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# taz.de -- Berichterstattung zur Bundestagswahl: Zwischen Panikmache und Gesch…
> Der Wahlkampf ist eigentlich schon eklig genug. Doch dann stoßen auch
> noch Formulierungen auf, die mit Sprache wenig zu tun haben.
Bild: Ja, was schreiben sie denn? Journalist*innen in Berlin
Der Planet schmiert ab, Deutschland wählt neu, und die Medien haben an der
Misere natürlich einen Anteil. Nicht nur, weil sie gewalttätigen Männern
mehr Aufmerksamkeit geben als den guten Ideen, wie die Welt noch zu retten
wäre, sondern auch, weil ihre Sprache oft unappetitlich ist. Linke Medien
bilden da leider keine Ausnahme.
Als Erstes fällt auf, in welchem Brustton der Überzeugung viele
Journalisten schreiben, wer die nächste Regierung bildet, obwohl – Umfragen
belegen das – [1][noch einiges offen ist]. „Im Frühjahr wird es eine
schwarz-rote Regierung geben oder eine Kenia-Koalition, auch andere
Farbkombinationen sind möglich“, heißt es etwa in [2][der lesenswerten
Monatszeitschrift konkret.] Was denn jetzt? Wie wär’s mit etwas mehr
Konjunktiv und weniger Spekulation?
Noch mehr nervt nur die Panik, die durch Buzzwords wie „Angst“, „Feuer“,
„Erpressung“ erzeugt wird. Mag sein, dass Merz Kanzler wird, er ist rechts,
klar, verschlechtern sich dann Dinge. Aber ob die Welt untergeht? Eher
nicht. Zumindest nicht sofort.
Den Wahlkampf prägen bestimmte Gewalttaten. In Berichten darüber belästigen
Journalist:innen ihr Publikum oft mit sinnlosen Adjektiven. Besonders
vernarrt sind sie zurzeit in „geltendes Recht“, gegen das abwechselnd
Attentäter und Behörden verstoßen. Gegen welches Recht denn sonst, gegen
ungültiges?
## Wie wäre es mit zwei Quellen
Dass bei Adjektiven weniger mehr sein kann, gilt auch für Sätze wie diese:
„Die politischen Reaktionen auf den tödlichen Messerangriff mutmaßlich
eines offenbar psychisch kranken …“ Viele relativieren sich lieber tot, als
eine Klage zu riskieren. Teils ist das nötig und angebracht. Aber an vielen
anderen Stellen könnten Journalist:innen das „wohl“ oder „offenbar“
weglassen, würden sie über Fakten berichten, für die sie zwei Quellen
haben.
In die Kategorie unnötig fällt auch das Adjektiv „zuständig“, das
Journalist*innen ein für alle Mal aus ihrem Wortschatz verbannen
sollten. Der Deutschlandfunk berichtete am Dienstag etwa über das von RTL
geplante TV-Duell vor der Wahl: „Der zuständige Chefredakteur Kohlenbach
teilte mit, man werde neben Scholz und Merz auch die Spitzenkandidaten von
AfD und Grünen, Weidel und Habeck, einladen.“ Ist doch klar, dass er
zuständig ist und nicht die Putzfrau oder die Praktikantin (leider, denn
die hätten sicher eine vernünftigere Entscheidung getroffen). An anderer
Stelle, etwa bei „von Armut betroffenen Jugendlichen“, sehnt sich eine
hingegen nach einem schlichten Adjektiv: arme Jugendliche.
Die Sprachanalyse belegt vor allem eins: Marx hatte recht. Das Sein
bestimmt das Bewusstsein. Selbst sprachverliebte, liberale oder
idealistische Autor:innen brauchen Geld. Warum sonst schreiben sie Dinge
wie „vor Ort in Bautzen“ statt einfach „in Bautzen“? Das sind nur zwei
redundante Wörter, aber seien Sie gewiss, so was läppert sich! Wegen der
lausigen Honorare, insbesondere bei Medien wie der taz, plustern manche
freie Journalist*innen ihre Texte auf. Sie wollen Zeilen schinden,
lautet der Vorwurf vieler Redaktionen. Und er stimmt (oft). Bleibt die
Frage: Wieso streichen die den Krempel dann nicht? „Keine Zeit!“ Stimmt
auch (oft).
Die gleiche „Motivlage“ könnte hinter „Routenführungen“, „Tathergan…
„Präventionsarbeit“ stecken, bei denen wir auf das zweite, substanzlose
Substantiv gern verzichten würden. Ekel erregt substantivischer Stil, in
dem zum Beispiel „Verteilungen erfolgen“, statt dass jemand etwas verteilt.
Aber auch für eine verbale Formulierung müsste man ja erst mal
recherchieren, wer das Subjekt ist!
## Wie scharf darf es sein?
Kontexte, Lagen, Mobilisierungen, Infrastrukturen – sind Sie schon
ausgestiegen? Oder fragen auch Sie sich, wieso abstrakte Substantive in den
Plural gesetzt werden sollten? Die Bildungseinrichtung bekommt jedenfalls
nicht mehr Geld, nur weil an ihre Finanzierung noch jemand großzügig ein
„en“ anhängt.
Spicy wird es beim Thema Migration. Nicht wegen provokanter Inhalte – was
soll einen noch schocken –, sondern im Wortsinn. So wie fast alle Medien
titelt etwa die Süddeutsche Zeitung „Schärfe bei der Zuwanderung“ und auch
die taz fürchtet sich ständig vor „Verschärfungen“. Es mag Geschmackssac…
sein, aber „Schärfe“ ist für viele positiv konnotiert, sie denken an
leckeres, mit Chili gewürztes Essen. Tatsächlich geht es um Repression,
Vertreibung, Verfassungsbruch oder Verstöße gegen internationale Verträge.
Oft sind Adjektive komplett falsch: Donald Trump geht nicht, wie ständig
behauptet, gegen „illegale“ Einwanderer vor. Da hilft auch nicht, wenn
Linke, die sich politisch korrekt ausdrücken wollen, statt des rechten
Kampfbegriffs das Wort „irregulär“ nutzen. Es bleibt falsch. Denn Trump
geht gegen alle Eingewanderten vor.
An die Schmerzen, die die falsche Übersetzung des englischen Worts für
Regierung auslöst – manche sagen doch wirklich auf Deutsch
„Administration“ – hat man sich schon gewöhnt. Geschichtsvergessen, aber
schon zu tief eingebrannt, um sie noch einmal aus den Köpfen zu kriegen,
dürfte auch die falsche Übersetzung des englischen „libertarian“ sein, wie
sie neulich sogar im tollen [3][Podcast „Wohlstand für alle“] zu hören wa…
Das sind autonome Nationalisten oder Rechtslibertäre. Aber ganz bestimmt
keine „Libertären“! Der Begriff sollte der anarchistischen Bewegung
vorbehalten bleiben, deren Haltung rein gar nichts mit der von rechten Amis
zu tun hat.
## Süße Doppelmoppelungen
„Wieso er … nicht zu zeitgenössischeren Formen der Maskierung vordringt,
wie bei Autonomen oder Zapatist:innen“, ist genauso fragwürdig wie die
Steigerung von Adjektiven wie „zeitgenössisch“. Kunstfreiheit hin oder her,
das ergibt einfach wenig Sinn, genauso wenig bei „tot“ oder „aktuell“.
Süß sind Doppelmoppelungen wie der „singuläre Hauptfeind“ oder die
Bürgermeisterin, die „knapp“ an der Mehrheit „vorbeischrammt“ –
vorbeischrammen beinhaltet bereits, dass es knapp war. Lustig sind
unbeabsichtigte Doppeldeutigkeiten wie hier im DLF: „Ich habe mit all
meinen Kollegen gesprochen, auch über die Feiertage.“ Ach, und was halten
die von Weihnachten?
Aufgepasst auch mit Ausländisch, vor allem, wenn man es nicht beherrscht!
Gewollt elegant [4][formuliert der Vorwärts] „Dann wäre nämlich das
Schengensystem adé.“ Gemeint war wohl: „passé“. Schadé! Überrascht se…
durfte man umgekehrt von der Wirtschaftsredaktion des DLF, die sich in
einem Bericht über Elon Musk zum Kraftausdruck „versauen“ hat hinreißen
lassen.
Benutzt ein Journalist mal ein Verb, kann man sich eigentlich freuen. Aber
Vorsicht! Es sollte passen. Nach einem Terroranschlag durch eine Stadt zu
„flanieren“ – was mit Entspannung und guter Laune konnotiert ist –,
erscheint unpassend. Und wenn Zeitungen schreiben, die Rechten „versuchen“
Taten zu instrumentalisieren, ist denen das oft längst gelungen, das Verb
„versuchen“ also fehl am Platz.
Manchmal muss man beim Zeitunglesen auch lachen. Die Leserin, die
mitbekommen hat, dass SPD und Grüne Teil der Ampel-Regierung waren, fragt
sich zum Beispiel, wieso diese fast jede Asylrechtsverschärfung
„mittrugen“. Na ja, jeder hat eben sein Päckchen zu tragen. Ärgerlich ist,
wie viel Olaf Scholz derzeit in den Medien „fordert“, ohne dass
Journalist*innen mal nachfragen, warum der Mann, der immerhin
Bundeskanzler ist, diese Dinge nicht umsetzt.
## Wer Dadaismus will, geht ins Museum
In Interviews liest man seit einer Weile auch andauernd die Frage: „Was hat
das mit dir gemacht?“ Verzeiht man noch, dass den Fragenden kein
aussagekräftigeres Verb eingefallen ist, so machen einen spätestens die
Antworten sauer. Sie sind entweder inhaltsleer oder gelogen. Kein Wunder!
Würden Sie der Öffentlichkeit das Gleiche erzählen wie ihrem Therapeuten?
Wohl kaum.
Man kann das ja probieren, aber wenn die Antworten uninteressant sind,
sollten Journalist*innen den Part weglassen. Noch ärgerlicher als diese
Frage ist eigentlich nur, dass die rechte NZZ genau darüber [5][schon mal
einen Rant veröffentlicht hat] – mit dem sie wohl leider recht hat. Die
Zeitung aus der Schweiz hat für Fortschritt oder Veränderung, auch in der
Sprache, eher wenig übrig.
Aufgeklärten stößt an derartigen Formulierungen das Gefühl auf, für dumm
verkauft zu werden. Wer Dadaismus will, geht ins Museum. Schuld an der
Fehlentwicklung ist natürlich die SPD. Statt ausreichend Betreuungsplätze
haben Leute wie Franziska Giffey lieber Kindersprache eingeführt, Stichwort
„Gute-Kita-Gesetz“. Dass die Familienministerin es mit der Sprache nicht so
hatte, wusste man bereits, nicht mal zitieren hat sie in ihrer Dissertation
hinbekommen. Das sollten Journalist*innen nicht übernehmen.
Aber oft ist es auch umgekehrt. Egal, was für einen Stuss
Politiker:innen reden, klammern Journalist:innen sich an jedes
Wort und müllen damit die Zeitung zu. Ist das Angst oder Unterwürfigkeit?
Übersetzt man Zitate in verständliches Deutsch – und lässt sie autorisieren
–, merken die meisten das gar nicht oder bedanken sich sogar.
In einem DLF-Beitrag war neulich die Rede von einer „Erzählung“. Aber es
hätte „Bericht“ heißen müssen! Eine Erzählung kann Fiktives enthalten, …
Bericht allein wahre Begebenheiten. Vielleicht war das falsch übersetzt.
Aber an diesen Stellen müssen Journalist*innen genauer hinsehen,
mutiger sein und falsche Ausdrücke – auch in Zitaten – korrigieren, wenn
die Medien nicht noch weiter an Glaubwürdigkeit verlieren wollen!
Den vorläufigen Höhepunkt des Dadaismus erreichte die „Tagesschau“ gleich
am ersten Tag des Jahres. Nachdem der Moderator bereits alles berichtet
hat, was zu diesem Zeitpunkt bekannt war, sagt er: „Jan Koch beobachtet für
uns (für wen denn sonst?) die Lage in New Orleans. Gibt es mittlerweile
weitere Informationen zum Tathergang?“ Darauf antwortet der Korrespondent:
„Immer wieder kommen neue Informationen dazu. Es gibt jetzt auch eine
weitere neuere Information …“ Wer sich da nicht vollends veräppelt fühlen
will, der bleibt nichts, als zu hoffen, dass die Beteiligten in der Nacht
zuvor eine wilde Silvesterparty gefeiert haben.
30 Jan 2025
## LINKS
[1] /Neue-Prognose-fuer-Bundestagswahl/!6062696
[2] https://www.konkret-magazin.de/lesen/aus-dem-aktuellen-heft/971-50-shades-o…
[3] /Linke-Podcasts/!5907511
[4] https://www.vorwaerts.de/inland/asylplaene-von-merz-warum-die-vorschlaege-t…
[5] https://www.nzz.ch/feuilleton/medien/nervige-phrase-im-journalismus-was-mac…
## AUTOREN
Lotte Laloire
## TAGS
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Ansonsten lernt man nicht viel aus dem deutschen Wahlkampf.
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