, sind wir auf einem direkten Weg zur toxischen Positivität. | |
Doch von den Problemen ausgehend denken wir über Lösungen nach und suchen | |
nach ihnen, in inspirierenden Projekten im Kleinen und systematischen | |
Veränderungen im Großen. Auf keinen Fall bleiben wir in der | |
Problembeschreibung stehen. | |
Der konstruktive Journalismus ist gewissermaßen der Versuch einer Antwort | |
darauf, dass immer mehr Menschen aufgrund der Flut schlechter Nachrichten | |
ihren Nachrichtenkonsum deutlich reduzieren oder ganz einstellen. Denn das | |
ist nicht nur schlecht für Zeitungen, sondern auch für die Menschen und den | |
informierten öffentlichen Diskurs. Sinnvoll aufbereitete Informationen sind | |
die Grundlage für mündige Entscheidungen und eine Meinungsbildung über die | |
Welt. | |
Ein lösungsorientierter Blick kann im besten Fall dazu ermutigen, dass | |
Menschen selbst handeln, politisch aktiv werden oder eigene Lösungsideen | |
entwickeln und umsetzen. „Gute Nachrichten können Menschen Kraft geben, | |
etwas zu verändern“, sagt die Psychologin Schütz. | |
Umso erfreulicher ist es, dass wir für kaum ein Format so viele | |
Rückmeldungen bekommen wie für die gute Nachricht. Mal ein einfaches | |
Dankeschön, oft aber auch Nachfragen oder Anmerkungen zum Inhalt. | |
Im Juli 2024 haben wir beispielsweise eine gute Nachricht dazu | |
veröffentlicht, dass mehr Menschen auf dem Fahrrad einen Helm tragen. Diese | |
Nachricht ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch wir nicht immer gute | |
Nachrichten auftreiben, die die Welt auf den Kopf stellen. Wir haben vor | |
der Veröffentlichung natürlich diskutiert und waren uns einig, dass mehr | |
Helme im besten Fall zu weniger Kopfverletzungen bei Fahrradunfällen | |
führen. Doch die Leser:innen, die sich bei uns meldeten, waren sich einig, | |
dass eigentlich eine sichere Infrastruktur und weniger Autos die Lösung | |
wären. | |
Die Sache ist: Sie haben ja recht. Aber in manchen Wochen ist die Suche | |
nach einer wirklich guten Nachricht zehrend – und wir müssen uns trotz | |
hoher Ansprüche an uns selbst eingestehen, dass sich manchmal lediglich | |
eine Entwicklung abbilden lässt, die für sich genommen positiv ist, aber | |
nicht immer an den Ursachen eines Problems ansetzt. | |
Meistens geht die Rechnung allerdings auf. Und dann entfaltet die gute | |
Nachricht ihre volle Kraft, indem sie eine Entwicklung zeigt, von der | |
vielleicht noch kaum jemand gehört hat, die positiv überrascht und das | |
Gefühl hinterlässt, dass immer irgendwo irgendwer daran arbeitet, dass die | |
Welt ein Stückchen besser wird. | |
23 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /die-gute-nachricht/!6066698&s=mutterschutz&SuchRahmen=Print/ | |
[2] /Negativity-Bias-im-Journalismus/!6055111 | |
[3] /Frankreichs-Plaene-fuer-Lithiumabbau/!6040202 | |
## AUTOREN | |
Yannik Achternbosch | |
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