| # taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Wie ein vorfabrizierter Hühnerstall | |
| > Immer schön auf die Sprache achten! Das lehrte schon George Orwell. | |
| > Ansonsten lernt man nicht viel aus dem deutschen Wahlkampf. | |
| Bild: Aus dem Duden: „Phrase: Substantiv, feminin – 1a. abgegriffene, nicht… | |
| Irgendetwas Nennenswertes geschehen in diesem Wahlkampf bisher? Die CDU | |
| verspricht, Deutschland „fit für die digitale Zukunft“ zu machen. Peer | |
| Steinbrück, der dauernd über sein eigenes Geplapper stolpert, hat gerade | |
| gesagt, Frau Merkel gehe die „Leidenschaft“ für Europa ab, weil sie | |
| DDR-sozialisiert nicht mit der Geschichte der europäischen Einigung | |
| aufgewachsen sei. | |
| Nun kann man natürlich fragen, was genau Herr Steinbrück unter Leidenschaft | |
| versteht, aber da sprang schon die Linkspartei herbei und nahm Frau Merkel | |
| in Schutz mit den Worten, Steinbrück „brüskiere“ die ostdeutschen Wähler. | |
| Ich nehme an, der Grad der Brüskierung hält sich schon alleine deswegen in | |
| Grenzen, weil die Bürger ohnehin wenig davon mitbekommen. Die reichlich | |
| belanglosen Phrasen überschreiten die Wahrnehmungsschwelle im seltensten | |
| Fall. Kurz gesagt, sie gehen den Leuten zum einen Ohr rein und zum anderen | |
| raus, was so viel heißt wie am Arsch vorbei. | |
| Da hat es etwas Liebenswertes, wenn am [1][Blog des Göttinger Instituts für | |
| Demokratieforschung jetzt der Aufruf prangt]: „Wutbürger, geht wählen! | |
| Wahlenthaltung ist keine Lösung.“ Das ist wohl eine Antwort auf den | |
| jüngsten Spiegel-Essay von Harald Welzer, der erklärte, „warum ich nicht | |
| mehr wähle“. Sein Schlüsselsatz lautet: „Die zur Gewohnheit gewordene | |
| Entscheidung für das kleinere Übel ist die eigentliche Ermöglichung des | |
| größeren.“ | |
| ## Noch mehr Worthülsen | |
| Die Politik, also die Politikpolitik, die der medial vermittelten | |
| Parteienrivalität, sie ist verpestet von leeren Worthülsen, kleinlicher | |
| Taktiererei, woraus natürlich taktisches Reden und damit noch mehr | |
| Worthülsen resultieren. | |
| Dabei habt ihr Deutschen es ja noch vergleichsweise gut. Politiker, die im | |
| Wahlkampf in leeren Worthülsen daherreden, sind immer noch besser als | |
| Amtspersonen, die niederträchtig und verleumderisch daherlügen wie etwa die | |
| österreichische Innenministerin, die gerade aus Wahlkampfgründen acht | |
| pakistanische Flüchtlingsaktivisten abschieben ließ und, nachdem ihr die | |
| Kritik ins Gesicht wehte, gleich auch mit windigen Ermittlungen aufwartete, | |
| die drei weitere Flüchtlinge als „Schlepperbanditen“ ins Gefängnis bracht… | |
| und damit die Flüchtlingsbewegung und ihre Unterstützer kriminalisieren und | |
| diskreditieren sollten. | |
| Blöderweise – aus Sicht der Ministerin – sind die Vorwürfe binnen | |
| Wochenfrist praktisch in sich zusammengebrochen, und jetzt verteidigt sich | |
| die Bundesministerin für Verleumdungsangelegenheiten mit den Worten, sie | |
| sei völlig missverstanden worden. | |
| ## Zurück zur Phrase | |
| Aber zurück zur Phrasenhaftigkeit: Weil der Sommer so heiß ist, habe ich | |
| mich mit einem Bücherstapel in den Schatten gelegt und das Non-Fiction-Werk | |
| von George Orwell, der gerade 130 Jahre alt geworden wäre, einmal von vorne | |
| bis hinten durchgelesen. Orwell hat sich immer wieder Gedanken über Sprache | |
| und Politik gemacht: über die Sprache der Linken, über die Sprache | |
| politischer Schriftsteller und über Politikersprache. „Prosa“, schrieb er, | |
| „besteht immer weniger aus Worten, die wegen einer Bedeutung gewählt | |
| wurden, und mehr und mehr aus Phrasen, die zusammengenagelt werden wie die | |
| Teile eines vorfabrizierten Hühnerstalls.“ | |
| Keineswegs sei es aber so, dass, wer so spricht, einfach nur daran | |
| scheitert, seine Gedanken in Worte zu fassen. Die Sache ist komplexer mit | |
| Rückkopplungen: „Denken korrumpiert Sprache, aber auch die Sprache | |
| korrumpiert das Denken.“ Kurzum: Nicht nur produzieren doofe Gedanken blöde | |
| Sprache, auch blöde Sprache produziert doofe Gedanken. | |
| Übrigens steht es dem Kommentator, also in diesem Falle mir, keineswegs zu, | |
| das bissig zu meinen. All das, was hier gesagt wird, kann man natürlich | |
| auch auf diesen Kommentar anwenden. Auch wir Kommentatoren haben unsere | |
| Phrasen, und manches schreibt sich schnell dahin, auch die Wendung „leere | |
| Worthülse“ ist eine routinierte Phrase, die schnell und unbedacht in die | |
| Tastatur gehämmert wird. | |
| Bei seinem Urteil: „Politisches Schreiben ist heute generell schlechtes | |
| Schreiben“, hatte Orwell Orthodoxien aller Art im Auge, also die jeweiligen | |
| Fachjargons von Kommunisten, Sozialisten und anderen; es passt aber auch | |
| bestens zu dem spin-gedokterten Politprofigeschwafel, wenn er sagt: | |
| „Sprecher, die diese Art von Phraseologie benützen, haben sich schon ein | |
| ganzes Stück in eine Maschine verwandelt.“ | |
| Behalten Sie das im Ohr, wenn Sie das nächste Mal Frau Merkel vor der | |
| Bundespressekonferenz reden hören und sie uns dann erklären wird (diese | |
| Prophezeiung ist risikolos), dass Deutschland „auf einem guten Weg“ ist, | |
| irgendjemand natürlich noch „seine Hausaufgaben machen“ muss, aber wenn die | |
| dann erledigt sind, dann sind wir alle zusammen „fit“, wofür auch immer. | |
| 11 Aug 2013 | |
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| Robert Misik | |
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